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Applaus ohne Ende: Einzigartige Aufführung der Kantaten I, V und VI des Weihnachtsoratoriums von Johann Sebastian Bach in der barocken Veitshöchheimer Vituskirche durch die örtliche Sing- und Musikschule

Veröffentlicht am von Dieter Gürz

Einen unermesslichen Reichtum an freudigen Klängen mit der Eintrittskarte eingetauscht hatte das Publikum bei der Inszenierung der Teile I, V und VI des Weihnachtsoratoriums von Johann Sebastian Bach in der Vituskirche durch den Projektchor der Sing- und Musikschule Veitshöchheim (SMSV).

Für die 230 Zuhörenden der ersten der beiden ausverkauften Vorstellungen am Sonntagabend war es ein unikales Ereignis von brillanter Qualität. Die 54 Stimmen des Projektchors, 22 Instrumentalisten des Projektorchesters und vier Solisten füllten den hervorragenden Klangraum der barocken Vituskirche mit gefühlter Leichtigkeit.

Dorothea Völker, die frühere Leiterin der SMSV von 1984 bis August 2017, die zum 900-jährigen Jubiläum der Gemeinde Veitshöchheim im Jahr 1997 den Projektchor  Veitshöchheim gründete, hat es sich zur Aufgabe gemacht, größere Werke der Chorliteratur zu erarbeiten. Nach dem Riesenerfolg des 4B-Konzerts (Bach's Magnificat, Beethoven's Chorfantasie, Bernstein's Cichester Psalms und Bruckner's Te Deum) mit den Hofer Sinfonikern im September 2022 in der St. Johannis-Kirche in Würzburg kam Völker nun mit Bach's Weihnachtsoratiorium dem Wunsch nach, den Chor wieder einmal „daheim“ hören zu können.

Die beliebteste Weihnachtsmusik des deutschen Barock entführt in eine Welt voller Emotionen und spiritueller Tiefe, deren zeitlose Geschichte vom Frieden auf Erden die Herzen berührt. Bach ezählt in sechs Kantaten die Weihnachsgeschichte, die er für den ersten (Teil I - Geburt Jesu), zweiten (Teil II -Verkündigung des Engels) und den damals noch existierenden dritten Weihnachtsfeiertag (Teil III - Anbetung der Hirten), den Neujahrstag (Teil IV - Namensgebung), den ersten Sonntag nach Neujahr (Teil V - Ankunft der Weisen) und den 6. Januar, dem Dreikönigstag (Teil VI - Anbetung der Weisen) komponierte. 

Zur  Inszenierung der Teile I, V und VI des Weihnachtsoratoriums in der Vituskirche konnte Dorothea Völker in Pfarrer Christian Nowak den idealen Partner finden, der sogar zustimmte, dass die Vituskirche in den ersten Januartagen wegen der Aufbau- und Probearbeiten nicht öffentlich zugänglich war.

Seit September wurde geprobt, die Organisation aufgebaut, das Konzept aufgestellt und mit der Pfarrei abgestimmt. Eine wertvolle Hilfe waren auch Bauhofmitarbeiter, die das Podest-Gerüst für den Chor lieferten und mitaufbauten. Für den Pfarrer waren es historische Stunden, in denen erstmals in der Vituskirche Teile des berühmten Weihnachtsoratoriums von J. S. Bach  erklangen. Nowak: "Genau 290 Jahre nach der Uraufführung durften wir auf den Tag genau die entsprechenden Teile des Oratoriums hören, die das Tagesgeheimnis musikalisch darstellen: die Geburt des Herrn und sein Erscheinen vor der Welt, was im Besuch der Weisen aus dem Morgenland zum Ausdruck kommt."

Der charismatischen Dirigentin gelang  eine harmonische Verschmelzung von Chor, Solisten und Orchester, so dass sich die volle Strahlkraft von Bach's großartiger Musik entfalten konnte. Sie gab allen große Sicherheit, in dem sie mit Bestimmtheit, viel Gefühl und fast einfangenden Gesten durchs Oratorium führte.

Ein großes Lob verdiente sich der ausschließlich von Laien besetzte Projektchor. Ganz in schwarz gekleidet und gestaffelt auf einer Tribüne stehend, entwickelten die die dem Chorgesang in ihrer Freizeit frönenden 54 Chormitglieder einen ausgezeichneten Klangkörper mit leuchtenden Sopranen, weichen Altstimmen und präzisen und voluminösen Männerstimmen.

Fröhlich und schwungvoll sorgten sie vielstimmig vor allem bei den großen Chorsätzen "Jauchzet, frohlocket“, "Ehre sei dir, Gott gesungen“ und "Herr, wenn die stolzen Feinde schnauben" zu Beginn der drei Kantaten für einen exzellenten Ohrenschmaus. Herzergreifend wurde es bei den differenziert in Tempo und Dynamik erklingenden Chorälen wie  "Ach mein herzliebes Jesulein", "Ich steh an deiner Krippen hier" und am Ende "Nun seid ihr wohl gerochen" (= gerächt, das Gute hat gesiegt).

Als Gesangssolisten konnte Völker mit v.l. Frederik Lipka (Bass), Charlotte Schmalzl (Alt), Victoria Sommerer (Sopran) und Adnan Barami (Tenor) exzellente Studierende der Musikhochschule Würzburg engagieren, denen Bach im Oratorium verschiedene Rollen zuweist. So übernimmt klassischerweise der Tenor den Part des Evangelisten und damit des "Erzählers", während  der Bass eindrucksvoll dem Herodes seine Stimme leiht. Aber auch der weibliche Part wusste bei den Arien mit leuchtend strahlender Sopran-Stimme und mit weicher, warmer Altstimme zu überzeugen.

Begleiten sollte dieses Mal den Projektchor nicht wie bei den bisherigen Großprojekten ein bestehendes professioneles Orchester, sondern eine Formation aus Veitshöchheimern, die ihr Instrument perfekt beherrschen. Der Funke sprang über, es wurden Freunde und Bekannte, hervorragende Jugendliche sowie Musikschul- und Hochschul-Dozenten gewonnen. Tatsächlich fand sich die komplette Instrumentalbegleitung als 22köpfiges Projektorchester zusammen, das durch homogenen Klang und abwechslungsreicher Instrumentalbesetzung faszinierte.

So sorgten die hohen Bachtrompeten (v.l. Vinzenz Wolpold, Hans Molitor und Zeyu Yang) für Gänsehautfeeling.

Den Ton gaben zumeist die Streicher an. Einen vollendeten Hörgenuss kredenzten so an der Violine v.l. Rolf Wagemann, Eva-Maria Kieninger, Karina Mass, Michael Sendtner, Rainer Nürnberger (Musiklehrer SMSV mit vielen Soloeinlagen), Elisabeth Knorr,  an der Viola Monika Langenstein

 und Jason Ackermann, am Cello Joachim Pflaum und Malte Meesmann (v.l.)

und am Kontrabass Manuel Dörr, während herausragend an der Truhenorgel Daniel Delgado (Musiklehrer SMSV) fortlaufend im Einsatz alle Stücke musikalisch begleitete.

An den Oboen brillierten Karin Glenz-Riedel und Therese Sotriffer und

an den Flöten Juhee Kim und Gabriel Weber (Musiklehrer SMSV).

Bei den drei großen Eingangs-Chor-Einsätzen dominierte neben Trompeten an den Kesselpauken Achim von Bassen (Musiklehrer SMSV).

Für Dorothea Völker sind der von ihr 1997 gegründete Projekt-Chor und neuerdings der erstmalige Auftritt des Projektorchesters auch ein Beweis einer kulturell aktiven und sehr engagierten BBgergesellschaft in Veitshöchheim.

Zum Inhalt:

Zu Beginn des Teils I bejubelt der Chor, begleitet von Pauken und Trompeten, die Geburt des Heilands mit einem freudigen „Jauchzet, frohlocket, auf, preiset die Tage“.

Anrührend: Charlotte Schmalzl (Alt)  mit der Arie "Bereite dich Zion", begleitet von  Streichern und einer Oboe

Erzählte die erste Kantate von Jesu Geburt, so wechselt Bach mit der fünften und sechsten Kantate das Evangelium von Lukas zu Matthäus, bei denen es sehr spannend wird. Herodes kommt ins Spiel und versucht durch Intrigen den „neugeborenen König“ zu vernichten.

Spitze: Das Geigensolo von Rainer Nürnberger bei der Terzett-Arie "Ach wenn wird die Zeit erscheinen" von Alt, Sopran und Tenor

Die Weisen aus dem Morgenland sollen das Kind ausfindig machen und Herodes berichten, wo es sich befindet, so dass auch er es anbeten kann. Zynisch und heuchlerisch singt Herodes im Rezitativ „Ziehet hin und forschet fleißig nach dem Kindlein, und wenn ihrs findet, sagt mirs wieder, daß ich auch komme und es anbete“.

Zwei große Eingangschöre „Ehre sei dir Gott gesungen“ und „Herr, wenn die stolzen Feinde schnauben“, aufgewühlte Arien, vorantreibende Rezitative, aber auch innerliche Ruhe und Betrachtung stehen für diese beiden Teile, die wieder im D-Dur und A-Dur Bereich komponiert sind.

Brillant: Bassist Frederik Lipka  mit der Arie "Erleucht auch meine finstre Sinnen" mit Soloeinlage von Rainer Nürnberger

Bach greift im Teil VI auf die Hirtenszene im Teil II zurück mit dem innigen Choral „Ich steh an deiner Krippen hier“, der in der Tonart G-Dur gesetzt ist. Das Zurückbesinnen auf die milde und weichere Tonart G-Dur der Hirten- und Engelsszene verdeutlicht die Zusammengehörigkeit des gesamten Werkes und verleiht an dieser Stelle dem Choraltext „…ich schenke dir, was DU mir hast gegeben. Nimm hin! Es ist mein Geist und Sinn, Herz, Seel und Mut nimm alles hin, und laß dirs wohlgefallen!“ – eine starke Wirkung.

Und es erschallen auch wieder die Trompeten. Im Finale des Weihnachtsoratoriums, das erstmals zum Dreikönigstag 1735 erklang, schließt Bach mit brillierenden Trompeten im Eröffnungschor „Herr, wenn die stolzen Feinde schnauben“ eine Brücke zu der Eröffnung von Teil I.

Die von  Victoria Sommerer interpretierte Sopran-Arie „Nur ein Wink von seinen Händen“ gleicht einer Tanzmelodie.

Zum Schluss tritt Tenor Adnan Barami, der als  Evangelist die Heilige Schrift näherbrachte, aus der Rolle des Verkündigers und gibt sich in „So geht! Genug, mein Schatz geht nicht von hier“ als Teil der Gemeinde.

Die Einheit im „Oratorium“ wird auch am letzten Rezitativ „Was will der Höllen Schrecken nun“ vor dem Schlusschor deutlich: Wie am Ende der Matthäuspassion vereinigen sich hier noch einmal alle vier Solisten: „Sie kommen von Norden, von Süden, Osten und Westen, hoch und tief und mittel und unten, und singen dann gemeinsam weltbewegend die letzten versichernden Worte "Da wir in Jesu Händen ruhn‘.

Das Einflechten der Choräle und Arien in die vorantreibende Erzählung des Evangelisten schaffte Ruhe und Betrachtung, aber auch Dramatik.

Herzergreifend endet das Oratorium mit dem Choral "Nun seid ihr wohl gerochen" (= gerächt, das Gute hat gesiegt), differenziert in Tempo und Dynamik wie schon bei den vorherigen Chorälen der Teile I und V  "Ach mein herzliebes Jesulein" und "Ich steh an deiner Krippen hier".

Damit endete ein Konzertabend der Extraklasse, den das Publikum mit minutenlangem Applaus belohnte.

Fotos Dieter Gürz

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