Übung Quadriga 24 im Baltikum: 10. Panzerdivision meistert größten Truppenaufmarsch seit Jahrzehnten
Die Zehnte ist aus Litauen zurückgekehrt. Von der Übung „Quadriga 24“ übersandte Oberstleutnant Karsten Dyba M.A. von der Pressestelle der 10. Panzerdivision in Veitshöchheim nachstehenden Bericht zur Veröffentlichung im Blog mit vom Schwerpunkt der Übung, die Verlegung von Personal und Material nach Litauen im Falle einer Alarmierung.
Im Bauch der Victoria Seaways: Angekommen im Hafen von Klaipėda (Litauen), rollt ein Kampfpanzer Leopard 2 A6 vom mittleren Deck der Ostseefähre auf den Hafenkai. Soldatinnen in Soldaten einer Hafenumschlagkompanie koordinieren das Ausschiffen des schweren Materials der Panzerbrigade 12 „Oberpfalz“ (Foto: Bundeswehr / Oberstabsgefreiter Zachery White).
Veitshöchheim / Nemenčinė. Wird die NATO an ihrer Ostflanke im Baltikum bedroht, ist die 10. Panzerdivision zur Stelle: Als deutsche Speerspitze der NATO übte die 10. Panzerdivision (Veitshöchheim) mit rund 5000 Soldatinnen und Soldaten die Landes- und Bündnisverteidigung in Litauen. Wochenlang hatte die Division Teile ihrer Brigaden aus Süddeutschland und den Niederlanden über die Oberlausitz und Polen ins Baltikum transportiert – im Landmarsch, per Bahntransport sowie auf See und in der Luft.
Teile ihrer vier Brigaden hat die 10. Panzerdivision jüngst nach Litauen verlegt: Die Panzerbrigade 12 „Oberpfalz“ (Cham), die Panzergrenadierbrigade 37 „Freistaat Sachsen“ (Frankenberg/Sachsen), die Deutsch-Französische Brigade (Müllheim/Baden) sowie die 13. niederländische Lichte Brigade (Oirschot), die seit 2023 zur Division gehört. Insgesamt wurden rund 50 Kettenfahrzeuge per Bahn oder Schiff nach Litauen transportiert. Zwei Brigaden fuhren im Landmarsch von ihren Heimatstandorten mit einem Zwischenstopp auf dem Truppenübungsplatz Oberlausitz und dann über drei Marschrouten durch Polen nach Litauen. So kam die Masse der 840 Radpanzer, sonstiger Radfahrzeuge und 142 Anhänger und Sattelauflieger ins Baltikum. Zusätzlich wurden 228 Container auf Straße und Schiene nach Litauen gebracht.
19 Züge nach Rostock oder nach Litauen
Stabsfeldwebel Mirko R., einer von zwei Verkehrsführern der 10. Panzerdivision, überwacht die Entladung von Gruppentransportfahrzeugen „Boxer“ des Donaueschinger Jägerbataillons 292 in Pažeimenė, einer neuen Verladerampe direkt am Truppenübungsplatz Pabradė (Foto Oberstleutnant Karsten Dyba).
Die Transportlogistik sei eine Wissenschaft für sich, „weil viele Verkehrsträger mit sehr vielen zu berücksichtigenden Faktoren koordiniert werden müssen“, sagt Stabsfeldwebel Mirko R., der im Gefechtsstand der 10. Panzerdivision gemeinsam mit Oberleutnant Andre H. in der Zelle „Movement Control“ die alle Transporte plant und steuert.
Die beiden Verkehrsführer nehmen die Anmeldung des Transportbedarfes aller Truppenverbände entgegen, leiten diese an das Logistikzentrum der Bundeswehr in Wilhelmshaven weiter, das wiederum die Transportkapazitäten bei den Verkehrsträgern bucht. So werden in Deutschland ganze Züge und Schiffe beladen und transportieren Panzer, Radfahrzeuge oder Container nach Litauen. 19 Züge haben die beiden Verkehrsführer abgefertigt, darunter vier von den verschiedenen Heimatstandorten oder Truppenübungsplätzen nach Rostock zur Fähre, sowie 14 Züge von Deutschland und einen aus Frankreich nach Litauen.
Von der Oberlausitz über Polen ins Baltikum
Im Bahnhof Pabradė ist nach drei Tagen Fahrt der Transportzug der Panzerbrigade 12 „Oberpfalz“ vom Verladebahnhof Feldkirchen angekommen. Die Grenadiere laden ihre Schützenpanzer „Marder“ ab. Nächstes Ziel: Das „Pabradės Polygonas“, der Truppenübungsplatz Pabradė (Foto: White).
Kompliziert wurde es, weil ein Teil der Brigaden vor dem Verlegen ins Baltikum noch Übungsabschnitte im Gefechtsübungszentrum in der Altmark oder im Schießübungszentrum in Munster absolviert hatte. Herausforderungen wir eine entsprechende Vorlaufzeit für die Anmeldung eines Bahn- oder Seetransports, die Verfügbarkeit von Waggons und Schiffen sowie beinah tägliche Änderungen beim Umfang der Beladung sind für nur zwei Verkehrsführer der ganz normale Arbeitsalltag.
„Das stetige Reagieren auf Lageänderungen ist das, was uns am meisten beschäftigt“, sagt Mirko R. Wieder klingelt das Telefon. Der Zug aus Frankreich ist verspätet. Nun müssen die Betroffenen Bescheid wissen, dass sie erst am Nachmittag in Kaunas entladen können. Morgen kommt der letzte Zug mit der Nummer DE61 in Kaunas an, ein Teil der Fracht wird im Güterbahnhof Palėmonas von Normalspur- auf litauische Breitspurzüge umgeladen, andere müssen per Schwerlasttransport auf der Straße nach Pabradė gebracht werden, weil die dortige Verladerampe zu klein ist.
Ziel: Schnelle Verlegung nach Litauen
Auf der Seitenrampe des Bahnhofs Pabradė werden Panzerhaubitzen des Artillerielehrbataillons 345 (Idar-Oberstein) entladen (Foto: White).
Die Übungsserie „Quadriga 24“ der Bundeswehr startete mit einer Alarmierung im Januar und ist eingebettet in das NATO-Großmanöver „Steadfast Defender“ mit insgesamt 90.000 Soldatinnen und Soldaten – übrigens der größte Truppenaufmarsch der NATO seit Jahrzehnten. Deutschland fungiert dabei als Drehscheibe für die Verlegung von verschiedensten Truppenteilen aus den insgesamt 31 NATO-Mitgliedsländern und dem jüngsten Mitglied Schweden, das im März während der Übung dem Bündnis beigetreten ist.
Angesichts der veränderten Sicherheitslage wird nun geübt, so schnell wie möglich Soldaten und Material zur Landes- und Bündnisverteidigung ins Baltikum, nach Skandinavien und nach Osteuropa zu verlegen. Höhepunkt ist die abschließende Gefechtsübung „Grand Quadriga 24“ der 10. Panzerdivision in Litauen. Deren Stab ist im unterfränkischen Veitshöchheim beheimatet.
Panzer kommen aufs mittlere Schiffsdeck
Auf dem mittleren Deck der Victoria Seaways in Klaipėda: Kampfpanzer Leopard 2 und Bergepanzer der Panzerbrigade 12 „Oberpfalz“ warten auf die Ausschiffung. Links die Auffahrt ins Oberdeck (Foto: White).
Ein Blick in den Norden: Von den beiden Ostseehäfen Kiel und Rostock legen die Fähren ab, die Material und Fahrzeuge nach Klaipėda bringen, um von dort in den Süden Litauens weitertransportiert zu werden. Am Kai des Kieler Ostuferhafens liegt die „Victory Seaways“, ein Fährschiff der Reederei DFDS mit 28.000 Bruttoregistertonnen, vier Fracht- und zwei Passagierdecks.
Die schweren Gefechtsfahrzeuge wie Kampfpanzer, Schützenpanzer, Panzerhaubitzen und Bergepanzer werden auf dem mittleren Schiffsdeck verladen. Leichtere Fahrzeuge wie Fünftonner und kleinere Radfahrzeuge werden auf dem unteren und oberen Deck für den weiteren Transport über See aufwendig mit Ketten und Spanngurten verzurrt. Für die rund 22 Stunden dauernde Reise ist diesmal gutes Wetter mit leichtem Seegang bis 1,5 Meter Wellenhöhe vorhergesagt.
Wenn der Zug falsch herum ankommt
Zeitaufwendig: Wenn der Zug nicht mehr gedreht werden kann und falsch herum in an Kopframpe fährt, können die Fahrzeuge nicht vorwärts vom Zug herunterfahren. Im Güterbahnhof Palėmonas bei Kaunas müssen die französischen Gefechtsfahrzeuge des 1er Régiment d’Infanterie aus Sarrebourg mit dem Kran entladen werden (Foto: MovCon 10.PzDiv).
„Das Beladen von Schiffen und Zügen ist noch die einfachste Aufgabe“, erklärt Hauptmann Andre H. Dabei unterstützen Hafenumschlagkompanien von Logistikverbänden der Bundeswehr, weil das Heer dafür keine eigenen Spezialisten hat. Doch was, wenn ein Zug falsch herum im Bahnhof ankommt und die Panzer nicht vorwärts von den Flachwaggons fahren können? Einmal sei dies passiert, weshalb die Panzer kurzerhand mit einem Kran vom Zug geholt wurden.
„Dank der vorhandenen Möglichkeiten haben wir entschieden, die Pumas auf Zügen zu verlegen“, berichtet Stabsfeldwebel Mirko R. Die Panzerbrigade 12 „Oberfalz“ hätte in Rostock einschiffen sollen. Beim Bahntransport wartet aber schon das nächste Problem: Die Reaktivpanzerung der Schützenpanzer muss abgeschraubt werden, weil sie sonst so breit wären, dass der Zug nicht durch einen Tunnel passen würde. „Lichtraumprofil“ nennt das der Fachmann. Zurück geht die ganze 10. Panzerdivision wieder mit der Bahn – 15 Züge seien schon bestellt, der erste für die Deutsch-Französische Brigade ist schon beladen.
Hafenumschlagkompanie sortiert die Marschkolonnen
Die Victoria Seaways im Fährhafen von Klaipėda: Das mittlere Deck ist bereits ausgeschifft, auf dem Oberdeck stehen noch die Radfahrzeuge (Foto: White)
Die Fähre erreicht Klaipėda pünktlich. „Zuerst müssen die gepanzerten Gefechtsfahrzeuge aus dem mittleren Deck entladen werden – wegen deren Gewicht“, erklärt Stabsfeldwebel Mirko R. Eine Panzerhaubitze 2000 beispielsweise wiegt 50 Tonnen, ein Kampfpanzer Leopard sogar bis zu 64 Tonnen. Würden diese Fahrzeuge nur auf einer Seite der Fähre transportiert werden, könnte das Gewicht nicht ausgeglichen werden – das Schiff bekäme Schlagseite.
Bei kleineren Fahrzeugen mit rund zehn Tonnen - wie dem Aufklärungsfahrzeug „Fennek“ – könnten spezielle Ballastpumpen und Wassertanks die Gewichtsunterschiede ausgleichen. Nach rund einer Stunde Entladung, dem sogenannten „Ausschiffen“, sortiert die Hafenumschlagkompanie des Logistikbataillon 171 aus Burg (Sachsen-Anhalt) die Fahrzeuge in verschiedene Marschbänder, also Kolonnen, die auf eigens zugewiesenen Marschrouten ihr Ziel erreichen. Schweres Gerät wird zum Teil mit Zügen zu den Truppenübungsplätzen in Kazlų Rūda und in Pabradė gebracht.
„Wir sind bereit, schnell zu reagieren“
An der Rampe bei Pažeimenė: Der Zug mit den Radfahrzeugen des Sanitätsregiments 1 aus Berlin ist angekommen und wird zum entladen in zwei Hälften geteilt (Foto: White).
„Die Verlegung funktionierte reibungslos. Ich bin mit dem Verlauf der Übung bis jetzt sehr zufrieden“, erklärt der Kommandeur der 10. Panzerdivision, Generalmajor Ruprecht von Butler, bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem litauischen Generalinspekteur, General Valdemaras Rupšys.
Sein Fazit: „Wir sind also bereit, wenn wir gebraucht werden. Dies zeigt einem möglichen Gegner, dass die NATO in der Lage ist, schnell mit der Verlegung von Truppen auf eine Bedrohung zu reagieren.“ Ziel der Übung Quadriga 24 sei es vor allem, die Verfahrensweisen einzuüben, so dass die Bundeswehr jederzeit in der Lage ist, die bis zu 30.000 Soldatinnen und Soldaten der 10. Panzerdivision gleichzeitig an die NATO-Ostflanke zu verlegen.
Denn die Bundesregierung hat sich dazu verpflichtet, der NATO ab 2025 eine einsatzbereite Division zur Verfügung zu stellen – die sogenannte „Division 2025“. Für die Übung „Grand Quadriga“ genügt es jedoch, rund 5.000 Soldatinnen und Soldaten rotierend nach Litauen zu bringen.
„Größte NATO-Übung in Litauen“
Bereit für den Einsatz: Angekommen auf dem Truppenübungsplatz Pabradė, machen die Soldaten des Panzergrenadierbataillons 112 (Regen) ihre Schützenpanzer „Puma“ für die anstehenden Gefechtsübungen fertig. Nach dem Transport müssen die Reaktivpanzerungen wieder angeschraubt werden (Foto: White)
Rotierend deshalb, weil die Kapazitäten der litauischen Übungsplätze nicht ausreichen, um alle Verbände gleichzeitig den scharfen Schuss üben zu lassen. Zudem gelte es, im Frühjahr größere Flurschäden zu vermeiden, weshalb zumeist Übungsplätze genutzt würden. „Für mich ist es eine große Ehre, hier in Litauen zu sein“, betont Generalmajor von Butler. Man übe schon seit Jahren gemeinsam; die Litauer seien exzellente Gastgeber. „Wir sind stolz ausgewählt worden zu sein, im Ernstfall als erste Division ins Baltikum entsendet zu werden, um Litauen und die NATO zu verteidigen.“
„Das Gefecht zu üben, wäre auch an den Heimatstandorten möglich“, sagt General Rupšys. Für Litauen aber habe die Übung eine immense Bedeutung: „Es ist die größte militärische Übung, die bislang in unserem Land stattgefunden hat.“ Dies verdeutliche, dass Deutschland seine Zusagen zur Sicherheit Litauens einhalte. Die 10. Panzerdivision werde in den nationalen Verteidigungsplan integriert. „Alle unsere Vorhaben zielen darauf ab, gemeinsam mit der ganzen 10. Panzerdivision hier in Litauen das Bündnis zu verteidigen.“
Als erste drin, als letzte raus
Hilft im Bahnhof Pabradė beim Entladen: Stabsfeldwebel Mirko R. von der Zelle „Movement Control“ der 10. Panzerdivision klappt die Seitenwände eines Flachwaggons herunter, damit die Schützenpanzer „Puma“ der Panzerbrigade 12 „Oberpfalz“ entladen werden können. Die Seitenwände haben die Litauer eigens für die Transporte deutscher Kampfpanzer angeschraubt, weil die Waggons sonst für die breiten Panzer zu schmal wären (Foto: Dyba).
Knapp einen Monat hat die Verlegung der 10. Panzerdivision ins Baltikum gedauert. Kaum sind alle drin, gehen auch schon die ersten wieder raus. In Palėmonas steht schon der französische Zug bereit, um die Deutsch-Französische Brigade nach Hause zu bringen. Die Fahrzeuge werden zuvor durch die Desinfektionsanlage gefahren, um die Verbreitung von Tierseuchen in Europa zu verhindern.
Bei allen Schwierigkeiten – von Polen nach Litauen führen beispielsweise nur eine Straße und eine eingleisige Eisenbahnlinie – ist in den vergangenen Jahren ist vieles einfacher geworden. Denn die Litauer haben ihre Infrastruktur ausgebaut. Musste die Bundeswehr vor Jahren ihre Fahrzeuge noch in Šeštokai an der litauisch-polnischen Grenze von Zügen der europäischen Normalspur auf Züge der russischen Breitspur umladen, so liegt heute ein Normalspurgleis bis zur zweigrößten litauischen Stadt, Kaunas, mitsamt Verladeanlage im Stadtteil Palėmonas.
Stabsfeldwebel Mirko R. ist voll des Lobes für die Lietuvos Geležinkeliai, die litauischen Eisenbahnen: „Ich bestelle heute Nachmittag einen Zug – und morgen früh steht er da.“ Hauptmann Andre H. und Stabsfeldwebel Mirko R. sind in dem Geschäft längste alte Hasen. Unzählige Male hat Stabsfeldwebel Mirko R. Einsätze bei der enhanced Forward Presence (eFP) Battlegroup bestritten, um deren Transporte abzuwickeln.
Hauptmann Andre H. hat bereits bei einer ähnlichen Übung der 10.Panzerdivision das Verlegen von Verbänden auf verschiedenen Verkehrsträgern und die Zusammenarbeit mit den litauischen Verbündeten testen können. Drei Monate lang bleiben die beiden Verkehrsführer diesmal für die Übung Quadriga in Litauen: „Wir waren die ersten, die drin waren und werden die letzten sein, die rausgehen.“
Verladeanlage Pažeimenė am Rande des Truppenübungsplatzes Pabradė: Der Zug mit den Radfahrzeugen des Sanitätsregiments 1 aus Berlin ist eingetroffen. Litauische Rangierarbeiter lösen die Ketten und Spanngurte. Für die Transportzüge der NATO-Partner haben die Litauer eine neue Verladeanlage gebaut, um direkt am Truppenübungsplatz entladen zu können (Foto: White).
In Litauen übte die 10. Panzerdivision die Verteidigung der Nato-Ostflanke. Kommandeur Ruprecht von Butler erklärt vor Ort, wie groß die Gefahr eines Angriffs ist.
Link auf Mainpost-Online vom 5./6.6.2024