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Gemeinderatssitzung per Videoschalte eröffnet ein Gesetzentwurf im Bayerischen Landtag

Veröffentlicht am von Dieter Gürz

Ein Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen, der am 09.02.2021 in Erster Lesung im Plenum des Bayerischen Landtags beraten wurde, sieht durch Einfügung der zwei nachstehenden Artikel 47 a und 120 b in die Gemeindeordnung vor, dass Bayerns Städte und Gemeinden (auch Landkreise und Bezirke) künftig die Möglichkeit haben sollen, bei Sitzungen ihrer Gremien Teilnehmer mit Stimmrecht virtuell zuzuschalten und Corona-bedingt rechtssicher in reduzierter Präsenz zu tagen.
Eckpunkte

  • * Kommunen können entscheiden, ob und unter welchen Voraussetzungen sie audiovisuelle Zuschaltungen zu Gremiensitzungen zulassen wollen (vorläufig befristet bis 31.12.2022)
  • * in 2021 können Kommunen (solange der Pandemiefall durch den Bundestag festgestellt ist) Ferienausschüsse bis zu drei Monate einsetzen und in der übrigen Zeit bis zu jeweils drei Monate Befugnisse (im gleichen Umfang wie sonst auf Ferienausschüsse) auf beschließende Ausschüsse übertragen
  • * für eine Gemeinde- oder Landkreiswahl in 2021 kann die Rechtsaufsichtsbehörde im Einvernehmen mit dem Gesundheitsamt eine reine Briefwahl anordnen; Erleichterungen zudem für Aufstellungsversammlungen
  • * in 2021 sind Bürgerentscheide als reine Briefabstimmungen möglich
  • * in 2021 keine Pflicht zu Bürgerversammlungen (Nachholung aber bis 31.03.2022)

Im Landkreis- und Gemeindewahlgesetz wird weiter ein Artikel 60b mit Sonderregelungen im Jahr 2021 für Gemeinde-und Landkreiswahlen eingefügt.

Der Gesetzentwurf muss nach der Befassung in den Ausschüssen noch in Zweiter Lesung endberaten werden. Auf dem parlamentarischen Weg können sich noch Änderungen des derzeitigen Gesetzentwurfs ergeben.

Auszug aus der Begründung:

Das Jahr 2020 hat gezeigt, dass die bestehenden Regelungen der Kommunalgesetze den Kommunen zwar grundsätzlich Handlungsmöglichkeiten bieten, um auch in einer Krisensituation wie der Corona-Pandemie handlungs-und entscheidungsfähig zu blei-ben. Allerdings lässt sich ein Infektionsrisiko bei persönlichen Zusammentreffen nicht gänzlich ausschließen. Auch sind mittlerweile Varianten des SARS-CoV-2-Erregers aus dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland (B1.1.7) sowie der Republik Südafrika (501.V2) bekannt geworden, bei denen eine deutlich erhöhte Übertragbarkeit zu befürchten ist. Es wird vermutet, dass diese eine bis zu 70 Prozent höhere Übertrag-barkeit als die bisher bekannten Virusvarianten aufweisen können. Diese können somit zu einer neuen Dimension der Verbreitung des Virus führen. Um eine Übertragung von SARS-CoV-2 im Allgemeinen sowie eine Ausbreitung der neuen Varianten im Beson-deren einzudämmen, sind weitergehende Schutzmaßnahmen sinnvoll bzw. geboten.

Dazu ein Statement von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (Newsletter vom 11.2.2021):

Liebe Leserinnen und Leser, seit jeher war und ist es mir als Kommunalminister ein besonderes Anliegen, dass die Gemeinden, Landkreise sowie Bezirke und deren gewählte Gremien als die kommunalen Basiseinheiten unseres demokratischen Rechtsstaats bestmöglich agieren können. Das muss natürlich gerade in so außergewöhnlichen Zeiten wie einer Pandemie und den damit einhergehenden Grundrechtseinschränkungen gelten. Denn die Bürger müssen sicher sein, dass in diesen schweren Zeiten die „Demokratie vor Ort“ funktioniert.

Umgekehrt darf natürlich aus dem Sitzungsgeschehen von Gemeinde- und Stadträten oder Kreis- oder Bezirkstagen weder für die Ratsdamen und -herren, die anwesenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch im Zuge öffentlicher Sitzungen für anwesende Bürgerinnen und Bürger ein unkalkulierbares Infektionsrisiko entstehen. Deshalb habe ich schon mit Beginn der Pandemie 2020 alle Maßnahmen mitgetragen, die darauf zielten, den Sitzungsbetrieb gewählter Kommunalgremien auch unterhalb der Vollversammlung möglich zu machen. Die einschlägigen Kommunalgesetze sehen hierfür einige Optionen vor wie etwa in Bezug auf Stadt- und Gemeinderäte die zeitweise Übertragung von Entscheidungsbefugnissen auf Ausschüsse. Das können auch sog. Ferienausschüsse sein, deren Kompetenzen denen der Vollversammlungen sehr nahekommen. Die Einsetzung von Ferienausschüssen als ein „Ersatzgremiums“ ist an vergleichsweise knappe Höchstfristen innerhalb eines Kalenderjahres gebunden. Dies aus guten demokratiepolitischen Gründen, weil der Ersatz nicht zur Regel werden darf und das Herunterzoomen der Mehrheitsverhältnisse des Plenums in den wesentlich kleineren Ausschuss naturgemäß dazu führt, dass ein erheblicher Teil der gewählten Mandatsträger der großen Fraktionen nicht an Sitzungen teilnehmen kann und sehr kleine Gruppierungen oder ungebundene Mandatsträger womöglich gar nicht mehr im gremiuminternen Meinungsbild des in den Rat hineingewählten politischen Spektrums aufscheinen.

Derlei Fragestellungen zu Ferienausschüssen haben sich für Kommunalparlamente der Kreis- und Bezirksebene erst gar nicht gestellt, da die jeweils für diese maßgeblichen Gesetze das Instrument des Ferienausschusses nicht vorgesehen haben. Das war insoweit eindeutig, ist aber unter den Bedingungen der Pandemie nicht flexibel.

Nun zeichnet sich aber schon seit einiger Zeit ab, dass Corona nicht in zwei Monaten völlig verschwunden sein wird und deshalb die kommunalen Gremien noch längere Zeit unter dem Eindruck von COVID-19 werden tagen müssen. Deshalb habe ich schon vor einiger Zeit die Überlegung in den Landtag hineingetragen, ob es unter den gegebenen Umständen nicht an der Zeit sei, nicht nur die Arbeit mit Ersatzgremien zu flexibilisieren, sondern auch über neue, digitale Formen der Gremienarbeit nachzudenken, ohne dabei das Prinzip der Präsenzsitzung aufzugeben. Für eine bereits vor einiger Zeit von anderer Seite geforderte Volldigitalisierung etwa als reine Videoschaltkonferenz war ich nie. Denn zumindest diejenigen, die eine Sitzung leiten und das Protokoll führen, ggf. aber auch die Fraktionsführer sollen – natürlich mit dem erforderlichen Abstand! – am Ratstisch sitzen. Alles andere entkoppelt die Beratungen vom hergebrachten und dabei den Bürgerinnen und Bürgern vertrauten realen Schauplatz einer vor Ort gelebten Demokratie. Eine Stadtratssitzung gehört nach meiner festen Überzeugung grundsätzlich ins Rathaus und nicht allein in die Weiten des digitalen Orbits. Zudem erleichtert die physische Präsenz einiger weniger „Statthalter“ die Zusammenfassung der Beratungsergebnisse, die Formulierung der Beschlüsse und die Feststellung des von den virtuell teilhabenden Gremienmitgliedern Gewollten und erleichtert so ganz wesentlich eine authentische Gremienarbeit.

Genauso fest bin ich aber auch davon überzeugt, dass diese Neuerungen keine „aufgedrängten Bereicherungen“ sein dürfen, sondern allein Optionen sein können. Diese zu nutzen oder dies zu unterlassen, muss die autonome Entscheidung der kommunalen Gremien und vor allem auch eines jeden einzelnen Gremienmitglieds sein und bleiben. Das gebieten nicht nur der Respekt vor den gewählten Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern, sondern auch das Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung.

Diese Überlegungen haben die Regierungsfraktionen im Bayerischen Landtag veranlasst, auf der Basis einer vom Innenministerium als Kommunalministerium gelieferten sog. Formulierungshilfe aus der Mitte des Parlaments heraus einen entsprechenden Gesetzentwurf einzubringen. Diesen hat das Hohe Haus in dieser Woche in erster Lesung behandelt.

Neben der audiovisuellen Zuschaltung, also neuhochdeutsch in Form einer Hybridsitzung, will der Gesetzentwurf Ferienausschüsse auch auf Ebene der Landkreise, Bezirke und Zweckverbände zulassen und den Einsetzungszeitraum für Ferienausschüsse im Jahr 2021 von sechs Wochen auf bis zu drei Monate erhöhen. In der Zeit, in denen heuer keine Ferienausschüsse eingesetzt sind, sollen die Gemeinderäte, Kreistage, Bezirkstage und Verbandsversammlungen von Zweckverbänden die ihnen vorbehaltenen Entscheidungsbefugnisse bis zu drei Monate – mit Verlängerungsoptionen längstens bis Ende 2021 – auf beschließende Ausschüsse übertragen können. Ziel ist es, Sitzungen der Vollgremien zu vermeiden und stattdessen in 2021 möglichst in kleineren Gremien oder eben als Hybrid tagen zu können.

Was Hybridsitzungen angeht, weist der Gesetzentwurf aber auch bereits über die Pandemie hinaus. Sie sollen nicht nur heuer möglich sein, sondern vorerst bis Ende 2022. Die Kommunen sollen in dieser Zeit erproben können, ob hybride Sitzungen helfen, ein kommunales Mandat leichter mit Familie oder Beruf zu vereinbaren.

 

Link auf Gesetzentwurf als pdf.Datei mit Begründung

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