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Kunstwerke aus 16 unterfränkischen Museen gehen fremd - Aktion des Bezirks Unterfranken, vorgestellt im Jüdischen Kulturmuseum Veitshöchheim

Veröffentlicht am von Dieter Gürz

Diese auf den Tafeln abgebildeten Kunstwerke aus 16 unterfränkischen Museen gehen ab heute (22. Juli)  bis zum 8. November "fremd".  Im Rahmen eines Pressegesprächs mit Präsentation stellten die sechszehn Häuser im Hof des Jüdischen Kulturmuseums Veitshöchheim (JKM) ihre "Fremdgänger" (Tauschobjekte) in Form von Bildtafeln im neuen Kontext vor. Und natürlich macht auch das JKM als Gastgeber der Präsentation mit.

Schon zum zehnten Mal lassen so unterfränkische Museen ihre Kunst fremd gehen, verleihen reihum aus ihrem Bestand ein einzelnes ausgewähltes Stück. Diese Gastobjekte sollen am neuen Standort ganz bewusst als Fremdkörper verstanden werden, möglicherweise sogar Irritationen hervorrufen, Kontraste und Bezüge setzen und damit Interesse wecken, heißt es in der Begleitbroschüre. Von Aschaffenburg bis Ebern, von Mellrichstadt bis Iphofen spinnt sich so ein in Bayern einzigartiges museales Netzwerk quer durch Unterfranken, können nun die Besucher etwa die „Rhöngazelle“ kennen lernen oder der „Türkenkapelle“ lauschen.

Machten nach den Worten von Anne Kraft M.A., seit April 2018 Leiterin des neuen Sachgebiets "Museum" des Bezirks Unterfränken und Organisatorin der Aktion, 2011 vier Museen den Anfang, sind es  nun schon 16, was einen neuen Rekord bedeutdet.

Ihre Mitmachbereitschaft beruhe nicht auf ihrer Größe, ihrer Bedeutung und ihren Sammlungsschwerpunkten, sondern ausschließlich auf die Originalität des jeweiligen Tauschobjektes. Das Projekt ist, so Kraft, in Bayern einzigartig und hat somit ein Alleinstellungsmerkmal gefunden.

Nach dem ersten Jahr widmete man sich einem Thema. Ab 2015 suchte man sich ein Motto, um auch in der Auswahl der der "Fremdgänger" einen klaren roten Faden zu haben. Begleitend dazu erscheint seitdem eine kostenlose Broschüre mit allen Exponaten und Tauschpartnern.

Bei der Jubiläumsauflage waren unter den Fremdgängern sieben Bilder (vom spätmittelalterlichen Ölgemälde bis zur extremen Abstraktion), fünf plastische Werke, drei Alltagsgegenstände und ein Naturprojekt.

An Kunst Interessierte sind nun eingeladen, Kunst in anderen, fremden Zusammenhängen zu sehen, neue Museen zu entdecken und auf diese Weise einmal ganz Unterfranken in voller Farbenpracht zu erfahren.

Veitshöchheims Bürgermeister Jürgen Götz freute sich, dass im Hof zwischen Synagoge und Jüdischem Kulturmuseum die Auftaktveranstaltung der diesjährigen Aktion "Kultur geht fremd" über die Bühne ging. Sie mache neugierig auf das, was andere Museen zu bieten haben.

Das Treffen vor Ort organisiert hatte die Veitshöchheimer Kulturreferentin Dr. Martin Edelmann, die natürlich die Gelegenheit nutzte, kurz auf die vor gut einem Jahr mit Kosten von 390.000 Euro eingeweihte neue gestaltete Dauerausstellung unter dem Titel „Schauplatz Dorf“ zum 25jährigen Jubiläum des JKM  einzugehen.

Im Jüdischen Kulturmsueum in Veitshöchheim hängt nun in einem eigenen Wechselausstellungen vorbehaltenem kleinem Raum aus dem Museum Obere Saline in Bad Kissingen Heinz Kistlers Gemälde "Urlandschaft der Rhön", das in kräftigen Farben, mit dynamischen Linien und expressivem Pinselduktus die Entstehung der Vulkanlandschaft erfasst. Im Begleitheft wird erzählt, dass Kistlers Akademieprofessor Julius Diez mit einer Jüdin verheiratet war und von den Nationalsozialisten in den Ruhestand gedrängt wurde und darauf der Kunststudent die Schule unter Protest ebenfalls verließ.

Neben Kistlers Gemälde hat Edelmann als Bezug zwei von der  Q 12 Schülerin Lilli Vogel des Gymnasiums Veitshöchheim in einem Kunst-Seminar kreierte Werke platziert, die im JKM zu Beginn des Jahres ausgestellt waren. Es ist dies zum einen ihr Portrait, eine Kreidezeichnung auf Papier von der nach Krasniczyn, Polen deportiierten Jüdin Fanny Freudenberger (1877-1942), eine Mutter von vier Kindern, die ebenfalls aus der Rhön stammt.

Und aus der farbenprächtigen Bilderreihe der Schülerin zu den Geschichten der Tora hat zu Kistlers Gemälde durchaus ihr Werk "Feuer", die Offenbarung am Dornenbusch an Moses einen Bezug.

Vom JKM auf Wanderschaft geht der 1839 auf Papier mit Tinte und Aquarell gemalte "Misrach", .nach Aschaffenburg ins Museum jüdischer Geschichte und Kultur., wo er  im Vergleich zu einer Osttafel aus Buchen von 1820 gezeigt, die sich in den Beständen der Aschaffenburger Museen befindet

Dieser Misrach ist Bestandteil des Geniasfundes, der im Dachboden der Veitshöchheimer Synagoge entdeckt wurde mit  dort abgelegten Texten oder Objekten, die nach jüdischer religiöser Vorschrift nicht vernichtet werden dürfen. Misrach ist der hebräische Name für Osten. In diese Himmelsrichtung verneigt sich der fromme Jude zum Gebet gen Jerusalem. Daher hängen in vielen jüdischen Wohnungen zur Orientierung kleine Teppiche oder Zeichnungen an den entsprechenden Wände.

Der Misrach ist eines von vier Objekten des JKM, die erst kürzlich zwölf Studierende des Fachbereichs Museologie der Uni Würzburg unter der Leitung der Lehrbeauftragten Simone Doll-Gerstendörfer taktil auch für Blinde und Sehbehinderte erfahrbar gemacht haben. Im Bild zeigen die Museologie-Studentinnen Leila Hassan Pour Almani und Marika Berner ihre Misrach-Taststation. Sie schufen ein Aquarell, auf drei übereinander klappbaren DIN A 3 Papieren gemalt. Die Säulen erinnern an die beiden Jerusalemer Tempelsäulen Jachin und Boas, die von zwei Löwen als Symbol des Stammes Juda gekrönt sind, die ein Schild tragen, das einen Gebetstext enthält. Per Audioguide wird der Zusammenhang zum Thema Genisa erläutert.

Auch dieses Tastmodell geht mit dem Original leihweise nach Aschaffenburg.

Aus dem Deutschen Fastnachtmuseum Kitzingen geht das Kostüm des Freiburger Fasnetsrufers aus Lindenholz, Höhe 170cm in den Raum 3 der Städtischen Sammlung des Museums im Kulturspeicher Würzburg. Hier steht der „Fasnetrufer“ in seiner grellen Erscheinung den distinguierten, zurückhaltend gekleideten Damen und Herren auf den Porträts des 19. Jahrhunderts gegenüber. Das Kostüm – „Häs“ genannt – besteht aus über eintausend Filzherzchen. Die Maske aus Lindenholz und die Ratsche als Lärminstrument gehören zur Ausstattung. Charakteristisch für die schwäbisch-alemannische Fasnet ist die Totalvermummung der Teilnehmer. 

Umgekehrt wandert die "Türkenkapelle" aus dem Museum für Franken Würzburg ins Fastnachtsmsueum nach Kitzingen, wo sie Illustrationen und Buchausgaben zu Nasreddin Hoca gegenüber gestellt werden. Nasreddin, um 1200 in Anatolien geboren, gilt als türkischer Till Eulenspiegel. Seine Streiche und Geschichten sind im gesamten orientalischen Raum bekannt und beliebt.

Auch die Darstellung der kleinen Musikanten mit Blas- und Schlaginstrumenten lässt den Betrachter schmunzeln, denn offensichtlich haben sich hier Knaben mit Pluderhosen, Bauchbinden und Turbanen orientalisch verkleidet und widmen sich nun hingebungsvoll ihrem Spiel. Die Figurenmodelle wurden in der Steingutfabrik Damm Mitte des 19. Jahrhunderts farbig bemalt.

Die Barockscheune in Volkach leiht ein Gemälde an das Museum Johanniskapelle Gerolzhofen aus, das die Abiturientin  des Gymnasiums Frankenlandschulheim Schloss Gaibach Antonia Oberst aus Oberschwarzach im Herbst 2019 mit wachsbasierten Farben auf Papierkarton bannte. Es stellt Sharbat Gula dar, ein Opfer des Kriegs in Afghanistan und war Teil der Ausstellung „Wider das Vergessen – Remember“, in der sich die Abiturienten  intensiv mit Flucht, Vertreibung, Diskriminierung, Verlust von Heimat und Identität auseinandersetzten, wie Gewalt, Terror, Misshandlung oder Krieg Menschen traumatisieren oder zerstören können.

Die junge Künstlerin war von einem Foto von Sharbat Gula, einer Kriegswaisen aus Afghanistan, die in einem Flüchtlingslager in Pakistan haust, so beeindruckt, dass sie ein Porträt von ihr anfertigte.

Ein besonderer Spannungsbogen entsteht durch das Gemälde im Museum Johanniskapelle in Gerolzhofen durch die Gegenüberstellung gotischer Kunstwerke und moderner Kunst. In der Menschheit war die Darstellung von Schmerz und Leid vor dem Hintergrund des Verlustes der eigenen Gesundheit und der nahe stehender Angehöriger schon immer ein Thema – früher wie heute berührt es unser Herz (Zitat aus dem Begleitheft).

Die Rhöngazelle von Herbert Waibl, 1992 Holz, bemalt, 150 cm hoch, wandert aus der Kreisgalerie Mellrichstadt mit Sammlungen des Landkreises Rhön-Grabfeld in das Museum für Franken in Würzburg.

Aus einem Balken hat der Künstler mit der Kettensäge Sockel, Beine, Körper, Hals und Kopf herausgeschält. Nur Hörner und Schwanz wurden nachträglich angesetzt. Das langbeinige und grazile, etwas bockig tänzelnde Tier wirkt wie zum Sprung bereit. Es erinnert in seiner Körperhaltung an eine Gazelle und erhielt daher vom Künstler den reizvollen Namen „Rhöngazelle“.

Im Museum für Franken in Würzburg blickt nun die Rhöngazelle für einige Zeit aus dem Fenster auf den Main. Neben ihr wird eine neue Leihgabe aus den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen präsentiert: Ein 1875 von Hans Thoma geschaffenes Gemälde, das die Gegend am Main bei Schweinfurt als eine unberührte, ideale Flusslandschaft zeigt.

Aus dem Knauf-Museum Iphofen gelangt ein Liegendes Nilpferd  in das Heimatmuseum Ebern, wo die Skulptur im so genannten „Tierzimmer“ zwischen aktuellen und seltenen Tierarten der Hassberge seinen neuen Platz findet.

Bei diesem kleinen Objekt handelt es sich um eine Nilpferdfigur aus blaugrün glasierter Fayence. Solch glasierte Keramik zählt zu den ältesten, künstlich hergestellten Materialien der alten Ägypter. Sie verwendeten bereits seit etwa 4000 v. Chr. verschiedenfarbige Glasuren und überzogen damit Stein- und vor allem Tonobjekte. Nilpferdfiguren aus Fayence wurden häufig als Grabbeigaben verwendet. Besonders typisch sind die aufgemalten Wasserpflanzen, die an den Lebensraum der Tiere erinnern.

Das Stadtmuseum Miltenberg erhält aus dem Heimatmuseum Ebern eine Fahne des dortigen Radfahrervereins von 1895 aus der Kunststickereianstalt Marie Auer, München 1902. Die Fahne wird in Miltenberg im Saal mit Bildern des Malers Philipp Wirth (1808-1878) ausgestellt. Mit ihrem farbigen Naturmotiv bildet sie einen schönen Kontrast zu den eher nüchternen Portraits des Malers.

Aus Euerdorf wiederum findet dieses  Verkieseltes Holz aus dem mittleren Keuper im Museum Obere Saline in Bad Kissingen einen neuen Platz. Das  versteinerte Holz wird dort im Kontext der Kissinger Sole- und Heilquellen gezeigt, deren Inhaltsstoffe aus den Mineral- und Salzablagerungen des Zechsteinmeeres in der unter der Trias liegenden geologischen Schicht (Perm) bestehen.

In der Kunsthalle Schweinfurt kann nun diese glasierte chinesische Vase in Porzellan aus dem 17. Jahrhundert aus den Museen Schloss Aschach bewundert werden. Auf der Vase ist der chinesische Kaiser zu sehen, der auf einer Terrasse in den Palastgärten Platz genommen hat. Ein Künstler beginnt vor dessen Augen, auf ein Papier zu schreiben. Diener halten den Hut des Künstlers, eine Weinkanne und ein Trinkgefäß. Im Vordergrund gestikulieren Hofbeamte. Die Inschrift auf der Vase lautet: „Den Hut hat er abgelegt, den Nacken freigemacht. Vor Königen und Herzögen schwingt er den Pinsel und setzt ihn aufs Papier. Seine Schreibkunst ist wie Wolken und Nebel.“

Zwischen der chinesischen Porzellanmalerei und der Kunst in Deutschland nach 1945, dem Kernbestand der Kunsthalle Schweinfurt, bestehen zahlreiche Verbindungen: Vom Informel der Nachkriegszeit bis hin zu den Zeitgenossen ergeben sich spannende Bezüge zur Kunst des asiatischen Raums.

„Das Gleichnis vom reichen Mann und vom armen Lazarus“ des Evangelisten Lukas in Ölfarben auf Holz aus den Kunstsammlungen der Diözese Würzburg geht vom Museum Johanniskapelle Gerolzhofen in das Graf-Luxburg-Museum von Schloss Aschach. Das Bild reiht sich dort mit seiner Geschichte in die Gemälde aus der Sammlung der gräflichen Familie von Luxburg ein. 

In der Kreisgalerie Mellrichstadt leuchtet nun diese Vase aus Uranglas aus dem Spessartmuseum Lohr in der Abteilung der Rhöner Landschaften, wo sie die Farben der Wiesen und Hügel spiegelt.

Die imposante Vase wurde  1928 in der Glasmanufaktur Moser, Karlsbad (Karlovy Vary/Tschechienmundgeblasen, geschliffen, geätzt, vergoldet, stellenweise grün und braun bemalt.

Im Spessartmuseum in Lohr sind nun der farbige Holzschnitt und der zugehörige Druckstock aus den Museen der Stadt Miltenberg eingebettet in eine Vitrine mit Holzwerkzeugen und holzfarbigen Erzeugnissen. Der Farbholzschnitt„Schnatterloch“ am Miltenberger Marktplatz von Eduard Hartmann (1893-1989), um 1935,  ist heute einer der Hauptanziehungspunkte der Stadt und seit dem 19. Jahrhundert das wohl beliebteste Motiv für Gemälde, Fotos und Postkarten aus Miltenberg. Aufgrund seines idyllischen Ambientes war das Schnatterloch sogar Schauplatz verschiedener Heimatfilme wie „Das Wirtshaus im Spessart“ oder „Ännchen von Tharau“.

Eine Leihgabe aus den Museen der Stadt Aschaffenburg, nämlich ein Buntpapier-Musterbuch aus den 1950er Jahren kommt nun den wenig farbenfrohen Kalkgesteinen des Trias im Museum Terra Triassica Euerdorf zugute. Das für Mainfranken typische Material wird für die Lithografie verwendet. Die Anfang des 19. Jahrhunderts erfundene Lithographie zählt mit dem Holzschnitt und der Radierung zu den wichtigsten druckgraphischen Techniken.

Das Buntpapier-Musterbuch erinnert daran, dass die Papierindustrie in Aschaffenburg die älteste Säule der lokalen Wirtschaft ist und durch ihre Exporte bis nach Russland und Amerika internationale Bekanntheit erlangte.

Ohne Titel ist  dieser Siebdruck auf Karton 40 x 50 cm von Rupprecht Geiger, 2005 in der  Kunsthalle Schweinfurt, dessen Rot im Spektrum des Sonnenlichts ist. Durch das Strahlen von Geigers Blatt aus dem Kernbestand der Kunsthalle Schweinfurt treffen nun im Knauf-Museum Iphofen Morgen- und Abendland, Antike und Moderne aufeinander. Die Sonne des Münchners leuchtet in der vornehmlich weißen Gipssammlung von Meisterwerken des alten Südens und Ostens, wie etwa aus dem alten Ägypten, Mesopotamien, Persien und der europäischen Antike, nur allzu passend bunt. Gleichzeitig bringt sie die überzeitliche Verbindung zum jüngeren Kunstschaffen mit sich.

Ohne Titel ist auch dieser Siebdruck von Kuno Gonschior, 1971 im Museum im Kulturspeicher Würzburg. Im historischen Muschelkalkgemäuer der Barockscheune in Volkach setzt dieser moderne „Fremdgänger“ einen leuchtenden thematischen und geografischen Kontrast.

Im Bild entsteht ein Komplementärkontrast, durch das Zusammentreffen von zwei Farbein, die sich im Farbkreis gegenüberliegen, zusammentreffen. Es sind dies grüne Punkte auf rotem Grund, gleichhelle Farben, die sich wechselseitig steigern. Das Blatt hat einen verblüffenden Effekt auf die Wahrnehmung: Rein flächig angelegt, strahlt es dennoch eine enorme räumliche Wirkung aus. Die Punkte scheinen zu pulsieren und zu vibrieren, die Formränder optisch zu verschwimmen; es entstehen Nachbilder.Ein farbiges Sehvergnügen, das in seiner Intensität fast schmerzhaft ist.

Fotos (c) Dieter Gürz

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