Kabarettist Michi Marchner begeisterte drei Stunden lang die 80 Zuhörer im Veitshöchheimer Bacchuskeller
Wie zuletzt am Faschingsdienstag vor fünf Jahren hatte die U.W.G. Veitshöchheim e.V. gestern bei der 15. Auflage ihres Kabarettabends im stilvollen Ambiente des Bacchuskellers wieder den renommierten oberbayerischen Kabarettisten und Spaßmacher Michi Marchner verpflichtet. Und UWG-Vorsitzender Martin Issing konnte sich nach zögerlichem Vorverkauf über eine ausverkaufte Veranstaltung freuen. Der im Oktober 1966 in München-Schwabing geborene und heute am Ammersee lebende Künstler zog auch dieses Mal wieder alle Register seines Könnens und bereitete mit seinem hintergründigen und skurrilen Humor den 80 Zuhören drei Stunden lang einschließlich Pause einen höchst unterhaltsamen Abend.
"Ausnahmsweise wie immer" nennt der 2012 mit dem Giesinger Kleinkunstpreis und dem Ostbayerischen Kabarettpreis ausgezeichnete Unterhaltungsprofi sein neuestes, seit 2017 gespieltes viertes Soloprogramm.
Und ausnahmsweise tut der der brillante Kabarettist auch im Bacchuskeller das, wie schon bei seinem Auftritt vor fünf Jahren, was er am besten kann: Er singt, bearbeitet seine Instrumente Gitarre, Keyboard und sonstige Unikate ohne Gnade, rezitiert und holt alles aus sich raus. Und weil es im Bacchuskeller auch für ihn so schön war, blieb er weitaus länger als vereinbart und hängte vier Zugaben dran.
Der sich auf seiner Homepage als Dichter, Denker und Wortverrenker charakterisierende Künstler stand, sein Improvisationstalent und seine Schlagfertigkeit nutzend, von Beginn an bis zum Ende im Dialog mit den hellauf begeisterten und mitmachenden Zuhörern. Sogleich sprang der Funke über, als er den Zuhörern schmeichelte, sie seien ein kleines, feines Publikum und hochwertiges Menschenmaterial. Dann aber sogleich nachsetzte: "Schöne Menschen, nein, sind keine hier." Gleichwohl ist für ihn das fränkische Veitshöchheim keine Humordürrezone wie Schwaben.
Fortan verzauberte der Musik-Comedian sein Publikum und schaffte es mit originellen Liedern, herrlichen Reimen und amüsanten Geschichten am laufenden Band die Lachmuskeln seiner Zuhörer zu strapazieren. Für ihn eine tolle Leistung, denn nach seinen Worten liegt die durchschnittliche Lachquote laut "Bild"-Zeitung in der Republik bei null- bis viermal pro Tag. Auch wenn nicht alle seine im oberbayerischen Dialekt vorgetragenen Lieder und Texte, häufig unter Verwendung von schnellen Wortspielen, nicht von allen im Keller verstanden wurden.
Höchst konzentriert ist der virtuos spielende Gitarrist und Pianist, der von 1995 bis 1998 ein Intensivstudium am privaten Musikinstitut für Rock- und Pop-Musik in München absolvierte, sobald er eine ruhige Phase einlegt und seinen Instrumenten melancholische Klänge entlockt. Ganz den Romantiker spielend, philosophiert er so auch über Entspannung und gibt mit einem Lied den Gästen den Rat: "Entspann Dich - die Erde dreht sich sowieso - sag dem Stress doch einfach nein - gechillte Leute haben mehr vom Leben - mach ein Bier auf und relax."
Melancholisch wird es auch, als er ein manisch-depressives Liebeslied anstimmt mit dem Refrain "Warum nicht?" mit Textpassagen wie "Liebe macht blind + blöd + geruchsunempfindlich" und zum Schluss: "Ich glaub fest daran, dass man im Leben etwas ändern kann, am Montag fängt ne neue Woche an."
Im Gegensatz dazu schlüpft Marchner auch gerne in die Rolle des Gaudiburschen, indem er das Publikum mit selbstgebauten Instrumenten verblüfft, so wie im Bild oben ein Abguss-Saug-Rohr
und hier dazu noch eine originale indische Grabschaufel, auf die er E-Gitarrenseiten aufzog. Beide Unikate und einen Geigenbogen gleichzeitig einsetzend, brachte er originelle indisch-sakrale Musik zu Gehör, vom Publikum mit Beifallsstürmen bedacht.
Den Vogel ab schoss der Kabarettist schließlich, als er eine zur peruanischen Panflöte umgebaute WC-Saugglocke sehr zur Erheiterung des Publikums zum Klingen brachte.
Höchst virtuose Klinge entlockte Marchner auch einer Musikpfeife als begleitendes Zweitinstrument zu seiner Gitarre.
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Eine Mordstimmung verbreitet der Exzentriker auch, als er den Keller mit dem AC/DC-Hit "Highway to hell" rockt und alle lautstark mitsingen. Zum Verulken ist sein Mitsing-Lied über die gern fäkal rodelnde Odel-Rodel-Moni, die sich einen Odel-Rodel-Mann angelt, der im Sommer mit ihr, wenn der Vater wieder odeln tut, in Lederhose auf dem Hosenboden den geodelten Abhang hinunterrodelt.
So erweist sich der Oberbayer als ein Spaßvogel, der sein Publilkum mitreißt, immer wieder zum Mitklatschen und Mitsingen von Refrains animiert und mit humorigen Witzen die Lachmuskeln seiner Zuhörer strapaziert wie mit diesem Kurzwitz: "Wie nennt man einen ostdeutschen Türsteher? Antwort: Thüringer" oder über die gelbe Welle der Holländer auf den deutschen Autobahnen im Sommer, die angesichts des Klimawandels, wenn die Pole schmelzen, schon mal die Evakuierung üben.
Infolge immer mehr Meer, hat sich der Erzähler denn auch eine Fischgeschichte ausgedacht. So entführte er mit einer zweiteiligen tragischen Flachfisch-Geschichte vom Fischer und seiner unseligen Ilsebill in die Märchenwelt a la Gebrüder Grimm mit einem zweidimensionalen, sprechenden und beim Fang Gegenwehr leistenden Butt, der dem Fischer verspricht, jeden Wunsch zu erfüllen, wenn er ihn wieder ins Meer wirft. Die Geschichte faszinierte offenbar auch die Zuhörer, die dazu klatschten, lachten und sangen.
Natürlich glossiert Marchner auch Liebe, Sex und Tod – ums jung bleiben oder doch lieber alt werden? So ist er auch der Brauchtumspflege wie dem Kammerfensterln zugetan. Alerdings im Sinne der Gleichstellung gesteht er den Frauen zu, dass diese zu ihm fensterln kommen. Pech nur, wenn die Leiter fällt und man in die Odelgrube stürzt. Nichts hält er dagegen vom derzeitigen Trend der "Lederhosengesellschaft" und der hohen "Verdirndelungsrate".
Und der Kabarettist ist auch nicht frei von Neid, outet sich als "Neidrider", wenn er aus dem Nähkästchen des Vereinsheims in München-Schwabing plaudert, wo auch seine jungen, erfolgreichen Kollegen mit eigener Fernsehshow und drei Lofts in München-Schwabing verkehren. Die treten mit der Creme de la Creme der Kabarettszene im Lustspielhaus auf, während er sich nebenan im Vereinsheim für 20 Euro und eine Brotzeit auf der Bühne an der Gitarre den Wolf spielt und nicht weiß, wie er die nächste Miete im Münchener Viertel der Reichen und Schönen zusammenkratzt. Wenn er dann scheinheilig gefragt wird: "Alles gut bei Dir?", da würde er am liebsten an die Decke gehen. Der Mann mit dem Hut ist schon über 30 Jahre im Kabarett- und Musikgeschäft. Der große Durchbruch ist ihm bisher aber versagt geblieben.
Dafür wurde er, mehr oder weniger unfreiwillig durch die Entledigung eines Bedürfnisses im Stau auf der Autobahn zum Youtube-Star, von 1,9 Millionen Usern geliked. Groß war das Gelächter, als der Künstler die Story zum Besten gab, wie er in seinem Bemühen, bei einem Stau auf der Autobahn seinen Harndrang in eine Flasche zu bringen, von jungen Damen im danebenstehenden Bus mit dem Handy gefilmt wurde.
Überhaupt versteht er mit seiner längst begonnenen Vergreisung 50 + die hoch technisierte Welt von heute nicht mehr. Sein Handy habe einen höheren Intelligenzquotienten als er. Er trauert den Zeiten nach, wo früher das Telefon einfach aus der Wand rauskam: "Wenn einer versucht hätte, damit zu fotografieren - den hätten’s wegg’sperrt."
Als Alleinerziehender eines 14jährigen Jungen könne er schon neidisch werden, wenn dieser mit einer App auf seinem Tablet Tittenfotos herunterladen könne. Heute müsse er den Rasen des Nachbarn mähen, damit der zwölfjährige Nachbarsjunge ihm die neusten Updates auf seinem Computer installiere. All seine Lebenserfahrung "google" dieser in nur zehn Minuten.
Bevor er aber verzweifle, halte er sich an die Worte seiner Großmutter: "Junge, lass dich nicht unterkriegen. Urnen sind auch nur arrogante Aschenbecher." Schließlich erzählt Marchner von seinem Erzeuger, der ihn, den König der Schwabinger Hinterhöfe aufs Land in ein Reihenmittelhaus am Ende jeder sozialen Leiter verschleppt habe, nur um seinen Grill ein Stück Rasen zu haben. So philosophiert der Künstler in seinem nächsten Lied "Ich wollt schon immer mal nach Olpe und nach Knas", die Zufahrt zur Autobahn vor Augen, über sein Fernweh a la Wolfgang Ambros bis er zum Schluss kommt: "Zuhause ist es doch ganz schön".
Und vom Altwerden hält der Anfangfünfziger nicht viel. Im Lied "Scheiße, Baby, mia wean oid" befasst er sich damit: "Wenn die Haare schütter werden und aus Töchtern Mütter werden ..."
Keine Frage, dass der Künstler am Ende auch noch Werbung in eigener Sache machte und seine CDs anpries.
Mit "Veitshöchheim, I love you" verabschiedete sich nach seinem dreistündigen Spektakel Michi Marchner schweißgebadet von seinem ihm stehend zujubelnden Publikum.
Fotos (c) Dieter Gürz