Nun hat auch Veitshöchheim in Bahnhofsnähe einen "DenkOrt Deportationen 1941 – 1944“
Die feierliche Übergabe des "DenkOrts Deportationen 1941 – 1944" in Veitshöchheim erfolgte am 2. Mai 2023, 17 Uhr.
Nun hat auch Veitshöchheim in Bahnhofsnähe einen 'DenkOrt Deportationen 1941 - 1944'
Seit Dienstag gehört auch Veitshöchheim zum Netzwerk von GedenkOrten Deportationen 1941 - 1944 in ganz Unterfranken. Seit 17. Juni 2020 erinnert der zentrale DenkOrt am Würzburger Hauptbahnhof m...
Link auf Mainpost-Online-Artikel 4.5.2023
Seit dem 17. Juni 2020 erinnert der "DenkOrt Deportationen 1941 – 1944" am Würzburger Hauptbahnhof an die systematische Deportation und Ermordung von über 2000 jüdischen Männern, Frauen und Kinder aus ganz Unterfranken, die durch den NS-Staat von Würzburg und Kitzingen aus in die Vernichtungslager in Osteuropa verschleppt wurden.
Der DenkOrt besteht aus rund 90 künstlerisch gestalteten Reisegepäckstücken, die an die Gepäckstücke der Deportierten erinnern sollen, die sie am Bahnhof zurücklassen mussten.
Die einzelnen Gepäckstücke wurden von den jeweiligen Gemeinden in Auftrag gegeben, in welchen die Deportierten zuvor gelebt hatten. Sozusagen als Pendant gehört zu jedem in Würzburg präsentierten Gepäckstück ein Gegenstück, welches die Erinnerung in der jeweiligen Herkunftsgemeinde wachhalten soll. So bildet Würzburg das Zentrum eines Netzwerkes aus Gedenkorten in ganz Unterfranken
Der aus Keramik gefertigte Koffer, dessen Gegenstück in gleicher Ausführung am Hauptbahnhof in Würzburg steht, wurde im Jahr 2019 von Schülerinnen des Gymnasiums Veitshöchheim als Gemeinschaftsarbeit unter pädagogischer Begleitung der Kunstlehrerin Berit Holzner gefertigt. Bürgermeister Jürgen Götz freute sich, dass mit Lisa Feser und Lilly Vogel (rechts) zwei der Schülerinnen zusammen mit der Kunstlehrerin und Schulleiter Dr. Bernhard Brunner zur feierlichen Übergabe des DenkOrtes gekommen waren. Der Großteil der Schülerinnen, die 2020 ihr Abitur abgelegt hatten, ist inzwischen in alle Winde zerstreut. Den Sockel und die Umgebung hat der gemeindliche Bauhof gestaltet.
Einige Zeit befand sich der von den Schülerinnen gefertigte Veitshöchheimer Koffer im Jüdischen Kulturmuseum. Jetzt erhielt er an prädestinierter Stelle am Eingangstor in den Altort seinen Aufstellort im Freien. Analog zu Würzburg wurde er in der Nähe des Bahnhofs, am Gernecksplatz, aufgestellt. Die Umgestaltung des Gernecksplatzes in Sichtbeziehung zum historischen Bahnhofsgebäude und dem Veitshöchheimer Schloss war ein Glanzlicht für den Wettbewerb "Entente Florale Deutschland 2009". Die hier zum Gestaltungsthema "Bahnschiene" verwendeten Materialien Cortenstahl und Muschelkalkschotter symbolisieren, dass Veitshöchheim 1850 an das Schienennetz angebunden wurde.
Wie auf der neben dem Koffer installierten Info-Tafel hervorgeht, begann für die fünf hier aufgeführten in Veitshöchheim beheimateten Juden Fanny und Julius Freudenberger, die Geschwister Ernst Kahn und Rosa Trepp sowie Dr. Max Pretzfelder nicht ganz 100 Jahre später im Jahr 1942 der Weg in den Tod.
Bürgermeister Jürgen Götz sprach in Anwesenheit von Altbürgermeister Rainer Kinzkofer, seiner Kulturreferentinnen Karen Heußner und Dr. Martina Edelmann sowie eines Großteils des Gemeinderates von einem wichtigen Signal, dass die Erinnerung an die Millionen von deportierten und ermordeten Juden auch in den Händen jüngerer, kommender Generationen liegen muss und liegt. Zugegen waren auch die erste Vorsitzende des Würzburger Vereins DenkOrt Deportationen e.V. Benita Stolz, der Leiter des Johanna- Stahl Zentrums Würzburg, Dr. Ricardo Altieri, gleichzeitig auch als Vertreter des Kulturreferats des Bezirks Unterfranken sowie das Vorstandsmitglied der Simon- Höchheimer Gesellschaft Alfred Schulz.
Die musikalische Gestaltung des feierlichen Aktes hatte das Ehepaar Bernhard und Claudia von der Goltz zusammen mit Rainer Schwander übernommen. Die beiden Musiker spielten instrumental zur Einleitung die traditionelle Klezmermelodie "Sholem soll sajn" (Frieden soll sein) und später "A Nakht in gayn den" (Eine Nacht im Garten Eden).
Claudia von der Goltz sang "Dem millner trern" (Die Tränen des Müllers) und "a bisl sun" (Ein bißchen Sonne).
Claudia und Bernhard von der Goltz mit Rainer Schwander
musikalische Gestaltung Übergabe DenkOrt Deportationen am Gernecksplatz in Veitshöchheim
Beifall für die tollen musikalischen Beiträge
Als Vertreterin des Würzburger Vereins DenkOrt Deportationen e.V. beschrieb Benita Stolz kurz die Entstehungsgeschichte des Vereins, die in das Jahr 2011 zurückgeht (siehe nachstehender Link auf Vereins-Homepage). Würzburg war nach ihren Worten das Zentrum aller Deportationen in 109 Gemeinden Unterfrankens. Das Bild der Kofferberge symbolisiere die Situation vor den Transporten treffend wider. Dr. David Schuster vom Zentralrat der Juden Deutschlands habe die Arbeit des Vereins zusammen mit dem Bezirksheimatpfleger Dr. Klaus Reder intensiv begleitet. Zur Eröffnung des DenkOrtes am Würzburger Hauptbahnhof am 17. Juni 2020 standen 49 Gepäckstücke auf unterschiedlichen Sockeln und daneben Stelen mit Informationen zu den Deportationen. Weitere 40 Gepäckstücke folgten am 24. September 2021 und am 16. Juni 2023 sollen weitere zehn Gepäckstücke installiert werden. Stolz: "Jedes Gepäckstück steht stellvertretend für eine unterfränkische Gemeinde, die ihre jüdischen Bewohner grausam vertrieben und in den Tod geschickt hat." Eigentlich müssten es entsprechend der Zahl der insgesamt Deportierten statt einem Würzburger Koffer 405 sein, für Aschaffenburg 143 und für Veitshöchheim zehn. Die Reihe am Würzburger Hauptbahnhof wäre dann zehnmal so lang.
Stolz: "Der Holocaust lässt sich aber nicht wirklich darstellen; mit Hilfe von Symbolen nähern wir uns an." Wenn wie in Veitshöchheim ein Klassengemeinschaft einen Keramikkoffer gefertigt hat, werde deutlich, was den Sinn des DenkOrtes ausmache: Nicht ein Künstler stellt ein Holocaust-Denkmal her, sondern viele arbeiten daran. Damit möglichst viele Menschen wach werden und darüber nachdenken , dass so etwas nie wieder passiert. Zu den Anwesenden sagte sie: "Dazu tragen Sie heute bei. Ich danke Ihnen."
Aus der Rede des Bürgermeisters
Auch dieser DenkOrt hier, in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof, soll zu einem Ort des Erinnerns und des Gedenkens werden.
Götz: "Gedenken bedeutet, Vergangenheit wieder sicht- und greifbar zu machen. Gedenken heißt, das Leid, den Schmerz und das Grauen zu verdeutlichen; gerade jetzt, in einer Zeit in welcher wir eine Intensivierung von antisemitischen Strömungen wahrnehmen, die sich gerade einen Weg von den äußeren Rändern wieder zurück in die Mitte unserer Gesellschaft bahnen. Alte, überwunden geglaubte Ressentiments gegenüber Minderheiten werden allmählich wieder salonfähig."
Deshalb heiße gedenken auch aufzuzeigen wie das NS-Regime funktionierte. Sich mit Geschichte zu beschäftigen bedeute demnach, Fragen zu stellen; Fragen nach dem, was damals geschah, aber auch Fragen, die für unsere Zeit relevant sind. Nur so könnten wir unsere Gedenkkultur erhalten. Nur so könnten wir Kenntnisse über die Vergangenheit an diejenigen Menschen weitergeben, für die die NS-Zeit weit zurückliegende Geschichte ist.
Die Beschäftigung mit der NS-Zeit mache deutlich, so Götz, wie schnell Menschenrechte, Demokratie und ein friedliches Miteinander gefährdet sein können. Sie machet deutlich, dass die Grundlagen unserer Zivilisation nur gewahrt werden, wenn es immer Menschen gibt, die sie achten und für sie eintreten. Sie mache deutlich, wie schnell eine schweigende Mehrheit entsteht, aber auch, dass sich Menschlichkeit immer bewahren kann
Ortsgeschichte
In Veitshöchheim bestand eine jüdische Gemeinde bis 1938/42. An Einrichtungen hatte die jüdische Gemeinde eine Synagoge mit Schule und rituellem Bad.
Im Juni 1933 zählte die jüdische Gemeinde Veitshöchheim 32 Mitglieder. Erste Nachrichten über jüdische Bewohner hier im Ort stammen aber schon aus dem Jahr 1644. Diese profitierten wie ihre christlichen Nachbarn von Anlage und Ausbau der fürstbischöflichen Gartenanlagen und Bauten.
Von acht stieg die Zahl der jüdischen Haushalte im Laufe des 18. Jahrhunderts auf etwa 20 im Jahr 1817 und dann bis 1843 weiter bis auf 32 mit etwa 160 Personen. Durch Auswanderung in die USA und nach Gewährung der freien Wohnortwahl ab 1861 in Bayern ging die Zahl der jüdischen Bevölkerung in Veitshöchheim mit größeren Schwankungen deutlich zurück.
Entrechtung, NS-Repressionen und Wirtschaftsboykotte veranlassten ab 1935 Jüdinnen und Juden in Veitshöchheim zur Ab- und Auswanderung. Ziele waren vor allem die USA und Palästina, aber auch England, Argentinien und Chile. Innerhalb Deutschlands zogen jüdische Familien nach Würzburg, Ichenhausen, Hamburg, Nürnberg und Frankfurt. Fünf Personen verstarben vor den Deportationen in Veitshöchheim und in Würzburg. Eine gemischt-religiöse Familie entging der Deportation.
Zehn jüdische Bürgerinnen und Bürger, die 1933 in Veitshöchheim gelebt hatten, wurden aus Unterfranken deportiert, davon vier direkt aus Veitshöchheim. Eine Person ist kurz vor ihrer Deportation nach Würzburg verzogen gewesen.
Fünf weitere Personen, ereilte dieses Schicksal an ihren neuen Wohnorten in Deutschland. Die Zahl der Deportierten aus Veitshöchheim beläuft sich damit insgesamt auf 15 Menschen, von denen eine Frau überlebte.
Die Gemeinde Veitshöchheim hat bewusst schon vor rund 30 Jahren durch die Wiederherstellung der Veitshöchheimer Synagoge und die Einrichtung des jüdischen Kulturmuseums einen Erinnerungsort geschaffen.
Veitshöchheim war auch eine der ersten Gemeinden in der Region, die einen Ort der Erinnerung an die eigene jüdische Geschichte und die jüdischen Gemeinden in der Region, und somit auch gegen das Vergessen geschaffen hat. Das Jüdische Kulturmuseum bietet Raum für Information und Dokumentation dessen, was den Ort mitgeprägt hat.
Auch mit Verlegung der Stolpersteine im Altort, vor deren früheren Wohnungen wird an ehemalige Juden und Jüdinnen aus Veitshöchheim erinnert.
Jüdische Geschichte Veitshöchheims ist heute nicht unbekannt und nicht vergessen. Durch Kooperationen mit Schulen oder anderen Einrichtungen wird das Thema auch immer wieder neu aufgearbeitet. So hat sich die Erinnerungsarbeit der letzten Jahre hin zur Sichtbarmachung im öffentlichen Raum für die nächsten Generationen verändert.
Textauszug aus der Rede von Bürgermeister Jürgen Götz
Fotos Dieter Gürz