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Gedenken an Progromnacht in Veitshöchheim + Vortrag Roland Flade: Jüdische Soldaten im Ersten Weltkrieg

Veröffentlicht am von Dieter Gürz

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 Die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Würzburg und Unterfranken erinnerte am Montagabend mit einer zentralen Veranstaltung in Veitshöchheim an die Reichspogromnacht  am 9. November 1938, in der die Nationalsozialisten zur offenen Gewalt gegen Juden übergingen.  Überall in Deutschland brannten Synagogen, jüdische Geschäfte und Wohnungen wurden verwüstet und Juden misshandelt. Das Gedenken an dieses Ereignis begann mit einem jüdischen Abendgebet durch Rabbiner Jakov Ebert  in der Veitshöchheimer Synagoge. Diese kann heuer auf ihre Einweihung   als Gotteshaus vor 20 Jahren zurückblicken. Sie ist über die Grenzen Veitshöchheims  hinaus bekannt als eine Stätte der Erinnerung und Mahnung, des Bekennens und eine Stätte der Begegnung. 


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An das Abendgebet in der Synagoge schloss sich dann im bis auf den letzten Platz gefüllten Sitzungssaal des Rathauses Veitshöchheim ein Vortrag des promovierten Historikers Roland Flade (vorne an der Tafel)  an.  Anlässlich des Ausbruches des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren rief der  Main-Post-Redakteur in Erinnerung, dass sich 1914 auch die fränkischen Juden als gleichberechtigte Staatsbürger fühlten und es als ihre Pflicht und ihre Aufgabe ansahen, für das Vaterland in den Krieg zu ziehen. Am Ende des Krieges listeten die deutschen Juden ihre Kriegsteilnehmer auf: 100.000 waren im Feld gewesen, 12.000 gefallen.

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Die gemeindlichen Kulturreferentinnen Karen Heußner (links) und Dr. Martina Edelmann (rechts) stellten dazu den örtlichen Bezug her. Sie hatten die Kopie der gläsernen Erinnerungstafel aus dem Betsaal der Synagoge mitgebracht (das Original befindet sich zur Zeit auf Reisen auf einer Ausstellung in München).  Diese enthält die Namen von 16 jüdischen Soldaten aus Veitshöchheim, die am ersten Weltkrieg teilnahmen. Als Besonderheit stehen darauf aber nicht nur die Namen der Gefallenen mit Angabe des Sterbedatums, sondern auch die der Rückkehrer.  Angesichts der Tatsache, dass 1910 nur 75 Juden im Ort gezählt wurden, ist es schon beachtlich, dass darunter 16 wehrpflichtige Männer waren. Der Ludwig Stern und der Ludwig Strauß waren  nach Heußners Recherchen als Jüngste gerade mal 16 Jahre alt und der Karl Sichel war mit 39 Jahren der Älteste. Auch sie waren bereit ihr Leben für das Vaterland aufs Spiel zu setzen.


Und so lautete denn auch der Titel, den Roland Flade für seinen Vortrag wählte:  „Ich sterbe gern für König und Vaterland - Jüdische Soldaten aus Unterfranken im Ersten Weltkrieg“.

Hier ein Auszug aus seinem Vortrag,  über den der Historiker selbst in der Mainpost bereits berichtet hat:

 

  • Es war ausgerechnet der Ausbruch des Ersten Weltkriegs, der vor 100 Jahren den fränkischen Juden das Gefühl gab, wirklich zum deutschen Volk zu gehören.
  • Noch viele Jahre später erinnerte sich der Würzburger Rabbiner Siegmund Hanover voller Wehmut an die „glorreichen Augusttage 1914“, in denen sich „das ganze Volk in vollster Einigkeit erhob“. Die Worte Kaiser Wilhelms II., er kenne keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche, wurde von keinem Teil der Bevölkerung dankbarer aufgenommen.
  • Die Juden sahen damit das langwierige Ringen um die Anerkennung als gleichberechtigte Staatsbürger endlich zum Abschluss gekommen. 
  • Am 4. August 1914 schrieb der 21-jährige Würzburger Bruno Katzmann an seinen Vater, einen jüdischen Kaufmann: „Eingedenk der großen Gefahren, die unser geliebtes Vaterland bedrohen, ziehe ich heldenmütig ins Feld und sterbe gern für König und Vaterland.“ Sieben Wochen später war Bruno tot.
  • Konnte es nach diesem Blutzoll noch eine Frage sein, dass die Juden Deutschland „über alles“ stellten? Mit dem Kriegseinsatz schienen sie die oft unheilvolle Geschichte, die in Unterfranken bis ins 12. Jahrhundert zurückreicht, endlich hinter sich gelassen zu haben.
  • Die Quellen sprechen von Juden in Würzburg erstmals 1147, in Schweinfurt 1212 und in Aschaffenburg 1267. Schwere Verfolgungen ereigneten sich 1147, 1298 und 1336, doch war das Mittelalter auch von längeren Phasen gedeihlichen Zusammenlebens gekennzeichnet. Würzburg profilierte sich damals als ein weithin bekanntes Zentrum jüdischer Gelehrsamkeit. Erst ein weiterer Pogrom setzte der jüdischen Gemeinde in der Domstadt im Jahr 1349 ein zeitweiliges Ende.
  •   Im 16. Jahrhundert wurden die Juden fast überall aus den Städten vertrieben und über das Land verstreut. Die in Würzburg ansässig waren, ließen sich in Höchberg, Reichenberg, Heidingsfeld und Veitshöchheim nieder, wo im 18. Jahrhundert prächtige Synagogenbauten entstanden. Erst ab 1803 durften sie, zunächst streng reglementiert, vereinzelt nach Würzburg zurückkehren.
  • Damals kam Unterfranken unter die Herrschaft Bayerns. Der Regierungsbezirk war der am dichtesten mit Juden besiedelte Teil des Königreichs. Im Jahr 1818 lebte hier jeder dritte bayerische Jude (16 337 Personen). An der Wende zum 20. Jahrhundert lagen 124 der 303 jüdischen Kultusgemeinden Bayerns in Unterfranken.
  • Nachdem 1861 die Ansiedlungsfreiheit hergestellt war, verließen viele Juden die fränkischen Landgemeinden und siedelten sich wegen der besseren Bildungs- und Berufsmöglichkeiten in Städten an, deren Kultusgemeinden ihre Mitgliederzahl binnen kurzer Zeit vervielfachten. In Würzburg wurden wichtige jüdische Infrastruktureinrichtungen errichtet: Synagoge, Volksschule, Lehrerbildungsanstalt, Friedhof, Krankenhaus und Altersheim. In Kitzingen, Aschaffenburg, Bad Kissingen, Königshofen und Bad Brückenau erbaute man neue Gotteshäuser.
  • Nach dem Ersten Weltkrieg gab es zwei parallele Entwicklungen, und niemand hätte damals voraussagen können, welche am Schluss triumphieren würde. Der rabiate Antisemitismus der NSDAP gewann an Boden, aber auch die Teilhabe der jüdischen Bürger am öffentlichen und gesellschaftlichen Leben wurde immer selbstverständlicher.
  • In ganz Unterfranken waren Juden in der kommunalen Selbstverwaltung als Stadt- und Gemeinderäte aktiv, darunter Wilhelm Kahn und Bruno Stern in Würzburg, Max und Julius Schuster in Bad Brückenau, Moses Reus in Hofheim, Meier Walter in Kleinsteinach, Isidor Ullmann und Max Fromm in Kitzingen, Zacharias Simon und Ludwig Bermann in Karlstadt, Enslein Weikersheimer, Vitus Weikersheimer und Louis Kleemann in Gaukönigshofen sowie Nathan Bretzfelder in Bad Kissingen.
  • In Würzburg wurde der jüdische Buchhändler Felix Freudenberger, aktiver SPD- und Gewerkschaftsfunktionär, 1919 für eine Legislaturperiode sogar zum ehrenamtlichen vierten Bürgermeister gewählt. Da schluckten die Konservativen: Ein Jude an der Spitze der Stadt? Heute ist ein Platz am Main nach ihm benannt.
  • In den 20er Jahren erreichte die Integration der unterfränkischen Juden ihren Höhepunkt. Juden beteiligten sich an den Aktivitäten von Vereinen und Institutionen, trieben gemeinsam mit Christen Sport, förderten Wohltätigkeits- und Bildungseinrichtungen und trafen sich mit Kriegskameraden in Veteranenverbänden.
  • Der 1903 geborene Ernst Ruschkewitz, Sohn eines Würzburger Warenhausbesitzers, war begeistertes Mitglied der Würzburger Rudergesellschaft. In Höchberg gehörte der jüdische Schuldirektor Lazarus Ehrenreich dem Vorstand der Turngemeinde an. Im Krieger- und Schützenverein in Gaukönigshofen waren Juden aktiv, ebenso bei der Freiwilligen Feuerwehr Bad Kissingen. In Niederwerrn zählte der Radfahrer-Verein Bavaria mehrere jüdische Mitglieder in seinen Reihen. Die Liste ließe sich leicht verlängern.
  • Gleichzeitig existierte ein breites Spektrum jüdischer Vereine, so wie sich auch das religiöse Leben naturgemäß in der Regel in den eigenen Kreisen abspielte. Das war freilich bei Katholiken und Protestanten dasselbe. Andererseits nahm in der Weimarer Republik die Zahl der christlich-jüdischen Mischehen stark zu. Und wo es persönliche Freundschaften gab, war es selbstverständlich, dass man Familienfeste, beispielsweise Hochzeiten, besuchte, auch wenn diese im Gotteshaus der anderen Religion stattfanden.
  • All dies beendete das Jahr 1933. Als 1941 die Deportationen aus Unterfranken begannen, trugen viele Veteranen aus dem Ersten Weltkrieg ihr Eisernes Kreuz. Bevor sie die Züge bestiegen, mussten sie es abgeben.
  • Von den vielen jüdischen Gemeinden in Unterfranken ist eine, die in Würzburg, geblieben. Mit Aron Schuster hat Würzburg heute zum ersten Mal nach dem Krieg wieder einen jüdischen Stadtrat.

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