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Veitshöchheimer Gemeinderat macht Ausnahme zur Regel: Bauleistungen werden grundsätzlich nur noch in nicht öffentlicher Sitzung vergeben - EU-VO: Transparenz ist ein Wesenselement der Demokratie

Veröffentlicht am von Dieter Gürz

Erste große Baumaßnahme, die der Veitshöchheimer Gemeinderat in nichtöffentlicher Sitzung vergab, war im April 2020 der Auftrag an die Würzburger Pflasterbau zum Preis von 3,84 Mio. Euro

Seit 1952 geltende Praxis gilt nicht mehr

Was seit dem Inkrafttreten der Gemeindeordnung im Jahr 1952 bislang reibungslos funktionierte, nämlich Bauleistungen transparent in öffentlicher Sitzung zu vergeben, setzte nun der Gemeinderat in seiner Sitzung am letzten Dienstag in den Mainfrankensälen durch einstimmigen Beschluss außer Kraft und segnete damit eine Verfahrensweise ab, die die Geschäftsleitung der Gemeinde bereits seit Jahresbeginn praktizierte. 

Während die Gemeindeordnung in Art. 52 vorschreibt, dass nur im Ausnahmefall die Öffentlichkeit, so bei „Berechtigten Ansprüchen einzelner“, ausgeschlossen wird, ist dies jetzt in Veitshöchheim die Regel. 
 

Seit dem Erlass der Gemeindeordnung (GO) durch den Bayerischen Landtag am 25. Januar 1952 lautet gleichlautend bis heute in der GO (i.d.F. der letzten Änderung vom 29.12.2019) über die Öffentlichkeit von Sitzungen unverändert Art. 52 Abs. 2-4:

  • (2) 1 Die Sitzungen sind öffentlich, soweit nicht Rücksichten auf das Wohl der Allgemeinheit oder auf berechtigte Ansprüche einzelner entgegenstehen.
  • 2 Über den Ausschluss der Öffentlichkeit wird in nichtöffentlicher Sitzung beraten und entschieden.
  • (3) Die in nichtöffentlicher Sitzung gefaßten Beschlüsse sind der Öffentlichkeit bekanntzugeben, sobald die Gründe für die Geheimhaltung weggefallen sind.
  • (4) Die Sitzungen haben in einem der Allgemeinheit zugänglichen Raum stattzufinden.
Dem öffentlichen Interesse werde dadurch Rechnung getragen, so der nun auf Vorschlag von Bürgermeister Jürgen Götz gefasste Beschluss, dass der in nicht öffentlicher Sitzung gefasste Vergabebeschluss eines Gewerkes an eine Firma dann im Gemeindeblatt bekannt gegeben wird, wenn die Gründe für die Geheimhaltung wegfallen, die Auftragssumme aber nur, wenn die beauftragte Firma der Veröffentlichung nach Anfrage durch die Verwaltung ausdrücklich schriftlich zustimmt. 

Prägnantes Beispiel

Unter Ausschluss der Öffentlichkeit hatte der vom Gemeinderat als Corona-Notausschuss installierte Ferienausschuss am 21. April 2020 in den Mainfrankensälen einstimmig die im Ort ansässige  Firma Würzburger Pflasterbau mit dem 220 Meter langen zweiten Bauabschnitt zur Sanierung der Kirchstraße  beauftragt.

In Veitshöchheim Aktuell vom 11. Mai 2020 wurde dann die Vergabe in dieser Form ohne nähere Details bekanntgegeben:

Ausbau der Kirchstraße, 2. BA – Auftragsvergabe: Für den Ausbau der Kirchstraße, 2. BA, erhält die Firma Würzburger Pflasterbau, Veitshöchheim, den Auftrag für die Tief- und Straßenbauarbeiten. Der Bürgermeister wird ermächtigt, den entsprechenden Auftrag zu unterzeichnen.

Beim Pressetermin nach Beginn der Bauarbeiten am 2. Juni 2020 (sechs Wochen nach der Vergabe) nannte der Bürgermeister dann auf Nachfrage erstmals gegenüber der Presse die Auftragssumme:  Rund 3,84 Mio. Euro für Kanal- und Straßenbau (ohne Planungskosten) - davon Kanal 865.000 Euro und Wasser 111.000 Euro).

In der Chronik der Gemeinde für das Jahr 2019 hatte das gemeindliche Tiefbaufreferat die geschätzten Baukosten noch mit 1,2 Mio. Euro angegeben. Wie nun der Gemeinderat bei der Auftragsvergabe in nicht öffentlicher Sitzung am 21. April die  eingetretene Kostenexplosion auch im Hinblick auf die immensen Einnahmeausfälle aufgrund der Corona-Pandemie befand (kurz angedeutet vom Bürgermeister bei der Haushaltsberatung kurz zuvor, dass er dies zur Diskussion stellen will), blieb der Öffentlichkeit vorenthalten, denn grundsätzlich besteht für alle Gemeinderatsmitglieder eine Verschwiegenheitspflicht über nichtöffentliche Beratungen.

In der Sitzung am letzten Dienstag, als sich der Gemeinderat öffentlich mit Details zum Ausbau der Kirchstraße wie Pflaster, Pfosten-Poller und Akzentbeleuchtung befasste, kamen allerdings, wie jahrezehntelang zuvor so auch praktiziert, gleichwohl sogar Kalkulationspreise der Firma Pflasterbau bei den Pflasterpreisen zur Sprache und wurden diese auch an der Leinwand präsentiert:

Auslöser innenministerielles Rundschreiben

A uslöser der ganzen Problematik ist eine Empfehlung, die die im BStMI tätige Oberregierungsrätin Ute Merkel in einem IM-Rundschrieben vom 24. September  2019 an alle Kommunen gab, der die Geschäftsleitung der Gemeinde sogleich nachkam.
Obwohl die Oberregierungsrätin bei Auftragsvergaben aussagt, dass unterhalb der EU-Schwellenwerte (ab 1.1.2020 = 5.350.000 Euro) die Bestimmungen über die Öffentlichkeit von Gemeinderatssitzungen in Art. 52 GO  als förmliches Gesetz  den  Vergabegrundsätzen für kommunale Auftraggeber vorgehen, kommt sie zu dem Schluss, dass abweichend von der früheren Rechtslage künftig Vergaben von Bauleistungen  tendenziell in nichtöffentlicher Sitzung zu beraten und zu beschließen sind, obwohl sich an der Begrifflichkeit „Berechtigte Ansprüche einzelner“ seit Inkrafttreten der GO im Jahr 1952 nichts verändert hat.

Seit 1952 nämlich ist das schützwürdige Interesse von Bietern verbrieft, dass "persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse" oder "ihr Know-how und ihre Betriebsgeheimnisse" nicht öffentlich werden. .

Die Verwaltungsbeamtin führt dann aber im Gegensatz dazu aus, dass gleichwohl die Entscheidung, ob eine Vergabeangelegenheit in öffentlicher oder nichtöffentlicher Sitzung zu beraten und zu beschließen ist, nach einer Einzelfallbeurteilung, also keineswegs generell, anhand der Besonderheiten des jeweiligen Vergabeverfahrens zu treffen ist.

Bei der Vorbereitung einer Sitzung, so ihre Empfehlung, ist im Rahmen einer Prognoseentscheidung über den zu erwartenden Verlauf der Beratung dafür Sorge zu tragen, dass nur die nicht vertraulichen Informationen in öffentlicher Sitzung kommuniziert werden.

Im letzten Absatz ihres IMS bringt sie auch zum Ausdruck, dass auch ein in nicht öffentlicher Sitzung gefasster Auftragsbeschluss mit Risiken behaftet ist. So begründet nach einem BGH-Urteil vom 23.04.2015 (Az. III Z R 195/14) ein Verstoß gegen den Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit regelmäßig eine schwerwiegende Verfahrensverletzung und führe daher zur Rechtswidrigkeit eines Gemeinderatsbeschlusses (was unter Umständen auch Schadensersatzansprüche begründet).

So rät die Oberregierungsrätin abschließend: "Aufgrund dieser rechtlichen Risiken sollten die Kommunen einen eventuellen Ausschluss der Öffentlichkeit sorgfältig prüfen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Grundsatz der Öffentlichkeit der Sitzungen auch der bürgerschaftlichen Begleitung der Beratungen und Entscheidungen und damit einer frühzeitigen öffentlichen Kontrolle dient. Eine nachträgliche Veröffentlichung der Vergabeentscheidung kann insoweit nicht wirkungsgleich sein."

Deshalb empfiehlt die Oberregierungsrätin Merkel in ihrem Rundschreiben: "Nötigenfalls ist eine Beratung vertraulicher (Teil-)Aspekte in einem gesonderten nichtöffentlichen Teil der Sitzung vorzusehen oder die Öffentlichkeit durch Beschluss nach Beginn der Sitzung auszuschließen (oder in den nichtöffentlichen Teil zu verweisen), wenn der Verlauf der Beratung Anlass dazu gibt.

Auf Nachfrage der Mainpost-Redaktion (Onlinebericht vom 10. Februar 2020) stellte denn auch das Innenministerium klar: "Weder die gesetzlichen Vorschriften noch unser Schreiben enthalten eine Weisung, den Namen des Auftragnehmers oder den Auftragswert nach der Zuschlagserteilung nicht zu veröffentlichen".

Beratung im Gemeinderat

Bürgermeister Jürgen Götz hatte in seinem Vortrag darauf hingewiesen, dass die Behandlung von Vergabeangelegenheiten in nichtöffentlicher Sitzung in der Öffentlichkeit und der Presse für nicht unerhebliche Kritik gesorgt hat (siehe auch den nachstehenden Kommentar in der Mainpost vom 10. Februar 2020). Der Bayerische Gemeindetag habe deshalb den
Kommunen empfohlen, über die künftige Handhabung einen Grundsatzbeschluss des Gemeinderates fassen zu lassen.

Der Bürgermeister vertrat die Auffassung, dass alle Vergabeangelegenheiten in nichtöffentlicher Sitzung zu behandeln sind, wenn wie bisher üblich, die Fraktionen es wünschen, dass ihnen ein möglichst umfassendes Gesamtbild von der jeweiligen Vergabeangelegenheit vermittelt wird, ihnen in den Sitzungsunterlagen deshalb auch die Namen der Bieter sowie die Submissionsergebnisse zur Verfügung gestellt werden.

Aus den Wortmeldungen der Fraktionssprecher wurde klar, dass für sie diese Unterlagen mit den Ausschreibungsergebnissen zur Entscheidungsfindung nicht verzichtbar sind. So sprachen sich alle notgedrungen dafür aus, zukünftig grundsätzlich alle Vergaben von Bauleistungen, Liefer- und Dienstleistungen und Konzessionen sowie freiberufliche Leistungen in nichtöffentlicher Sitzung zu beraten und zu beschließen. CSU-Sprecher Marc Zenner: "Damit können wir leben".

Beispielhafte Tranzparenz und Bürgernähe anderer bayerischer Kommunen

Viele bayerische Kommunen beschreiten trotz des IMS im Sinne der Transparenz einen anderen Weg, so zum Beispiel die Gemeinde Aschheim im Landkreis München. Hier können seit Beginn des Jahres, also mehrere Monate nach dem IMS-Rundschreiben alle Interessierten die Sitzungsunterlagen des Aschheimer Gemeinderats wie in vielen anderen Kommunen Bayerns online einsehen. Denn das Ratsinformationssystem, das sich über die Homepage der Gemeinde im Internet finden lässt und in dem Anträge und Beschlussvorschläge stehen, ist öffentlich (siehe nachstehender Link auf das Aschheimer Bürgerinformationssystem).

So stand in der Sitzung am 7.7. auch die Beschaffung eines Hakenliftanhängers an:

Und siehe da, hier wird keine Geheimniskrämerei um Bieter und Angebotssummen gemacht, scheint das ganze auch nach Prüfung durch die von der Gemeinde Aschheim beauftragte Rechtsanwaltskanzlei hieb- und stichfest zu sein:

 

Ein Dorn im Auge war die tendenzielle Empfehlung der Nichtöffentlichkeit im IMS der Grünenfraktion im Landtag. Sie hatte deshalb am 15.4.2020 beantragt, im IMS vom 24.9.2019 diesen Passus zu streichen und anstelle dessen den Kommunen Hinweise für eine Entscheidung in öffentlicher Sitzung unter Wahrung des Bieterschutzes zu geben.

(Begründung siehe nachstehender Link auf pdf.Datei)

Der Ausschuss für Kommunale Fragen, Innere Sicherheit und Sport hat dann jedoch am 22. April 2020 dem Landtag gegen die Stimmen der Oppositionsparteien die Ablehnung empfohlen, was dieser dann am 17.6.2020 auch tat.

Link auf Grünenantrag Landtagsdrucksache 18/7291 -

Einen ähnlichen Antrag auf Rücknahme des IMS hatte am 19.2.2020 bereits erfolglos die SPD-Fraktion im Landtag eingereicht:

(Begründung siehe nachstehender Link auf pdf.Datei)

Link auf SPDantrag Landtagsdrucksache 18/6575

Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Ausführungen von Dr. Josef Ziegler, ehemals Bürgermeister von Güntersleben und Vorstand der Bayerischen Verwaltungsschule (siehe nachstehender Link auf seinen Vortrag im Oktober 2004 der auch heute noch von Bedeutung ist): Transparenz ist ein Wesenselement der Demokratie. In einer Verordnung der Europäischen Union zum Informationsrecht der EU-Bürger vom Mai 2001 (VO Nr. 1049, Amtsblatt der europ. Gemeinschaften vom 31.05.2001, S. 1) liest sich das so: „Transparenz ermöglicht eine bessere Beteiligung der Bürger am Entscheidungsprozess und gewährleistet eine größere Legitimität, Effizienz und Verantwortung der Verwaltung gegenüber dem Bürger in einem demokratischen System. Transparenz trägt zur Stärkung der Grundsätze der Demokratie und der Achtung der Grundrechte bei.“

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