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Interview mit Oberst Kirsch und Generalmajor Drews zur aktuellen Debatte über die Bundeswehrreform

Veröffentlicht am von Dieter Gürz

Oberst Kirsch Generalmajor Drews
Oberst Kirsch                                              Generalmajor Drews
geführt von Dieter Gürz, ebenso Fotos gefertigt

 

 

 

Oberst Ulrich Kirsch ist Vorsitzender des BundeswehrVerbandes, der als überparteiliche und finanziell unabhängige Institution in allen Fragen des Dienst- und Versorgungsrechts die Interessen von mehr als 200.000 Mitgliedern vertritt, sowohl Wehrpflichtige, aktive und ehemalige Soldaten aller Dienstgrade und Statusgruppen als auch Familienangehörige und Hinterbliebene von Soldaten.

 

1. Thema: Sparvorgaben für die Bundeswehr

Die Vorgabe für den Bundesminister der Verteidigung, 8,3 Milliarden Euro einzusparen, wird dramatische Umwälzungen und den wohl größten Umbau in der Geschichte der Bundeswehr nach sich ziehen. Ist das für Sie der richtige Weg?

Gemeinsame Antwort von Kirsch und Drews:

Bevor Einsparungen verordnet werden, sollte aufgrund einer Sicherheitsanalyse vom Bundestag festgelegt werden, welche Aufgaben die Bundeswehr zur Verteidigungsfähigkeit Deutschlands und bei Auslandseinsätzen im Bündnis zu erfüllen hat. Daraus hätte sich dann zwangsläufig die Größenordnung für die Zahl der dafür notwendigen Soldaten und der benötigten Ausstattung ergeben.

 

2. Thema: Aussetzung der Wehrpflicht

Bundesverteidigungsminister zu Guttenberg will zum 1. Juli 2011 die im Grundgesetz verankerte Wehrpflicht aussetzen und stattdessen einen Freiwilligen-Wehrdienst für zwölf bis 23 Monate einführen. Was halten Sie davon?

Antwort Kirsch:

Ich habe bis zuletzt dagegen gekämpft. Die Aussetzung der Wehrpflicht kommt ihrer Abschaffung gleich. Die Verkürzung des Dienstes auf sechs Monate hat diesen Ausstieg besiegelt. Das ist deshalb so bedauerlich, weil wir mit der Wehrpflicht seit ihrer Einführung ausgesprochen gute Erfahrungen gemacht haben. Es hat aber keinen Sinn mehr gegen Windmühlen anzugehen.

 

3. Thema: Reduzierung der Truppenstärke

Während sich in der Wehrpflicht-Frage große Zustimmung für Guttenberg abzeichnet, stoßen die Überlegungen des Verteidigungsministeriums, die Truppenstärke von 252.000 auf rund 163 000 zu verringern, in beiden Unionsparteien auf scharfen Widerspruch. Gibt es schon Planspiele, wie sich mögliche Reduzierungen auswirken?

Gemeinsame Antwort von Kirsch und Drews:

Wir schwimmen beide selbst noch völlig im Dunkeln. Auch die Kommandoebene der Division wurde bisher leider noch nicht eingebunden. Aufgrund des Zeitfaktors erfolgen alle Beratungen „Topdown“ auf höchster Ebene im Verteidigungsministerium.

 

Zwischenfrage: Wann rechnen Sie mit einer Entscheidung?

Die Frage der Truppenstärke wird wohl nach den Parteitagen der CSU Ende Oktober in München und der CDU Mitte November in Karlsruhe entschieden. Wie dann nach dieser Vorgabe die Bundeswehr umstrukturiert wird, kann wohl nicht vor Spätsommer nächsten Jahres beantwortet werden.

 

4. Thema DLO-Standorte

Herr Drews, sie selbst haben erst im Juli 2002 im Rahmen des Transformationsprozesses der Bundeswehr in Veitshöchheim die Division Luftbewegliche Operationen (DLO) mit in Dienst gestellt. Diese gilt nach ihrer neuesten Broschüre mit rund 16.000 Soldaten und zivilen Mitarbeitern an 16 Standorten in sieben Bundesländern als eine der leistungsfähigsten Divisionen des deutschen Heeres und stellt Transporthubschrauberkontingente für die wichtigsten Auslandseinsätze der Bundeswehr im Kosovo und in Afghanistan. Haben Sie schon überlegt, wo Einsparungen möglich sind?

Antwort Drews:

Das weiß noch keiner, ob und welche Einsparungen der DLO auferlegt werden und was aus einzelnen Standorten wird. Grundsätzlich werden aber wohl alle 16 Standorte der Division zur Disposition stehen, also auch der Standort Veitshöchheim.

 

Anmerkung:

Bisher war die Rede davon, dass die DLO mit der seit lange erwarteten Auslieferung des NH90 Mehrzweckhubschraubers und des Kampfhubschraubers Tiger einen technologischen Quantensprung in der Hubschrauberfliegerei absolviert.

Noch im Februar war auf Welt Online zu lesen, dass die Bundeswehr 122 NH-90-Hubschrauber im Gesamtwert von 4,6 Milliarden Euro anschaffen will.

Die deutschen Soldaten in Afghanistan mussten bisher auch deutlich länger als geplant auf die ersten Kampfhubschrauber des Typs Tiger warten. Laut Pressemeldung will die Bundeswehr die ersten Helikopter frühestens im November 2011 in Dienst stellen. Die Abnahme war im Mai dieses Jahres gestoppt worden, da die elf gelieferten Hubschrauber untauglich waren.

Nun plant der Verteidigungsminister nach einem Bericht der süddeutschen Zeitung vom 6.10. 2010 auch erhebliche Einschnitte bei Beschaffungsprojekten. Das Verteidigungsministerium überprüft derzeit alle Projekte. Darunter fallen auch der Transporthubschrauber NH 90.

Für DLO-Kommandeur Drews wird daraus das Dilemma deutlich, einerseits einsparen zu wollen, andererseits aber leistungsfähig für luftbewegliche Einsätze im Ausland sein zu müssen.

 

5. Thema: Afghanistan

In Afghanistan müht sich die Staatengemeinschaft unter Führung der USA schon seit einem Jahrzehnt mit Zehntausenden Soldaten, Aufbauhelfern und Milliarden an Dollar, das Land in Richtung Demokratie zu bewegen. Doch die Soldaten kämpfen mehr und mehr ums eigene Leben. Die traurige Nachricht, dass deutsche Soldaten sterben mussten, kommt inzwischen regelmäßig aus Afghanistan. Was sagt dazu der Deutsche Bundeswehrverband?

Antwort Kirsch:

Der nun schon ein Jahrzehnt dauernde Krieg gegen die Taliban beweist, dass Waffen keinen Frieden schaffen. Wir fordern deshalb so bald wie möglich den Abzug aus Afghanistan, wo sich die Bundeswehr schon seit Ende 2001 engagiert.

 

6. Thema: Traumatisierte Soldaten

Die Zahl der Bundeswehrsoldaten, die traumatisiert von einem Afghanistaneinsatz zurückkommen, steigt dramatisch. Die Bilder des Krieges, der Gefechte und Selbstmordanschläge lassen sie nicht los. Wie sieht der DBwV die Lage?

Antwort Kirsch:

Viele Auslandsheimkehrer fühlen sich durch ihren Dienstherrn schlichtweg im Stich gelassen und werden viel zu oft ihrem Schicksal überlassen werden. Bei der Neustrukturierung der Einsatzarmee Bundeswehr muss endlich das Thema „Betreuung und Fürsorge“ ganz oben auf die Agenda gesetzt werden und darf nicht der Eigeninitiative betroffener Menschen überlassen werden. Hier ist ein erheblicher Nachsteuerungsbedarf durch ausreichend Personal und Mittel vorhanden.

 

7. Thema: Nachwuchsgewinnung

Ist durch die Abschaffung der Wehrpflicht die Nachwuchsgewinnung bei der Bundeswehr in Gefahr. Was muss im Zuge der Reform geschehen?

Antwort Kirsch:

Ohne Attraktivität werden die Streitkräfte nicht funktionieren. Wir haben eine „Attraktivitätsagenda“ erstellt, die mit Blick auf die Einsatzbereitschaft und Durchhaltefähigkeit der Streitkräfte und zudem vor dem Hintergrund des demographischen Wandels von überlebenswichtiger Bedeutung ist. Dazu haben wir dem Verteidigungsminister einen Forderungskatalog mit 25 Verbesserungsvorschlägen überreicht wie über finanzielle Anreize, Vorteile bei der Studienplatzvergabe und dergleichen. Die Bundeswehr steht als Arbeitgeber mit der Wirtschaft im Wettbewerb um die klügsten Köpfe und die geschicktesten Hände. Da müssen wir punkten. Der Verteidigungsminister hat zugesichert, dass unser Forderungskatalog in die parlamentarischen Beratungen geht.

 

 

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