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Viel zu lernen gab es im Gymnasium Veitshöchheim beim Themenabend VON DER ERBFEINDSCHAFT ZUR FREUNDSCHAFT mit dem Romanisten und Historiker Professor Dr. Clemens Klünemann

Veröffentlicht am von Dieter Gürz

Jeweils am 22. Januar feiern Deutschland und Frankreich ihre Freundschaft mit einem „deutsch-französischen Tag“ (DFT). Er erinnert an die Unterzeichnung des Élysée-Vertrags durch den damaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer und den französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle am 22.01.1963. Das Gymnasium Veitshöchheim, die Deutsch-Französische Gesellschaft Würzburg (DFGW) und das Partnerschaftskomitee Veitshöchheim-Pont-l‘Évêque hatten deshalb  zum Deutsch-Französischen Tag 2020 in die Aula des Gymnasiums eingeladen zu einem Themenabend VON DER ERBFEINDSCHAFT ZUR FREUNDSCHAFT mit dem  Romanisten und Historiker Professor Dr. Clemens Klünemann von der pädagogischen Hochschule Ludwigsburg.

(Klünemann auf dem Foto oben links am Partnerschaftsstand Veitshöchheim-Pont-l'Évêque, daneben der ständige Stellvertreter des Schulleiters Dr. Bernhard Brunner, DFGW-Vorsitzende Britta Habersack, die französische Partnerschaftsbeauftragte der Gemeinde Eva Trampe mit zwei Damen ihres Partnerschaftskomitees ).

Der Vertrag von 1963  beendete die Epoche der Feindschaft. Die Beziehungen sind seitdem durch ein enges Freundschaftsverhältnis innerhalb der Europäischen Union gekennzeichnet. Der nunmehr schon 17. DFT soll an diese deutsch-französische Freundschaft erinnern und vor allem in Bildungseinrichtungen beider Länder die bilateralen Beziehungen thematisieren und die Jugend mit dem jeweiligen Nachbarland bekannt machen.

Dr. Bernhard Brunner betonte in seinen Begrüßungsworten, dass alleine der Umstand, das es in Veitshöchheim, in Würzburg wie in sehr vielen Städten und Gemeinden Komitees und DFG gibt, unterstreiche den außerordentlichen Stellenwert der guten Beziehungen, ja der Freundschaft zwischen den beiden europäischen Kernländern.

Die meisten von uns, vor allem die Schüler würden nichts anderes kennen, als diese schöne, aber auch selbstverständliche Konstante europäischer Politik. Brunner: "Aber selbstverständlich ist an den guten Beziehungen rein gar nichts angesichts der zahlreichen Herausforderungen beim Blick in die Zukunft." Als Beispiele nannte er die sich verändernde außenpolitische Situation, die beide Länder politisch und auch militärisch herausfordere, damit verbunden die Fragen nach der Zunkunft von NATO und EU.

Sorgen bereiteten auch die autoritären, nationalistischen und populistischen Strömungen mit ihren immer offener zu Tage tretenden rassistischen und antisemitischen Elementen und schließlich auch die globalen Fragen der Umwelt und hier im Besonderen, aber keineswegs alleine, der Klimawandel.

All dies erfordere auch weiterhin einen Schulterschluss beider Länder. Den am 22. Januar 2019  von Angela Merkel und Emmanuel Macron unterzeichneten Vertrag von Aachen stufte Brunner als großes Zeichen der Hoffnung ein (weitere Ausführungen und Links am Ende), aber schon die eher strümpfige Behandlung der Vorschläge von Macron zu EU durch die Bundesregierung im letzten Jahr und weitere Dissonanzen würden nachdenklich stimmen.

Und noch viel weniger selbstverständlich erscheint nach seinen Worten die französisch-deutsche Freundschaft, wenn man in die Vergangenheit blicke. Die vorausgegangenen Epochen waren bekanntlich vom Gegenteil geprägt, von Konkurrenz, Feindschaft und drei großen furchtbaren Kriegen seit 1870, wurde das Verhältnis beider Länder im Zeitalter des Nationalismus zur "Erbfeindschaft" deklariert.

Nach der überwundenen Feindschaft und der gewonnenen Freundschaft strahle die Gegenwart, so Brunner, vor dem Schwarz der Vergangenheit in einem besonders gleißenden Licht.

Er sei sehr froh, mit Professor Clemens Klünemann einen ausgewiesenen Frankreich-Experten vorstellen zu können, um mit ihm einen Blick in das spannende Feld der Vergangenheitspolitik werfen zu können.

Der Professor lehrt seit 2004 am Institut für Kulturmanagement in Ludwigsburg. Nach seinem Studium der Romanistik, Germanistik, Geschichte, Gräzistik und Theologie in Münster, Louvain-La Neuve und Toulouse hat er dort im Fach vergleichende Literaturwissenschaft promoviert und war anschließend Lektor des DAAD Saint-Ètienne. 

Als intimer Kenner der französischen politischen und intellektuellen Szenen und Diskurse hat er sich als Publizist und Rezensent in den verschiedenen Medien als wortmächtiger Experte etabliert.

Der Professor nahm in seinem Vortrag den 2003 im Rahmen des 40. Jahrestages des Elysée-Vertrags geschaffenenen DFT zum Anlass einer Bestandsaufnahme der deutsch-französischen Beziehungen seit 1870.

Mit Bildern von Bundeskanzler Konrad Adenauer und Präsident Charles de Gaulle 1962 sowie Bundeskanzlerin Angela Merkel und Präsident François Hollande 2012 in Reims, oder Bundeskanzler Helmut Kohl und Präsident François Mitterrand 1984 in Verdun zeigte Klünemann, wie Orte, die geprägt wurden von den Schrecken des 1. Weltkrieges, heute für Versöhnung und Freundschaft stehen können.

Auch wenn heute der Mythos der „Erbfeindschaft“ dem der „Erbfreundschaft“ zwischen Deutschland und Frankreich gewichen ist, so scheinen nach den Worten des Professors alte Klischees und Ressentiments doch noch nicht vollständig überwunden.

Während die einen an Stereotypen (z.B. vorstehende Ziff. 1-3)  festhalten, kämpften und kämpfen laut Professor die anderen unermüdlich für eine stetige Verbesserung der deutsch-französischen Beziehungen.

Die Deutschen und die Franzosen haben sich, wie in dieser Karikatur gesehen, weitgehend angenähert.

Aufsehen erregte der Professor mit seinem Buch „Sigmaringen. Eine andere deutsch-französische Geschichte" (Berlin 2019), in dem er die skurril-gespenstischen letzten Wochen der Kollaborations-Regierung von Pétain untersuchte, die sich in den letzen Wochen des Zweiten Weltkrieges in das württembergische Sigmaringen verkrochen hatte.

In Deutschland ist nämlich die Episode aus dem Winter 1944/45 nahezu unbekannt und in Frankreich interessieren sich für sie überwiegend gewisse Nostalgiker des Vichy-Regimes, das während des Zweiten Weltkriegs mit den deutschen Besatzern kollaborierte: Beim Rückzug aus dem besetzten Frankreich wurde die Regierung von Marschall Pétain ins schwäbische Sigmaringen gebracht und fungierte als legale Repräsentation Frankreichs – bis die Fassade formaler Legalität im April 1945 zusammenbrach. In den eher überschaubaren französischen Veröffentlichungen zu dieser dunklen Etappe der deutsch-französischen Beziehungen erscheint diese als tragikomisches Intermezzo und ferner Spuk.

Doch was sich hinter den Mauern der Hohenzollernburg in Sigmaringen im Winter 1944/45 abgespielt hat, ist nach Klünemanns Worten wenig bekannt: Als sich die Situation in Frankreich für das deutsche Militär und das Vichy-Regimezuspitzte, erklärte Hitler die Stadt Sigmaringen zur „provisorischen Hauptstadt des deutschen Frankreichs“ und verlegte im September 1944 deren Regierungssitz dorthin.

Liebe zum autoritären Staat und Hass auf Demokratie und Republik hätten die Repräsentanten des „deutschen Frankreichs“ bereits in den 1930er-Jahren vereint und den geistigen Nährboden für die Zusammenarbeit zwischen ihnen und den nationalsozialistischen Deutschen geschaffen. Von Sigmaringen aus regierten die Vertreter des geflohenen État françaisallerdings nur noch ein „Phantom-Frankreich“. Als sich im April 1945 die Truppen Charles de Gaulles Sigmaringen näherten, löste sich die Vichy-Regierung auf, die meisten ihrer Mitglieder gerieten in französische Gefangenschaft und wurden zum Tode verurteilt.

Nur zwei der bekannten französischen Exilanten überlebten: Philippe Pétain, Staatschef deskollaborierenden État français wurde vor Vollstreckung des Todesurteils wegen seiner Verdienste für Frankreich im 1. Weltkrieg begnadigt und in die Verbannung auf die Île d’Yeu geschickt Der andere war der Schriftsteller Louis Ferdi-nand Céline, der wegen seiner antisemitischen Überzeugungen die Nähe zum Vichy-Regime gesucht hatte und in Sigmaringen als Arzt tätig war.

Britta Habersack, die Vorsitzende der Deutsch-Französischen Gesellschaft Würzburg e.V. (DFG) äußerte, dass das Thema sehr gut in ihr Jahresprogramm passe. Ihre Gesellschaft  habe überlegt, ob und wenn ja wie sie die "dunkle Zeit der deutsch-französischen Freundschaft der Jahre 1940-44“  in die Diskussion bringen könne.

Professor Klünemann habe in seinem Vortrag bewusst gemacht, dass seit den Elysée-Verträgen von 1963 das schwierige Thema der Kollaboration eher umgangen wurde, um die freundschaftliche Annäherung nicht zu gefährden.

Dennoch könnte, so Habersack, gerade das Aussprechen dieser schreckhaften gemeinsamen Erinnerungen einen vertieften innereuropäischen Zusammenhalt stärken und einen weiteren Schritt in eine gemeinsame Außenpolitik ermöglichen.
 
Da in Deutschland der Erinnerungskultur eine außerordentliche Bedeutung zugemessen wird, fragt sich Habersack, wer der sensibilisierten jungen Generation Fragen zur französischen Kollaboration beantworten kann.
 
Die Deutsch-Französische Gesellschaft arbeite deshalb daran, einen französischen Historiker zu finden, der bei einer der nächsten Veranstaltungen über den aktuellen Stand der Forschungen berichten könnte.

Über die Slido-App konnten die Zuhörer nach dem Vortrag des Professors Fragen stellen, moderiert von Felix Aust und Stefan Frimmel aus der Q 12. Mit den häufigsten Likes versehen war die Frage: "wie stark die Gräuel der Nazis die französische Wahrnehmung heute noch beeinflussen?"

Nach den Worten des Professors sind diese nicht "basso continuo", also nicht ständig präsent. Wenn man aber durch Frankreich reise, komme man in viele Orte, wo unter dem Namensschild eine Markierung verdeutliche, dass hier ein großes Massaker stattgefunden habe. Dieses Thema sei zwar in der französischen Wahrnehmung präsent, aber es werde relativiert und darin nicht allzu sehr gerührt, damit sich nicht unangenehme Dinge in der Geschichtsicht auftun, mit dem Hinweis, nach sieben Jahrzehnten Frieden müsse mal damit Schuss sein.

In der Diskussion wurde per App auch die Frage gestellt: "Gibt es bei den Beziehungen der jüngeren Menschen überhaupt Vorbehalte?"

Dazu äußerte sich Eva Trampe, die Vorsitzende des Partnerschaftskomitees Veitshöchheim-Pont-l‘Évêque:

Sie betonte, dass sie  im Rahmen der Partnerschaft und vor allem der gegenseitigen Besuche  keinerlei Vorbehalte feststellen konnte. Lediglich die sprachliche Barriere wirke oft noch abschreckend. Aber nach dem ersten Abendessen hätten sich stets alle Unsicherheiten gelegt und die Verständigung sei immer gelungen.

Trampe: "Wir erfahren unheimlich viel Interesse und auch Verständnis für unseren Nachbarn und die langjährig bestehenden Freundschaften bestätigen dies. Die Frankreich Interessierten sind sehr auf die Zukunft ausgerichtet. Sie nehmen das schwierige Erbe der dt.-frz. Freundschaft ernst, jedoch sollen unsere aktuellen Beziehungen davon nicht negativ beeinflusst werden." 

Hinweis:

Exakt 56 Jahre nach Unterzeichnung des "Élysée-Vertrages" haben Deutschland und Frankreich im März 2019 einen neuen Freundschaftspakt besiegelt. Im Krönungssaal des historischen Aachener Rathauses setzten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Staatspräsident Emmanuel Macron ihre Unterschriften unter einen neuen deutsch-französischen Freundschaftsvertrag - den "Vertrag von Aachen" (siehe nachstehender Link)

Auf den Tag genau ein Jahr nach seiner Unterzeichnung ist der Vertrag von Aachen am Mittwoch, 22. Januar 2020 in Kraft getreten. Danach sollen 15 Punkte umgesetzt werden (siehe nachstehende Links).

Eine Bewertung des Aachener Vertrages im Januar 2020 - ein Jahr nach der Unterzeichnung:

Fotos (c) Dieter Gürz

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