Beispielhaft: Inklusion hat beim Jüdischen Kulturmuseum Veitshöchheim einen enormen Stellenwert - Museologie-Studierende erstellten weitere taktile und digitale Info-Points
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13 Museologie-Studierende erstellten weitere digitale Info-Konzepte für das Jüdische Kulturmuseum Veitshöchheim (JKM), die sie sowie ihre Umsetzung am Donnerstag-Abend im Foyer in Anwesenheit einiger Ehrengäste präsentierten.
Im Vorjahr entwickelten zwölf Studierende des Fachbereichs Museologie der Uni Würzburg unter der Leitung der Dozentin Simone Doll-Gerstendörfer für das Jüdische Kultur-Museum Veitshöchheim (JKM) für die vier Objekte Bima, Gedenktafel, Misrach und Mesusa Taststationen, um die gemeindliche Einrichtung auch für Blinde und Sehbehinderte erfahrbarer zu machen.
Sehr zur Freude der gemeindlichen Museumsleiterin Dr. Martina Edelmann setzte die Dozentin heuer im Jubiläumsjahr "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" die Zusammenarbeit mit ihr fort. Waren es im Vorjahr einzelne taktile Objekte, so stellte Simone Doll-Gerstendörfer im neuen Projektseminar unter dem Titel "Inklusion und Digitales" die Aufgabe, sich mit Räumen wie Laubhütte, Vorsängerwohnung und Mikwe (Ritualbad) sowie mit der jüdischen Familie Freudenberger auditiv auseinander zu setzen, wobei auch das Taktile dazu gehört.
Wie die Dozentin erläuterte, habe im Seminar mit zehn Studierenden der Museologie und einer der europäischen Ethnologie sowie zwei Gymnasiums-Lehramtsstudenten mit Schwerpunkt Geschichte geballte Kompetenz zusammengefunden. In vier Seminar-Gruppen hätten sie sich intensiv mit den Räumen und ihrer Bedeutung für das jüdische Leben auseinander gesetzt, in Audioaufnahmen zentrale Gesichtspunkte herausgearbeitet, gespickt mit spannenden Hintergrundinformationen, Interviews, aber auch taktile Objekte und Reliefs wurden entwickelt, speziell für Blinde und Sehbeeinträchtigte Menschen, aber auch, die Inklusion im Kopf, für alle Menschen. Dazu gehören auch nicht ganz einfache Wegbeschreibungen für das schwierig zu begehende JKM mit seinen steilen, engen Treppen und verwinkelten Raumsituationen.
Neben Edelmann waren auch die Behindertenbeauftragte der Gemeinde Christina Feiler, die jüdische Lehrerin und Dolmetscherin Rivka Shahaf-Scherpf aus Margetshöchheim und der Mobilitätstrainer Hellmuth Platz vom Berufsförderungswerk für erwachsene Blinde und Sehbehinderte (BFW) ganz gespannt, was die vier Seminargruppen dann im Einzelnen mittels Powerpoint präsentierten.
Zur digitalen Umsetzung der Projektarbeiten durch Hellmuth Platz siehe Ausführungen nach deren Vorstellung
Vorstellung der vier Gruppenarbeiten
Mikwe (Ritualbad)
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Die Referentinnen Nicole Zaunrith, Franziska Ludwig und Sarah Hug erstellten eine auditive Weg- und Raumbeschreibung, informierten über die Bedeutung der Mikwe und führten ein Interview mit Laura aus Fürstenfeldbruck, wie eine junge Jüdin zu diesem traditionellen jüdischen Brauch, durch Untertauchen im Wasser rituelle Reinheit zu erlangen (genaue Beschreibung siehe Tafel im Foto unten).
Die Gruppe fertigte ein Tastmodell aus Holz mit grünen Fliesen, rot modellierter Treppe zugefügtem Wasser, grau verputzter "Steinwand".
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Laubhütte
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Julia Braun, Anna Ganzleben und Jana Hauguth erstellten für diesen Raum im DG des JKM eine Audiodeskription (= akustische Bildbeschreibung = ein Verfahren, das blinden und sehbehinderten Menschen ermöglichen soll, visuelle Vorgänge besser wahrnehmen zu können).
Besonderheiten ihrer Raumbeschreibung sind das Wandfresko und die Vitrine mit Lulav-Strauß. Neben einer Wegeführung vermittelten sie Kenntnisse der jüdischen Festkultur und des jüdischen Lebens in und um Veitshöchheim/Würzburg und führten hierzu auch ein Interview mit Rivka Shahaf-Sherpf.
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Vorsängerwohnung
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Im Schulraum galt es für Nina Colantonio, Gefion Göttert, Linda Hader und Maximilian Wieser, die Bildung in der jüdischen Kultur greifbar und erfahrbar zu machen.
Hier erstellten die Studierenden neben Audioinhalten eine taktile Buchstabentafel zum Ertasten des hebräischen, aus 22 Buchstaben bestehenden Alphabets, das in der Schule gelehrt und von rechts nach links gelesen wurde, jeweils zugeordnet die deutschen Laute.
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Für den Sprachraum erarbeiteten die Studierenden Hörbeispiele in Jiddisch, Hebräisch, Lachoudisch und der Viehhändlersprache.
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Taktil bastelte die Gruppe einen großen Dreidel zur spielerischen Erreichbarkeit der Buchstaben. Es sind dies Kreisel, die traditionell an Chanukka, dem Lichterfest der Juden gespielt werden. Das Spiel erinnert an die Befreiung des jüdischen Volkes von ihren griechischen Herrschern.
Jüdische Familie Freudenberger
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Die Studierenden Celine Segert, Ann-Marie Grohmann, Heiner Ullmann, Barbara Bergenthaler gingen auf Spurensuche bei den Veitshöchheimer Freudenbergers, zu der auch Rita Trapp gehörte, die 1914 in Veitshöchheim geboren, 1937 nach Palastina auswanderte und dort 1940 den Würzburger Leo Trapp heiratete und mit ihm eine Familie gründete. Sie kam, wie auf dem Foto unten zu sehen, 1994 zur Einweihung der Synagoge nach Veitshöchheim.
Auf dem Foto sind von links auch die Lehrerin des BFW im Ruhestand und Mitglied des Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbundes Barbara Mergenthaler und Veitshöchheims Behindertenbeauftragte Christina Feiler zugegen. Mergenthaler war das Semester über Kooperationspartnerin der Gruppe „Freudenberger“ und hat mit ihr von Anfang an gemeinsam die auditiven und taktilen Vermittlungsmodule entwickelt, sie beraten und unterstützt.
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Kooperationspartnerin der Gruppen „Laubhütte“ und „Vorsängerwohnung“ war Blumi Noll (Foto links), ebenfalls Bayerischer Blinden- und Sehbehindertenbund.
Kooperationspartner der Gruppe „Mikwe“ war Volker Tesar, Vorsitzender des Blinden- und Sehbehindertenbundes Würzburg und Unterfranken e.V. der wegen einer Terminkollision nicht anwesend sein konnte.
Für die Dozentin Doll-Gerstendörfer war für die Studierenden diese für das Gelingen inklusiver Prozesse und Projekte grundlegende enge Kooperation entsprechend dem zentralen Grundsatz der UN-Behindertenrechtskonvention „Nichts über uns ohne uns“ mit dem Anspruch eines hohen Levels an Partizipation sehr wichtig und wertvoll.
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Die Gruppe nahm Kontakt auf zu den Enkeln der den Holocaust überlebenden Freudenbergers (links im Foto oben beschrieben), versande einen Fragenkatalog für Interviews. Die Antworten kamen sowohl als Audio, als auch in schriftlicher Form.
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Die Studierenden standen nun vor der schwierigen Aufgabe, dies alles zu transkribieren und für die Audiostation zusammenzufassen und nach den Themen Erbstücke, Traditionen, Stolpersteine, Antisemitismus, Gefühle und Religion zu gliedern.
Schließlich erstellten sie eine taktile Weltkarte (links) mit den Wohnorten Brasilia, Melbourne, New York, New Jersey, Jerusalem und Sacramento der in aller Welt verteilten Nachfahren.
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Digitale Umsetzung im Museum durch Hellmuth Platz
Zu den einzelnen Objekten und Audiostationen des letztjährigen Semesters hatte BFW-Experte Hellmuth Platz im Museum während der Corona-Pandemie bereits elf Beacons, mehrere GPS-Punkte und QR-Codes an den einzelnen Objekten und Audiostationen installiert. Beacons sind in der Decke installierte kleine Informationsträger, über die Museumsbesucher durch eine vom BFW entwickelte Smart-Info-App Audioinhalte abrufen können. Das neue Semester, so hatte die Dozentin Doll-Gerstendörfer erklärt, habe alles dafür getan, das Museum für Behinderte mittels der Smart-Info-App des BFW noch mehr erfahrbarer zu machen.
Als Orientierungs- und Mobilitätstrainer für Blinde, so sagt Smart-Info-Begründer Platz, habe er eine ganz andere Sichtweise und einen ganz speziellen professionellen Blick. Die Beschreibung der einzelnen Räume sei den Seminargruppen sehr gut gelungen. Er sei wirklich froh, dass nun auch dieses zweite Projektseminar stattfand und nun aus einer ganz anderen Sicht eine ganz runde Sache entstehen kann.
Er steht nun allerdings vor der zeitaufwändigen Aufgabe, auch die neuen Texte, Audios und Interviews in die Smart-Info-App einzupflegen. Dies leiste er ehrenamtlich aus Interesse, dass es vorangeht. Insgesamt rechnet er mit bis zu 30 digitalen Infopunkten im JKM. Noch weiß er nicht, wie er das Ganze technisch umsetzen kann, weil nicht überall im JKM W-LAN zur Verfügung steht und auch das mobile Netz nicht ganz ausreiche.
Er findet es aber ganz toll, dass es nun auch Aspekte gibt für die digitale Umsetzung für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen, weil ja ein gehbehinderter Mensch nun nicht unbedingt in die Vorsängerwohnung oder in die Obergeschosse des JKM kommt. Auf alle Fälle bedeute die Umsetzung für ihn nun eine Menge Arbeit, die er ehrenamtlich aus Interesse leiste, dass es vorangeht, da es ein richtig gutes Projekt sei.
Was im JKM im Rahmen eines Gesamtkonzept nun noch fehle, so Platz, seien Bodenindikatoren (tastbares Leitsystem für Blinde, damit sie Stufen erkennen und nicht stürzen) und eine Rampe für Rollstuhlfahrer im Gang neben dem Eingangsgebäude, dass diese zumindest in den Innenhof gut reinkommen.
Fotos Dieter Gürz