Warnung und Aufruf zugleich: Theatergruppe des Gymnasiums Veitshöchheim inszenierte grandios Erich Kästners bitterböse Satire "Die Schule der Diktatoren"
Zehn angehende Abiturienten und sechs Elftklässler haben am Gymnasium Veitshöchheim bereits in der 5./6. Klasse mit dem Theaterspielen begonnen. Sie sind trotz dreijähriger Corona-Pause auch in der Oberstufe bei der Stange geblieben und studierten in diesem Schuljahr unter den Fittichen der Deutsch-Fachschaftsleiterin Irmgard Ellinger mit Erich Kästners bitterböser Satire "Die Schule der Diktatoren" in neun Bildern ein außergewöhnliches Stück ein. Zu den Oberstufenschülern, die aufgrund der über 30 Rollen der Originalfassung fast alle eine Doppelrolle spielten, gesellten sich noch ein Halbwüchsiger aus der 7 b und ein junges Mädchen aus der 9 c sowie einige ehemalige Schüler.
Auf dem Foto v.l.n.r. Leibarzt (Leonie Kimmel), Kriegsminister (Toni Vorndran), Premier (Amelie Kutscher), der Zehnte (Annika Muth), der Neunte (Lena Büttner), der Achte (Marian Gronert), der Sechste (Mona Hietel), der Siebente (Albert Oestemer), der Fünfte (Jakob Riegel), der Vierte (Antonia Frank), im Hintergrund: der Professor (Aleks Gmernicki)
Das Stück war wahrlich keine leichte Kost. Erich Kästner stellt hier eine Gesellschaft dar, die unfreier kaum zu denken ist. Gefangen in einer Diktatur, die in einer Maschinerie aus totaler Überwachung, Kontrolle, Repression und Manipulation ihr Weiterbestehen sichert, hat kein Befreiungsversuch Einzelner eine Chance.
Es war grandios, wie die Theatergruppe in den beiden Vorstellungen in dieser Woche in der Schulaula vor vollem Haus das Stück mit tollen schauspielerischen Leistungen darstellte. Die Schüler agierten durchweg überzeugend, von den austauschbaren Diktator-Figuren über die zu ihrer Unterhaltung stets bereitstehenden Prostituierten, die erfolglosen Rebellen bis hin zu den vier großen Manipulatoren, die am Ende des Stückes selber von den Rädern ihres Systems erfasst und vernichtet werden, da das neue Regime schon im Hintergrund bereitsteht.
Imponierend war auch, wie die Gruppe Bühnenbild, Requisite, Kostüme und Maske bis hin zur Beleuchtungs- und Tontechnik in Szene setzten. Die Laien-Schauspieler hatten dies alles neben dem normalen Schulbetrieb zu stemmen. Auch wenn das Abitur so kurz bevorsteht, hatten die Zwölftklässler zwei ganze Wochenenden und viele lange Probentage in die Erarbeitung und Aneignung des Stücke investiert, ebenso auch die Q 11ler, die viele Klausuren in der Probenzeit zu schreiben hatten.
So schwärmte denn auch Regisseurin Irmgard Ellinger: "Dieses mit Haut und Haaren engagiert sein, ist etwas, was diese Gruppe auszeichnet und warum es eine pure Freude ist, mit ihnen zusammen zu arbeiten. Diese Leidenschaft zu spielen ist für jemanden wie mich, der Regie macht, eine pure Wonne." Ihr Dank galt besonders auch dem ehemaligen Schüler Richard Baudach, der als Ellingers Regieassistent der Gruppe mit viel Elan und Engagement sehr viel seiner Erfahrung mitgegeben habe.
Nachdem die Oberstufengruppe "Theater und Film" sich im letzten Schuljahr angesichts der Situation in Syrien, Afghanistan und den Ukraine-Krieg sich intensiv mit dem Thema Flucht und Vertreibung während der Nazi-Zeit auseinandergesetzt hat, so Ellinger, habe die Gruppe diskutiert und überlegt, welches Thema sie für die diesjährigen Theateraufführungen wählen. Sie sei dann wegen der ungeheuren Aktualität von Kästners Analyse der Strukturen von Diktatur auf "Schule der Diktatoren" gekommen. Gerade die Bedeutung von Menschenwürde und gelebtem Pluralismus als Grundlage von Demokratie erschien der Oberstufe wichtig zu thematisieren. Dieser sehr viel Zeit in Anspruch nehmende demokratische Prozess der Stückauswahl und Rollenverteilung habe die Theatergruppe von Anfang an in den letzten Jahren geprägt.
Hier Ellingers Resümee nach der gestrigen zweiten Vorstellung: "Diese war wie die erste mit ca. 140 Besuchern voll besucht. Die Theatergruppe ist zu Höchstform aufgelaufen und die Vorstellung lief ohne jeglichen Patzer in Perfektion und vollem Engagement. Die vielen begeisterten Rückmeldungen der Zuschauer zur Aktualität des Stücks, aber auch zur Intensität, und Differenziertheit des Spiels des Ensembles waren eine tolle Bestätigung für die engagierte Arbeit. Sehr berührend war auch der Abschied der Theatergruppe, von denen die Mehrheit als Abiturienten nach sieben Jahren gemeinsamer Theaterzeit und intensiver Lern- und Gemeinschaftserfahrung in der Gruppe, die nicht einmal in der Phase der Coronabedingungen sich davon abhielten ließ, Woche um Woche online Theatertexte per Videokonferenz gemeinsam zu lesen und zu sprechen, nun Abschied nehmen müssen. Ihre herzlichen Dankesworte, die ihre tiefe Verbundenheit zum Ausdruck brachten, waren auch für mich sehr bewegend. Es fällt schwer Abschied zu nehmen von dieser bunten dynamischen und engagierten Truppe voller Lebendigkeit und Kreativität."
Populär machten den deutschen Schriftsteller, Publizist, Drehbuchautor und Kabarettdichter Erich Kästner (* 23. Februar 1899 in Dresden; † 29. Juli 1974 in München), sagte zur Begrüßung Schulleiter Dr. Bernhard Brunner, vor allem Kinderbücher wie "Emil und die Detektive" (1929), "Pünktchen und Anton" (1931)," Das fliegende Klassenzimmer" (1933) und "Das doppelte Lottchen" (1949). Seine Werke zählten zur Liste der im Mai 1933 als „undeutsch“ diffamierten verbrannten Bücher, die im Herrschaftsbereich des NS-Regimes verboten wurden.
Die nationalsozialistische Diktatur hatte Kästner vor Augen, als er das am 25. Februar 1957 in München uraufgeführte Drama "Schule der Diktatoren" schrieb. Das die immer wiederkehrende Manipulierbarkeit und Demoralisierung der Massen und den Missbrauch politischer Macht thematisierende Werk, wie Menschen willenlos und ohne moralische Werte politischer Macht folgen, ist nach Brunners Worten 78 Jahre nach Ende des Dritten Reiches angesichts des russischen Diktators Putin aktueller als je zuvor seit dieser Zeit.
Im Stück vertritt eine Gruppe anonymer Drahtzieher, bestehend v.l.n.r. aus Kriegsminister (Toni Vorndran), Premier (Amelie Kutscher), Leibarzt (Leonie Kimmel) und Professor (Aleks Gmernicki), das politische Entscheidungssystem, in dem sie eine Zwangsherrschaft etablieren.
Das Quartett präsentiert dem Volk einen Diktator (Jakob Riegel), der in Wahrheit nichts anderes ist, als ein von ihnen gelenktes Werkzeug.
Falls ein Präsident zu Tode kommt, können sich die wahren Lenker des Staates eines neuen Präsidenten bedienen.
Der wahre Staatschef ist schon lange tot, einzig seine Frau (Antonia Frank) und sein Sohn (Mona Hietel) leben noch.
Ihnen kommt die Aufgabe zu, die vermeintliche Echtheit des jeweiligen Doubles im Amt zu bestätigen. Das Volk wird getäuscht, das scheinbare Staatsoberhaupt ist nur eine Marionette. Das Stück zeigt die „Idee einer Inszenierbarkeit absoluter Herrschaft, bei der die Ideologie der bloßen Machtgier untergeordnet ist.“
Der Professor bildet in einer Schule im Schloss Belvedere Präsidenten-Doubles aus, die in Verhalten, Mimik und Gestik, Stimmlage und ähnlichen Eigenschaften trainiert werden. Die Doppelgänger sind als Individuen nicht wichtig. Sie werden wie Nutztiere dressiert, um ihre Aufgabe möglichst gut spielen zu können. Sie sind darüber hinaus so stark anonymisiert, dass ihnen sogar die Namen fehlen.
„Der Siebente“ (Albert Oestemer) ist der einzige Doppelgänger, der nicht völlig willenlos den Anweisungen folgt, sondern eigene, fast moralische Absichten verfolgt. Er möchte sich mit einem Staatsstreich an die Macht putschen und eine blutige Diktatur durch tugendhafte Rebellion "beseitigen", scheitert aber. Im Endeffekt wird ein Regierungsumschwung vorgespielt. Die Verschwörer werden jedoch nur durch neue ersetzt. Eine tragende Rolle spielt dabei nach der Pause der ehemalige Schüler und Technik-Freak Daniel Jander (links im Bild oben), der kurzfristig als Vertretung einsprang und genial die Rolle des Majors spielte.
Zwei Regierungen werden so gestürzt, beide nach den klassischen Regeln des Staatsstreichs, doch zu den alten gesellten sich neue Methoden der Technik. Durch Drehen eines Knopfes in der Tonkabine erreicht der Rebell nicht mehr sein um Hilfe gerufenes Volk und weiß es nicht.
Der von demokratischen Idealen angetriebene Freiheitskämpfer wird ermordet.
Die nächste Diktatur, diesmal eine Militärdiktatur mit der Stadtkommandantin als Anführerin (Anastasiya Sidelniyk) etabliert sich. Der Rebell war für sie nur das Vehikel, er war ihr "trojanischer Esel". Die Demokratie bleibt auf der Strecke und mit ihr der dressierte, seiner Würde entkleidete, zum Objekt degradierte Mensch. Auf überspitzte Weise erzählt so das Stück, wie Macht missbraucht und die Bevölkerung betrogen werden kann.
Personenkult, Überwachungsstaat und Repression, die „chronische Aktualität“, die Kästner seinem Stück bescheinigt, all das kommt heutzutage leider nur zu vertraut vor. Und die Akteure der Theatergruppe haben es mit ihrem engagierten Spiel hervorragend verstanden, den Zuschauern diese Tatsache bewusst zu machen.
In weiteren Rollen wirkten mit: Lena Büttner, Marian Gronert, Annika Muth, Annika Rau, Sophie Reußner, Toni Vorndran, Tim Güntner, Janek Rau, Gustav Söder und Nina Schneider. Als Souffleusen betätigten sich Sarah Schürr und Ray Höfler, Technik und Licht bewerkstelligten Paula Denner, Albert Oestemer und Daniel Jander.
Im Bild v.l.n.r. der Fünfte in Zivil (Jakob Riegel), Matrose (Toni Vorndran), der Vierte (Antonia Frank), junges Mädchen (Alexandra Nazarenko), Hausierer (Aleks Gmernicki), Halbwüchsiger (Tim Güntner)
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