Kölner Quintett TOVTE verzauberte 50 Zuhörer beim 4. Veitshöchheimer Sommerkonzert mit Klezmer- und Tangoklängen
Einen mitreißenden Mix aus Klezmer und Tango brachten beim 16. STAMU Würzburg Festvial für Straßenkunst vom 6. bis 8. September 2019 die Klezmergruppe "Tovte" aus Köln auf die Straße. Mit Dynamik, treibenden Rhythmen, Virtuosität und Witz zogen die fünf Musiker ihr Publikum in ihren Bann. Für Rainer Schwander, dem künstlerischen "Spiritus Rector" der Veitshöchheimer Sommerkonzerte im Synagogenhof war sofort klar, dass diese Kombo eine tolle Bereicherung für diese Konzertreihe wäre. Es gelang ihm, die Künstler heuer zur 12. Auflage der Sommerkonzerte vom Rhein an den Main zu holen.
Wie Mitorganisatorin Martina Edelmann vom gemeindlichen Kulturamt sagte, hätten weit mehr Karten als für die wegen Corona in der Christuskirche maximal 50 zulässigen Besucher verkauft werden können. Einige nahmen spontan im Hof Platz. Schon bei der Eröffnung mit dem Klezmer-Klassiker "Odessa Bulgar" mit seinem dominantischen Auftakt und seinem fanfarenartigen Schluss spürte man förmlich, wie das Quintett voller Spielfreude musizierte, waren die Musiker doch nach dem Lockdown im März erst vor einer Woche erstmals wieder vor Publikum aufgetreten.
Im Gegensatz zum Trio "Si Senor!" mit der Latina-Sängerin Margarita González vor einer Woche, verzichtete die Gruppe auf Verstärker, so dass durch die einzigartige Akustik des neugestalteten Kirchenraums die exzellent und mit viel Leidenschaft gespielten Instrumente Klarinette, Bratsche, Violine, Gitarre und Kontrabass bei der Wiedergabe jiddischer Lieder, Jazz-Manouch-Eigenkompositionen und Tango-Klassiker voll zur Geltung kamen.
Tovte präsentierte auch schwungvolle Klezmer-Lieder aus ihrer Gründerzeit wie "Sherele", Evgenis Tauben", "Itamar-Freilach" und "Di Zaposhkelech", alle auch in ihrem 2019 erschienenen Album "Krawalle & Lieder" enthalten, ebenso auch zum Schluss der Gassenhauer "Nutty Nathi", bei dem alle mitklatschten.
Gefunden hatte sich die Gruppe im Sommer 2012, zunächst als Straßenmusik-Kapelle um Tobias Gubesch. Direkt von der Straße weg wurde Tovte eingeladen, auf einer jüdischen Hochzeit in der Synagoge Köln zu spielen. Das war die Geburtsstunde der Band und Initialzündung für eine Reise in die Welt des Klezmer.
Viele der präsentierten Stücke stammen aus ihren Federn, so auch der emotionale, förmlich überschäumende "Cappuchino Blues".
Wie hier brillierten die Interpeten immer wieder mit mitreißenden Solopassagen, allen voran Tobias Gubesch, der meist mit seiner Klarinettte den Ton angab und das Programm auch moderierte.
Ganz dem Zeitgeist angepasst erklang das in der Coronazeit geschriebene Klezmerstück "Quarantäne", nach klagendem Beginn mit hoffnungsfrohen Geigenklängen sich in ein unbändiges Tempo steigernd. Ganz neu in Coronazeiten entstand auch "Regen", bei dem Gitarre und Geigen die Tropfen förmlich niederrfallen lassen, ehe dann alles temporeich in einem Guss endet.
Als flotte Weise, zugleich melancholisch, entpuppte sich in vollendeter Harmonie "Loreley" (auf Felsen am Rheinufer erbaut), ebenfalls eine Eigenkomposition.
Völlig verausgabte sich die Gruppe beim Klezmerstück "Der Rebbe Elimelech" über einen chassidischen Wanderprediger, der sich 1772 im galizischen Shtetl Lyschansk niederließ. Das nach wunderschönen Walzerklängen der Geigen und phantastischen Klarinettensolos in einem stürmischen Stakkato endende Stück riss alle zum MItwippen mit.
Klezmertypisch war auch das schwungvolle Lied "Di Grine Kuzine", das das Schicksal von über zwei Millionen jüdischen Immigranten aus Osteuropa beschreibt, die, getrieben von Armut, Unterdrückung und Pogromen im zaristischen Russland, zwischen 1880 und 1924 in die USA kamen und als die "Grinen" (= Bezeichnung für Neueinwanderer) im Gegensatz zu den alteingesessenen und schon etablierten Juden, feststellen mussten, dass das Leben in New York unter erbärmlichen Wohn- und Arbeitsverhältnissen auch nicht besser war und sie vom Regen in die Traufe gekommen waren.
Fröhlichkeit und Lebensfreude vermittelte "Tovte" mit argentinischen Tangos wie "Campo Afuera", "Silhueta Pertona" (Skyline von Buenos Aires) und zum Dahinschmelzen "Loca". Der jiddische Tango "Papirosn" wiederum vermischte mit der Emigration jüdischer Musiker aus Osteuropa nach Argentinien zu Beginn des 20. Jahrhunderts sich mit seinen osteuropäischen Sounds und dem Kolorit der jiddischen Sprache mit dem boomenden Tango Argentiniens . Aus den Einwanderer-Quartieren in Buenos Aires reiste der jiddische Tango auch nach Europa. In der Zeit des Holocausts verbreiteten sich die melancholischen Lieder dort in Ghettos und Konzentrationslagern – und mit ihnen die Hoffnung auf Freiheit.
Nach 90 Minuten tollem Konzertgenuss und lauten Bravorufen blieb sehr zum Leidwesen der Musiker nur noch Zeit für die stimmungsvolle Zugabe "Freylekh Zain", bei dem alle ihr exzellentes Können noch einmal demonstrierten.
Tobias Gubesch (*1991) studierte Klarinette und Instrumentalpädagogik an der Hochschule für Musik und Tanz Köln und an der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf. Seit 2018 studiert er Musik und Medien am Institut für Musik und Medien der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf.
Er ist Gründungsmitglied des Kölner Ensembles ‚electronic ID‘, das sich auf die Interpretation von intermedialer Musik des 21. Jahrhunderts spezialisiert hat, und der Klezmer-Gruppe ‚Tovte‘, mit der er 2019 beim Wettbewerb ‚creole NRW‘ den Sonderpreis gewann.
Aufgrund seiner Leidenschaft für das Kinder- und Jugendtheater performt er als Theatermusiker unter anderem am Jungen Nationaltheater Mannheim und am Theater Marabu in Bonn, wo er zudem auch als Sounddesigner und Komponist tätig ist. Mit der Produktion ‚Der Bär, der nicht da war‘ erhielt er 2018 den Theaterpreis des Landes NRW.
Nathalie Litzner, Bratsche, geboren in Frankfurt am Main und aufgewachsen in Mülheim an der Ruhr spielt seit dem zwölften Lebensjahr in diversen Orchestern und Ensembles (zuletzt im Jugendsinfonieorchester der Tonhalle Düsseldorf unter der Leitung von Ernst von Marschall). Nathalie ist Gründungsmitglied von Tovte (2012). Neben ihrem musikalischen Interesse ist auch die Bildende Kunst ein wichtiger Teil ihrer Biografie. Seit September 2015 studiert sie an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter bei Bonn.
Anna Neubert, Violine, geboren in Hagen erhielt ihre geigerische Ausbildung – zunächst als Jungstudentin – an der HfMT Köln, bei Gorjan Kosuta und Susanna Yoko Henkel.
Ab 2014 studierte sie im Master an der HfMT Köln. Auszeichnungen und Förderung erhielt sie u.a. beim Internationalen Alois Kottmann Wettbewerb, beim Concours Internatinonal de Leopald Bellan, beim Boris Pergamenschikow Wettbewerb und in der Konzertförderung „Yehudi Menuhin – Live Music Now e.V.“. Ihr spartenübergreifendes Bachelorkonzert „Seiltänzer“ wurde 2013 mit Bestnote ausgezeichnet. Sie konzertiert als Solistin mit dem Klettenberger Kammerorchester, im Duo FIDES mit dem Gitarristen Leonhard Spies sowie in diversen Ensembles mit Schwerpunkt auf zeitgenössischer Musik. In der Band Tovte genießt sie neben der Erkundung der Klezmerwelten auch eine andere langjährige Leidenschaft verfolgen zu können: die Tangomusik.
Der Kontrabassist Silas Eifler arbeitet als freischaffender Musiker in Köln. Als Sänger und Gitarrist und Bassist steht er mit der Band „Vanilla Boat Crew“ (seit 2010), mit dem Projekt „Manuel Quero und die Eiflers“ (seit 2014), sowie seit 2018 im Duo „Acordada“ (Tangos und Choros mit Flöte und Gitarre) auf der Bühne.
Silas Eifler übernahm 2012 -2016 die musikalische Leitung von Theaterproduktionen im Teatron Theater und für das integrative Theater Projekt „Wintergarten“ 2016.
Seit 2018 ist Silas Kontrabassist bei „Tovte“.
Fotos (c) Dieter Gürz