Fremd ist der Fremde nur in der Fremde - Schülerinnen des Gymnasiums Veitshöchheim präsentierten eindrucksvoll die Ergebnisse ihrer Spurensuche bei Geflüchteten, Ausgewanderten und Angekommenen
"Wir wurden geboren um die Welt zu verändern. Doch plötzlich steht die Welt in Flammen. Ja, wenn der Himmel über dir zerreißt und die ganze Welt dich nur bescheißt, stehen wir zusammen wie Bonnie & Clyde."
Mit diesem Song von Sarah Connor und Henning Wehland aus dem Jahr 2017, eine Hommage an Unerschrockenheit und wahre Freundschaft, zwei gegen den Rest der Welt oder gar für die Ewigkeit, eröffnete Anna Scheuring die inhaltlich und choreographisch beeindruckende 45minütige Präsentation des P-Seminares "Fremd ist der Fremde nur in der Fremde" oder "Zuhause in der Fremde?" der Q12 des Gymnasiums Veitshöchheim in der intimen Atmosphäre der Bücherei in Veitshöchheim.
Die von der Musiklehrerin Claudia von der Goltz betreuten acht Jugendlichen haben sich ein Jahr lang mit der Frage beschäftigt, wie Menschen sich in einer neuen Heimat "zuhause" fühlen können. In Interviews mit aus Ostpreußen geflüchteten Großeltern, Auswanderern und Geflüchteten, die jetzt in Veitshöchheim und Umgebung leben und gemeinsamen Aktionen mit den "Fremden" haben sie versucht, dieser Thematik auf die Spur zu kommen.
Die Jugendlichen präsentierten zur Frage "weg aus der Heimat und dann?" die Ergebnisse dieser Spurensuche bei Geflüchteten, Ausgewanderten und Angekommenen (v.l.n.r. Tammy Kästner, Elena Wicht, Joemi Schmitter, Teresa Schmitt, Lena Fiedrich, Lena Axmann, Lilly Minnemann und Anna Scheuring).
Wie Tammy und Lilly bei ihrer Anmoderation sagten, haben sie dazu verschiedene Aktionen übernommen, so mit der Familie AliAli syrische Spezialitäten für den Weihnachtsmarkt gekocht, verschiedene Volkstänze aus aller Welt u.a. durch José Sánchez und Eva Mustafa erfahren, weiter durch die Geigenlehrerin Reiko einen interessanten Einblick in die japanische Kultur erfahren.
Spannend seien aber vor allem die zahlreich von der Gruppe geführten Interviews gewesen, durch die sich ihre Sichtweise auf Fremdsein und Zuhausesein verändert habe. So wanderte die Tante einer Schülerin vor über 20 Jahren als junges Mädchen nach Irland aus, um dort ein neues Leben zu beginnen.
Einen Schwerpunkt der Veranstaltung nahm dann der Vortrag einer Auswahl an Zitaten aus den Interviews ein, die die Schülerinnen (beim Vortrag geschickt im Raum verteilt), besonders berührt oder beeindruckt hatte.
Hier einige Beispiele:
- "Wenn ich von den anderen immer nur als Ausländer gesehen werde, kann ich es nie schaffen, ein Teil der deutschen Gesellschaft zu werden."
- "Die Deutschen denken, wir kennen viele Dinge gar nicht und sind viel ärmlicher, dabei kennen wir viel aus unserem eigenen Land."
- "Ich werde allein durch mein Aussehen als Fremder abgestempelt."
- "Warum ist das Kopftuch in Deutschland ein Problem?"
- "Als Kind Kontakt mit verschiedenen Kulturen zu haben, legt einen wichtigen Grundstein für die Weltoffenheit."
- "In Syrien geht man einfach raus und trifft Leute auf der Straße oder man besucht sich einfach so. In Deutschland muss man immer Termine machen".
- "Als ich dann hier mit Einheimischen Karten gespielt habe, war ich endlich mit dabei. Vorher war ich immer der Flüchtling."
- "Zuhause ist, wo Freunde und Familie ist."
- "In meiner Großfamilie war es schwierig, so akzeptiert zu werden, hier kann man sich viel freier und individueller entfallen."
- "Deutschland ist ein sehr freies Land. In Japan gibt es sehr enge Regeln für das Zusammenleben. Man sagt zum Beispiel oft nicht, was man denkt."
Unterbrochen wurden die Zitate von Liedern, die sich mit den Themen Sehnsucht, die Suche nach dem Glück, Krieg und Frieden, Verwirklichung von Träumen und der Vorstellung von einer Welt befassen, die niemanden dazu zwingt, seine Heimat zu verlassen.
Zum Projektthema passte so treffend der vom Gesamtchor angestimmte Song "Irgendwo, auf der Welt, gibt's ein kleines bisschen Glück und ich träum davon in jedem Augenblick" des international bekannten Berliner Vokalensembles Comedian Harmonists der Jahre 1927 bis 1935, deren drei jüdische Mitglieder nach dem Verbot durch die Nazis nach Australien emigrierten und dort dieses Glück fanden.
Lena Friedrich und Anna Scheuring interpretierten dann, begleitet von Lena Axmann am Klavier, den positiv und optimistisch klingenden Song "A million dreams" von Pink, in dem es darum geht, wie die Welt sein könnte, wenn man seine Träume verfolgt.
Ihre Präsentation beschlossen die P-Seminaristinnen mit dem beeindruckenden Popsong "Imagine" von John Lennon aus dem Jahr 1971, der die Vision einer Gesellschaft frei von Religion, Nationalismus und Besitz beschreibt, ein Aufruf für den Frieden ist und als eine Hymne der Friedensbewegung gilt.
So sagte denn Anna in ihrem Schlusswort, dass uns jeden Tag Nachrichten und Schreckensbotschaften von Krieg und Vertreibung in vielen Ländern der Welt erreichen. Anna: "Wir hören es, wir sind schockiert, wir verstehen es nicht und können nicht begreifen, wie solche dinge passieren können, weil wir in einem relativ sicheren Land leben, weit weg von dem. Vieles lassen wir auch nicht an uns heran, weil wir das Gefühl haben, nichts daran ändern zu können. Und doch geht es jeden von uns an!"
Während des letzten Schuljahres konnten sich die P-Seminaristinnen einmal bewusst Zeit nehmen für die Geschichten der Menschen, die zu uns gekommen sind, um ein neues Leben anzufangen. Es ging ihnen aber nicht nur um diese Ankömmlinge, sondern sie sprachen auch mit Menschen, die in der Ferne ihr Glück suchten und ihr Zuhause hier zurück ließen.
Diese Geschichten seien sehr bewegend und oft auch sehr berührend gewesen und ihnen ermöglicht, sich ein Stück weit in die Lage der "Anderen" hineinzuversetzen.
Wichtige Erkenntnis für die Schülerinnen war, gelernt zu haben, dass wir Menschen überall die gleichen Sehnsüchte nach Frieden, nach Familie, nach Freunden, aber auch nach Gemeinschaft, zum Beispiel bei Tanz, Essen und Musik haben und dass uns dies auch miteinander verbindet.
Ihnen wurde außerdem klar, dass Integration besser gelingen kann, wenn sie von beiden Seiten angestrebt wird und sich alle darum bemühen.
Projektleiterin Claudia von der Goltz bestätigte den Schülerinnen, dass sie viel Kraft und Energie in das Projekt eingesetzt haben, nicht um des Präsentierens willen, sondern weil sie etwas mitzuteilen hatten.
Sie habe selber die Idee zu diesem Seminar gehabt, weil es ihr 2015, als die Notunterkunft fast in unmittelbarer Nachbarschaft eröffnet wurde, genauso ergangen sei. Sie habe von unvorstellbaren Schicksalen von Geflüchteten erfahren, durfte aber genauso in einer kleinen, von Stellwänden abgetrennten Zelle der Notunterkunft zum Teetrinken sitzen, später gemeinsam kochen oder auch ein syrisches Lied lernen und mit einigen Familien richtig Freundschaft schließen. So habe auch sie viel Einblick in die Probleme des "Ankommens" bekommen.
Einige Arbeit hineingesteckt hatten die zehn Schülerinnen auch für das Buffet, das sie für die Gäste des Abends zubereitet hatte, u.a. auch Couscous in Einmachgläsern. Es hatte, so Claudia von der Goltz, tatsächlich den gewünschten Effekt, dass die Besucher noch einige Zeit geblieben sind und das Gespräch gesucht haben.
Fotos (c) Dieter Gürz
Ergänzung:
Auf sich aufmerksam machten die Schülerinnen des P-Seminars bereits beim Weihnachtsmarkt im Dezember letzten Jahres, als sich am Stand von "Veitshöchheim hilft" beteiligten. Zusammen mit und unter der Anleitung einer syrischen Familie rollten die Schülerinnen gut zwei Stunden lang Weinblätter, halfen bei der Zubereitung einer leckeren Süßspeise und dann im Stand beim Verpacken und Verkaufen. Die Weihnachtsmarktaktion war nach den Worten der Betreuungs-Lehrerin Claudia von der Goltz für das Seminar ein schöner und sehr direkter Start in das Thema.
Denn vor dem Hintergrund der vielen "Fremden", die in den letzten Jahren zu uns gekommen sind, aber auch der Menschen, die schon lange bei uns leben (ca.70 Nationen leben alleine in Veitshöchheim) war es Ziel des Seminares, dem Gefühl von Fremdheit/Fremdsein, aber auch des "sich-zu-Hause-Fühlens" auf die Spur zu kommen und evtl. auch Möglichkeiten zu finden, diese Fremdheit zu durchbrechen in Befragungen, gemeinsamen Aktionen auch kultureller Art.
Betroffen ist die Seminarleiterin über die aktuellen Ereignisse im Norden Syriens, denn türkische Truppen haben die Heimatstadt ihres Freundes Mohammed Jamil (im Bild links beim Weihnachtsmarkt aktiv) beschossen, dessen Eltern dort leben und zu denen er seitdem keinen Kontakt mehr hat, so dass er total verzweifelt sei. Die Gymnasiumslehrerin kennt Jamil, seit dieser 2015 in die Notunterkunft in der Kaserne kam und seitdem von "Veitshöchheim hilft" betreut wurde und ihm nun ab Januar eine Ausbildungsstelle als Koch vermittelt werden konnte.
Diese beiden Fotos sind von M. Edelmann