Veitshöchheim hat wieder einen originalgetreuen Nachtwächter
nachtwaechter9vituskirche
von Dieter Gürz
In Veitshöchheim versucht der pensionierte Wirtschaftswissenschaftler Professor Dr. Karl-Peter Sorge die „Tradition“ des Nachtwächters lebendig zu halten, was ihm am ersten Adventssonntag eindrucksvoll gelang.
Am 4. Advents-Sonntag ist er um 19.30 Uhr wieder unterwegs. Dann erzählt er entlang des Krippenweges im Altort bis zur Synagoge auch, wie in alten Zeiten in Veitshöchhheim Weihnachten gefeiert wurde.
„Passt auf auf‘s Feuer und auf‘s Licht, dass heut Nacht kein Unglück g’schiecht! Gelobt sei Jesus Christus!“
Mit diesem Ruf auf hoher Warte am Treppenaufgang des Mittelbaus des Kavaliersgebäudes nahm der Wirtschaftswissenschaftler Professor Dr. Karl-Peter Sorge in Gestalt eines historischen Nacht- und Feuerwächters rund 20 Interessierte mit auf eine unterhaltsame Zeitreise durch ein Veitshöchheim, das es schon lange nicht mehr gibt.
Am Ende des ersten Adventssonntags führte sein Rundgang knapp eine Stunde vom Rathaushof durch den nordöstlichen Altort bis zum Zehntkeller der Landesanstalt.
nachtwaechter2ReichardvonderKehre
Ausgestattet mit einer Hellebarde, um Verdächtige festzunehmen, einer Laterne, um in düstere Ecken zu leuchten und Gesichter zu erkennen, einem Horn, bei Gefahr und zu jeder Stund Signal zu geben und einen Umhang mit Hut, um vor Kälte und Regen geschützt zu sein, informierte Sorge mit sonorer Stimme und profunden Kenntnissen über eine Zeit, in der in Veitshöchheim die Uhren noch anders gingen. Bis 1914 gingen die Nachtwächter nachts durch die Straßen und Gassen des Ortes und hatten für Ruhe und Ordnung zu sorgen, vor Feuer, Dieben und Feinden zu schützen.
Nach der 1555 erlassenen Feuerordnung waren in elf Punkten genaue Verhaltensweisen zu beachten. So durften Fremde außerhalb der Wirtshäuser nicht übernachten, sollten bei Bränden Bauern mit Pferden Wasser fahren, Weiber und Knaben Wasser tragen und fromme Männer und Weibspersonen auf das gerettete Gut aufpassen.
Die Nachtwächter hatten auch für die Einhaltung der Polizeistunde zu sorgen. Lärmer wurden nach dem Zapfenstreich um 22 Uhr sofort aufgegriffen. Auf dem Nachhauseweg klopften die Nachtwächter bei den Bäckern an die Fenster, damit diese bei Zeiten mit ihrem Tagwerk begannen. Allerdings war in Veitshöchheim damals noch alles recht überschaubar, gab es 1680 nur 106 Haushaltungen mit etwas über 500 Einwohner. Um so erstaunlicher, dass diese wenigen Haushalte ab 1669 den Neubau der Vituskirche bewerkstelligten.
Neu war für viele, dass das heutige Kneipp-Becken am Main nicht die erste Kneipp’sche Anlage im Ort war, sondern im Kavaliersbau, dem heutigen Sitz des Rathauses, Dr. Wendelin Löser von Januar 1891 bis 1902 eine Wasserheilanstalt betrieb. Sie wurde von Kneipp eigens gelobt, da hier seine Lehre besonders beachtet wurde. Wie Sorge vor dem Anwesen Bahnhofstraße 6 ausführte, wohnte Löser hier. Bader habe es schon vor 1671 im Ort gegeben, die auch Ärzte und Wundheiler waren. Die Badestube gehörte der Gemeinde. Hier habe es auch Liebesdienste gegeben.
Viel Wissenswertes hatte der Nachtwächter auch am „Kehr‘schen Wappen“ in der Engstelle der Bahnhofstraße zu erzählen, so über Reichard von der Kehre, der 1591 die Martinskapelle wieder aufbauen ließ oder ein Stück weiter über das 1614 erbaute Pfarrhaus.
Halt machte die Gruppe auch vor dem historischen Gebäude Herrnstraße 17, das einst seit 1867 als Schwesternhaus und Mädchenschule diente.
Nicht nur den Hofgartensee mit Wasser zu speisen hatte das Martinsbrünnle, sondern auch die Eremitenmühler, wo sich der Müller häufig über zu wenig Wasser beschwerte.
Der historische Weinkeller der Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau diente früher ab 1683 der Vogtei Veitshöchheim als Zehntkeller, in dem die umliegenden Orte ihre Weinabgaben und Frondienste in festgelegten Weinbergen zu leisten hatten. Auf Geheiß von Fürstbischof Julius Echter aus dem Jahr 1595 durften die Winzer von Michaeli bis Maria Lichtmeß ihre Wohnstuben zu Heckenwirtschaften umwandeln und ihren eigenen Wein ausschenken, ebenso auch selbst Geschlachtetes anbieten.
Wieder in der Kirchstraße im Ortszentrum angekommen, berichtete der Nachtwächter, dass es in diesem Bereich in den 50er Jahren für die etwa 4.000 Einwohner vier Metzger, fünf Bäcker, fünf Lebensmittelgeschäfte und sieben Wirtshäuser gab.