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Die Veitshöchheimer Kindergarten-Leitungen schieben Frust und sind enttäuscht über die Umsetzung des Gute-KiTa-Gesetzes des Bundes in Bayern

Veröffentlicht am von Dieter Gürz

Mit Bedenken in die Zukunft sehen die Leitungen der Veitshöchheimer Kindergärten, die bei einem Pressegespräch erläuterten, wo ihnen der Schuh drückt und wie enttäuscht sie von der Umsetzung des Gute-KiTa-Gesetzes des Bundes in Bayern sind, auf dem Foto v.l.n.r. Gabi Treutlein (Leiterin des katholischen Kindergartens St. Martin mit zwei Regel- und einer Krippengruppe), Ingrid Schinagl (AWO-Geschäftsführerin mit je zwei Regel- und Krippengruppen im Kinderhaus), Petra Langer (Leiterin des katholischen Kuratie-Kindergartens mit drei Regel und einer bzw. ab Januar 2020 mit zwei Krippengruppen), Christiane Backmund (wickelt als Verwaltungskraft die wirtschaftlichen Aufgaben der drei katholischen Kindergärten Veitshöchheims ab) und Angelika Vey-Rossellit (Leiterin des Bilhildiskindergartens mit zwei Regelgruppen, drei Krippengruppen und Nachmittagsbetreuung für 16 Schulkinder). Nicht vertreten beim Pressegespräch war die evangelische Kindertageseinrichtung Menschenskinder mit zwei Regelgruppen und einer Krippengruppe.

Ergänzung:

Pfarrer Sebastian Wolfrum teilte am 18.10. per Mail mit: "Wir wären gern dabei gewesen, aber personelle Engpässe aufgrund von Krankheitsfällen hat das nicht möglich gemacht. Mir ist wichtig, herauszustellen, dass auch die KiTa Menschenskinder hinter den Anliegen der anderen Einrichtungen steht."

Bayerischer "Kuchenanteil" zu gering

"Wir hatten gehofft, weit mehr vom Kuchen zur Verbesserung der pädagogischen Arbeit in unseren Kindergärten abzukommen und sind sehr enttäuscht, dass es nun anders gekommen ist", sagen unisono die anwesenden Leitungskräfte, die sich im Vorfeld auch mit der Leitung des evangelischen Kindergartens Menschenkinder ausgetauscht hatten.

Mit dem am 1. Januar 2019 in Kraft getretenen Gute-KiTa-Gesetz will der Bund 5,5 Milliarden Euro in den kommenden vier Jahren bis 2022 in eine gute, qualitativ hochwertige Kindertagesbetreuung investieren.  Möglich sind Maßnahmen in zehn Handlungsfeldern, beispielsweise zur Schaffung eines bedarfsgerechten Angebotes, eines guten Fachkraft-Kind-Schlüssels, zur Qualifizierung von Fachkräften oder zur Stärkung der Kitaleitungen.

Nun hat sich Bayern am 23. September 2019 als zwölftes Bundesland dem  "Gute-Kita-Gesetz" der Bundesregierung angeschlossen. Bayerns Familienministerin Kerstin Schreyer (CSU) hatte bei der Vertragsunterzeichnung in der Staatskanzlei erklärt, die an Bayern fließenden 861 Millionen Euro je zur Hälfte in Gebührensenkungen und neues Personal einzusetzen. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) hatte dazu ausgeführt, dass im Gegensatz dazu im Schnitt die Bundesländer rund zwei Drittel der Mittel in den Ausbau der Kita-Qualität stecken und ein Drittel in Beitragssenkungen für die Eltern stecken werden.

Die Bundesmittel werden laut Bundesministerin freigegeben, sobald alle 16 Bundesländer mit dem Bund Vereinbarungen über ihre Maßnahmen abgeschlossen haben. Dies werde voraussichtlich im November 2019 der Fall sein

Schon seit 1. April 2019 umgesetzt hat Bayern im Vorgriff darauf zur Entlastung der Eltern die Ausweitung des Beitragszuschusses von 100 Euro pro Monat auf die gesamte Kindergartenzeit, sodass die Eltern in den drei katholischen Kindergärten nur noch jeden Monat je nach Buchungszeit zwischen 10 und 80 Euro zahlen müssen. Den Nachlass erhielten die Träger allerdings erst im September. Die Rückerstattung an die Eltern habe einen enormen Verwaltungsaufwand bedeutet.

Zur Qualitätsverbesserung sollen nach der Ankündigung der bayerischen Sozialministerin die Kindergartenträger in Bayern einen Leitungs- und Verwaltungsbonus erhalten, mit dem die Einrichtungsleitungen gestärkt und entlastet werden sollen. Eine Kita mit 60 betreuten Kindern könne mit etwa 12.500 Euro pro Jahr rechnen. Die Träger können damit beispielsweise die Kita-Leitung ganz oder teilweise freistellen und eine Verwaltungskraft einstellen. Daneben sei ein Förderprogramm für die Festanstellung von 2.000 Tagespflegepersonen geplant. Sie sollen das Kita-Personal entlasten und Betreuung in den Randzeiten verbessern.

Qualitätsverbesserungen in Veitshöchheim Fehlanzeige

Der angekündigte Verwaltungsbonus, so erklärten die Leiterinnen, bringe keine Qualitätsverbesserung. So leisten sich  die katholischen Kindergarten-Träger im Ort für ihre drei Kindergärten bereits jetzt mit Christiane Backmund eine Verwaltungskraft für die wirtschaftliche Führung der Kindergärten aus ihrem Geldbeutel, da der immer mehr zunehmende Verwaltungsaufwand einem ehrenamtlichen Träger nicht mehr zugemutet werden kann. Der AWO-Ortsverein musste für ihr Kinderhaus und ihre Horteinrichtungen an der Schule einschließlich Schulsozialarbeit schon vor vielen Jahren eine Geschäftsführerin einstellen.

"Alle ticken total aus." Mit diesen Worten verdeutlicht die  AWO-Geschäftsführerin Ingrid Schinagl, dass die immer mehr zunehmenden Anforderungen an die Leitungen wie Kinderschutzkonzept,  Datenschutz oder Konzeptionserstellung exorbitant seien. So hat die Bilhildis-KiGa-Leiterin Angelika Vey-Rossellit vor zwei Jahren noch einen Ordner gebraucht, letztes Jahr schon zwei und heuer schon vier Ordner nur für die Verträge gebraucht. Und diese Datenflut müsse man auch abrufen können.

Verwaltungsbonus bringt wenig

Trotz der Verwaltungskraft, so Vey-Rossellit, beanspruchen Verfügungszeiten, Vorbereitung, Führung von Elterngesprächen, Dokumentationen und Teamsitzungen mindestens ein Drittel ihrer wöchentlichen Arbeitszeit von 39 Stunden. Dabei würden die Leiterinnen mit ihrer vollen Zeit in den Betreuungsschlüssel für die Fachkräfte eingerechnet.  Hinzu komme, dass die Träger auch kein Geld  für die Kräfte bekommen, die Essen kochen, Hausmeisterdienste und Reinigungsarbeiten verrichten.

Entlastung durch Tagespflegepersonen?

Neben dem Verwaltungsbonus soll es laut Bayerns Sozialministerin ein Förderprogramm für die Festanstellung von 2.000 Tagespflegepersonen geben. Sie sollen das Kita-Personal entlasten und Betreuung in den Randzeiten verbessern. Davon versprechen sich die keine Entlastung. Denn laut Statistik des StMAS gab es Ende 2018 in Bayern 5059 Kindergärten, 2062 Kinderhäuser (umgewandelte Kindergärten mit breiter Altersmischung) und 1475 Kinderkrippen in Bayern. Das bedeutet, dass jede Tagespflegeperson für fünf Einrichtungen tätig sein müsste, um alle abzudecken, ein Unding für die Leiterinnen. Dabei es ist die für die sie ein zunehmendes Problem, die Randzeiten personell abzudecken.

Mehrbuchungen aufgrund Beitragsnachlass

Wie Kuratie-Leiterin Petra Langer erklärt, ist ihr Kindergarten in der Woche an 47 Stunden geöffnet, während eine Vollzeitkraft nur 39 Stunden arbeite. Die gravierende Beitragsentlastung der Eltern habe dazu geführt, dass diese vermehrt ihre Kinder länger abgeben. So sind bei ihr in der Frühe um 7.15 Uhr bereits 37 Kinder gebucht. In der Krippe sind es neun, wofür dafür bereits zwei Kräfte zu dieser Zeit in der Krippe anwesend sein müssen. Insgesamt hätten die Eltern für 70 Kinder im Schnitt 7,0 Stunden Betreuungszeit gebucht

Auch Gabi Treutlein, die Leiterin des bereits ab 7.00 Uhr geöffneten Martins-Kindergartens berichtet über vergleichsweise deutlich mehr Buchungszeiten in den Randzeiten. Sonst waren es nach ihren Worten früh zehn Kinder. Nun seien es 35.

Personalschlüssel zu eng

"Unsere Nöte werden immer mehr," klagt Petra Langer. Schuld sei der nach Meinung aller Leiterinnen zu eng gestrickte Personalschlüssel, das zentrale strukturelle Qualitätsmerkmal von Kitas. Paragraph 17 der Ausführungsverordnung zum BayKiBiG schreibt vor, zur Absicherung des Einsatzes ausreichenden pädagogischen Personals für je 11,0 Buchungszeitstunden der angemeldeten Kinder jeweils mindestens eine Arbeitsstunde des pädagogischen Personals anzusetzen (Anstellungsschlüssel von 1 : 11). Empfohlen wird ein Anstellungsschlüssel von 1 : 10. Buchungszeiten von Kindern mit Gewichtungsfaktor sind entsprechend vervielfacht einzurechnen. Nach Artikel 21 Absatz 5 BayKiBiG werden Krippenkinder hier zweifach angerechnet, Inklusionskinder 4,5 mal und Kinder von nicht deutschsprachigen Eltern 1,3 mal.

"Wir versuchen, den in der Verordnung vom Freistaat Bayern empfohlenen Personalschlüssel von 1:10 einzuhalten", erklärt die Verwaltungskraft Christiane Backmund.

Dieser funktioniere aber nur, so sagt Ingrid Schinagl von der AWO, solange niemand ausfällt, was jedoch des Öfteren bei Schwangerschaft, Urlaub oder Krankheit der Fall sei. Es sei sehr schwierig schnell Ersatz zu finden.

Petra Langer: "Wenn in einem Team von 17 Mitarbeitern, wo wir schon auf Kante nähen müssen, alle drin hängen, schon bald auf dem Zahnfleisch robben, kracht das ganze System ein, wenn plötzlich zwei Mitarbeiter fehlen." Sie könne dann zwar Gruppen zusammenlegen.. Für die Betreuer bedeute dies aber eine derartige Belastung, die man sich gar nicht vorstellen kann.

Wertschätzung fehlt

"Es fehlt allgemein die Wertschätzung für das Personal, das mit Herz bei der Erziehung der Kinder dabei ist, aber einer großen Belastung und Verantwortung ausgesetzt ist," ergänzt Christiane Backmund. Wenn welche fehlen, würden die anderen am Anschlag gehen und häufig auch krank werden. Viele Mitarbeiterinnen möchten so schon nicht mehr Vollzeit arbeiten, weil sie das Gefühl haben, sie packen es nicht mehr.

Petra Langer, die zur Zeit drei Ausbildende in ihrer Einrichtung hat, verweist darauf, dass auch deren Betreuung aus dem Personal-Schlüssel bedient werden muss. Für sie müssen nach den Worten von Angelika Vey-Rossellit erfahrene Mitarbeiter viel Zeit aufwenden für Anleitergespräche und  Probestunden, die sie im Vorfeld mit ihnen besprechen und im Nachhinein bewerten müssen. Bei alle dem sei noch gar nicht noch gar nicht die nicht einfache Einbindung der Inklusions- und Migrationskinder berücksichtigt. Die Mitarbeiter stünden unter dem Druck, nicht krank sein zu dürfen, keine eigenen familiären Probleme zu haben und alles können zu müssen.

Stellenschlüssel muss verändert werden

Die Leiterinnen sind der Meinung, dass einzig und allein die Abänderung des vorgenannten Stellenschlüssels durch den Freistaat Bayern, wie im Ländermonitoring "Frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung (FBBE)" von der Bertelsmann-Stiftung auf  7,5 in Kindergartengruppen und in Krippen auf 1:3 eine entscheidende Qualitätsverbesserung bringen würde, die ohne Änderung durch den Freistaat für die drei katholischen Kindergärten und das AWO-Kinderhaus nicht finanzierbar seien.

Angelika Vey-Rossellit sagt, das zufriedene Mitarbeiter, die weniger Belastung haben und die Verantwortung besser teilen können, ein ganz wesentlicher Punkt bei der Beurteilung der Qualität einer KiTa sind.

Veränderte Familienstrukturen

Ein großes Problem sind für die Leiterinnen auch die gesellschaftlichen Veränderungen der Familienstrukturen, wie sich dies durch die massiv zunehmende Betreuungsquote bei den Kindern von einem bis drei Jahren vor allem auch in Veitshöchheim ausdrückt. Diese lag im Landesdurchschnitt laut Statistik des StMAS Ende des letzten Jahres bei 31,5. In Veitshöchheim betreiben die fünf Einrichtungen derzeit acht Gruppen für 98 Krippenkinder. Bei im Schnitt 160 Kindern in den beiden Krippen-Jahrgängen bedeutet dies für Veitshöchheim eine Betreuungsquote von derzeit 61,2 Prozent. Und trotz rückläufiger Geburtenzahlen wird sich die Quote im nächsten Jahr noch erhöhen, denn ab Januar betreibt der Kuratiekindergarten aufgrund des weiter gestiegenen Bedarfs eine weitere Kinderkrippe.  Bei dann 110 Krippenkinder steigt die Quote auf 68,7 Prozent im Ort.

Gestiegene Anforderungen

Mit dem vom Staat den Eltern eingeräumten Rechtsanspruch hat dieser nach den Feststellungen von Angelika Vey-Rossellit die seit 32 Jahren die Bilhildis-Kita  mit ihren derzeit 106 Kindern und 20 Mitarbeitern leitet, ihrer Einrichtung immer mehr Aufgaben per Verordnung übertragen. So müsse sie als Leiterin sicherstellen, dass die von den Eltern ihr anvertrauten Kinder ethisch, religiös, sprachlich, mathematisch, naturwissenschaftlich, technisch, umweltgerecht, informationstechnisch, ästhetisch, bildnerisch, kreativ, musikalisch, sportlich und gesundheitlich gefördert werden. Angesichts dieser hohen Anforderungen an das Personal ist deshalb die Kita-Leiterin gespannt, ob die Aussage der Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) bei der Unterzeichnung des bayerischen Gute-Kita-Vertrages "In Zukunft müssen alle Erzieher spürbar höhere Löhne bekommen" schon bald auch umgesetzt wird, was nach deren Worten Sache der Länder sei.

Gesellschaftliches Problem

Ursprünglich hätten die Kindergärten ihre Aufgaben familienergänzend gesehen, meint Gabi Treutlein.  Ingrid Schinagl spricht von einem gesellschaftlichen Problem: "Der totale Kapitalismus hat jeden einzelnen durchdringen." So habe sich in den letzten Jahren ganz schön was gewandelt, insbesondere was das Anspruchsdenken der Eltern betreffe. Petra Langer hat die langjährige Berufserfahrung gemacht, dass Eltern mehr und mehr Verantwortung gerne an die Erzieher im Kindergarten abgeben. So höre sie oft Sätze wie "Wann beginnt ihr denn mit der Sauberkeitserziehung?" oder "Wann lernt mein Kind denn bei Euch das Radfahren?" So gehe es nicht. Es gäbe schon noch Sachen, die müssen nach ihrer Meinung schon die Familien leisten und der Papa seinem Kind das Radfahren lernen. Wenn Kinder krank werden, würden viele Familien in ein Loch fallen und deshalb ihre Kinder trotzdem bringen. "Aber wir sind aber keine Krankenstation", sagt Schinagl. Dies führe zu einer Kettenreaktion und dazu, dass auch Mitarbeiter krank werden.

Beziehung und Bindung enorm wichtig

Angelika Vey-Rossellit: "Wir wollen ja, dass Kinder gut werden und wir starke Kinder haben. Wir wollen, dass für sie Übergänge in unserer Gesellschaft geschaffen werden, dass sie für ihr Leben vorbereitet werden und nehmen uns dafür viel Zeit bei der Eingewöhnung."  Schließlich gehe es dabei auch um die Zukunft unserer Gesellschaft. Sie stellt fest, dass aber immer weniger über Kinder und ihre Bedürfnisse nachgedacht werde. So sei es durch veränderte Familienstrukturen ganz schwierig, Kinder in Krippen einzugewöhnen. Eltern hätten oft nicht dafür die Zeit, weil sie unheimlichen Druck haben. Die Begriffe Beziehung und Bindung seien jedoch enorm wichtig.

Zu wenig Eigenverantwortung

Die KiGa-Leiterin verweist auf das vom Staat vorgegebene Leitziel hin, wonach die pädagogischen Bemühungen den beziehungsfähigen, wertorientierten, hilfsbereiten, schöpferischen Mensch formen sollen, der sein Leben verantwortlich gestalten und den Anforderungen in Familie, Staat und Gesellschaft gerecht werden kann. Im Endeffekt würden aber die Kinder immer mit ständigen Angeboten umsorgt,  was sich später in der Ganztagsschule oder im Hort fortsetze. Es würden keine eigenen Ideen gefragt, es müsse niemand mehr nachdenken, was er noch machen soll. Und hier fangen wir an, so sagt sie, wenn wir alles umsorgen, unsere Gesellschaft beileibe nicht stark zu machen.

 

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