Lehrreicher Vortrag von Frank Hermann in Veitshöchheim zum Fairen Handel als Teil der Klimaschutzbewegung: Es ist nicht genug, zu wissen, man muss es auch tun
Zu dem Vortrag "Reiche Unternehmen, arme Erzeuger: Wohin geht die Reise beim Fairen Handel?" hatte der Fairtrade-Landkreis Würzburg in Kooperation mit der Fairtrade-Gemeinde Veitshöchheim und dem Weltladen Güntersleben in die Bücherei im Bahnhof eingeladen.
Bürgermeister Jürgen Götz freute sich, als Referenten den bekannten Buchautor, Journalist, Blogger und Betriebswirt Frank Herrmann begrüßen zu können.
Der Referent hat viele Jahre in Lateinamerika gelebt, Entwicklungsprojekte geleitet und Hilfsorganisationen beraten.
Der Nachhaltigkeitsexperte ist unter anderem Co-Autor des bereits in 5. Auflage erschienenen Ratgebers "Fair einkaufen – aber wie?", Autor des preisgekrönten Handbuchs "FAIRreisen" und zahlreicher Reiseführer. Auf seiner jährlichen „Fairen Biketour“ von Flensburg nach Füssen hält er deutschlandweit Vorträge zu nachhaltigen Themen.
Die Veranstaltung wurde umrahmt von einem Ausstellungstisch mit fairen Produkten, die es im Eine-Welt-Laden in Güntersleben zu kaufen gibt. Den Besuchern servierten ehrenamtliche Mitarbeiter des Ladens leckere vegetarische Häppchen und Getränke.
"Wir Konsumenten haben wie bei den Bio-Produkten die Wahl und damit die Macht, die Produkte zu kaufen, die Projekte unterstützen, die wirklich für eine gerechtere Welt stehen", betonte der stellvertretende Landrat Ernst Joßberger. Dies gelinge nur, wenn wir informiert sind und auch Fehlentwicklungen nicht unbenannt bleiben.
Hermann berichtete über seine Aufenthalte in Guatemala am Attitlan-See während seines Studiums und vor drei Jahren und welch riesengroße Fortschritte in dieser Zeit in der Kooperative der Kaffeekleinbauern erzielt werden konnten. Diese könnten aber auch heute noch oft nur bis zu 20 Prozent ihres Kaffees über den fairen Handel loswerden, weil einfach die Käufer fehlen. Wie auf der Folie zu sehen, erhalten die Kleinbauern beim Verkauf von 250 Gramm fairer Kaffee zum Preis von 4,79 Euro 26 Prozent, das seien doppelt soviel wie bei einem freien Verkauf am Straßenrand vom Zwischenhändler. Im Gegensatz zu den billigen "Lockvogel"-Angeboten der Discounter ist nach Meinung von Hermann der Fairtrade-Kaffee in den Weltläden hinsichtlich der Qualität unvergleichlich besser und sei deshalb auch nicht zu teuer. Kaffee sei mit 162 Liter pro Person im Durchschnitt das beliebteste Getränk in Deutschland. Von den 350.000 Tonnen Kaffee jährlich seien aber nur 20.300 Tonnen oder fünf Prozent fair gehandelt.
Suspekt sind Hermann die 2,8 Milliarden Wegwerfbecher und rund drei Milliarden Aluminiumkapseln (= 4.500 Tonnen Alumüll) pro Jahr.
Ein bedeutender Faktor ist neben dem Kaffee auch Kakao. Hier ist der Fairtrade-Anteil in Deutschland mit 1.718 Tonnen Schokolade und 754 Tonnen Trinkschokolade bei einer Einfuhr von vier Milliarden Tonnen noch deutlich geringer als bei Kaffee, ebenso auch die Honorierung der Kakaolieferanten.
Hermann verdeutlichte, welche fatalen Folgen unsere Billig-Produkte für die produzierenden Menschen vor Ort haben. So stamme beispielsweise über ein Drittel des für die Schokoladengewinnung benötigten Kakaos aus der Elfenbeinküste, wo die Bohnen hauptsächlich von Kindern unter gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen geerntet würden.
Faire Produkte sind längst nicht mehr nur in Weltläden zu finden. Auch viele Supermärkte, Bioläden und Discounter haben sie, so der Referent, mittlerweile im Angebot. Insgesamt gäbe es aber immer noch viel zu wenig fair gehandelte Produkte. Bei bestimmten Waren wie Kaffee, Bananen oder Schokolade würden aber immer mehr Deutsche zum Fairtrade-Produkt greifen, wie die vorstehende Folie "Umsatzentwicklung" zeigt. Insgesamt betrage der Marktanteil fair gehandelter Waren allerdings gerade mal etwas mehr ein Prozent am Gesamtkonsum. So führe beispielsweise Lidl bei insgesamt 1.500 Artikeln im Angebot nur 15 bis 20 Fairtrade-Produkte.
So habe jeder Deutsche 2018 für fair gehandelte Produkte gerade mal 19 Euro ausgegeben, die Österreicher mit 38 Euro das Doppelte. Weltmeister seien die Schweizer, die pro Jahr und Person rund 82 Euro für fair gehandelte Waren ausgeben.
Ein wichtiges Merkmal beim Einkauf ist laut Hermann das Fairtrade-Siegel, das Kleinbauern und Arbeitern auf Plantagen Mindestpreise und Mindestlöhne garantiere und auch für langfristige Handelsbeziehungen und die Einhaltung der Menschenrechte stehe. Weitere zuverlässige Siegel des Fairen Handels seien das Siegel der Welthandelsorganisation WFTO, das Naturland Fair-Siegel und das Gepa Fairplus-Siegel sowie neu das Kleinbauernsiegel SPP.
Der Referent ging auch darauf ein, dass Produkte zwar fair, aber nicht sinnvoll sein können, wenn sie beispielsweise mit zuviel Fett oder Zucker der Gesundheit schaden und auch Zielkonflikte mit Blick auf den Klimaschutz bestehen können, beispielsweise beim Konsum von Wein aus Südafrika.
Nichts an Aktualität verloren, so Hermann, hat dieses Goethe-Zitat aus dem Jahr 1822. Aufklärung allein genüge nicht, es müssten auch Taten folgen. So bemühe er sich, beim Einkauf in einem Lebensmittelgeschäft ohne Plastik nach Hause zu kommen. Neben der Verantwortung der Verbraucher stehen aktuell auch beim Fairen Handel, als Teil der Bewegung hinsichtlich Klimaschutz und der Wachstumsproblematik, die Politik und die Unternehmen in der Pflicht, Veränderungen herbeizuführen.
Der stellvertretende Landrat Ernst Joßberger hatte zuvor betont, dass er schon ein wenig stolz darauf sei, dass seit Februar 2016 der Landkreis Würzburg der zweite Landkreis in Bayern war, der mit dem Fairtrade-Siegel ausgezeichnet wurde. Sehr erfreulich sei auch, dass es mit dem Landkreis-Gymnasium Veitshöchheim im Vorjahr eine zweite Fairtrade-School nach der Grundschule Güntersleben im Landkreis gibt. Denn um den Fairtrade-Gedanken weiter zu verbreiten, sei es ausgesprochen wichtig, dass bereits unsere Jugend hierüber aufgeklärt und zum Mitmachen animiert wird.
Die Keimzellen der Fairtrade-Bewegung im Landkreis seien sicher die acht Weltläden gewesen, die zum Teil schon seit Jahrzehnten in Güntersleben, Erlabrunn, Hettstadt, Ochsenfurt, Randersacker, Reichenberg, Rottendorf und Waldbüttelbrunn bestehen.
Bei den Fairtrade-Towns führte Joßberger drei Vorreiter im Landkreis auf: Nach Güntersleben im April 2012 wurden die Stadt Ochsenfurt im Jahr 2015 und die Gemeinde Veitshöchheim im November 2017 Fairtrade-Kommunen. Gebrunn, Rimpar und Rottendorf hätten sich ebenfalls auf den Weg gemacht.
Joßberger: "Dahinter stehen viele kleine Leute, die das Gesicht der Welt verändern wollen." Dies seien die zahlreichen ehrenamtlich tätigen Frauen und Männer, die die Öffnungszeiten der Läden bewältigen, aber auch die Organisation des Einkaufs, die Öffentlichkeitsarbeit, eigene Veranstaltungen und vieles mehr bewerkstelligen.
Eine Gemeinde oder ein Landkreis werde nur zertifiziert, wenn nicht nur Einhzelhandel und die Gastronomie mitmachen, sondern auch Schulen, Kindergärten, Vereine und Kirchen dabei sind. So werde daraus eine breite gesellschaftliche Bewegung und die sei notwendig, um gemeinsam eine gerechtere Welt zu erschaffen.
Joßberger: "Ich bin überzeugt, dass nachhaltiges, faires Handeln ein ethischer Gewinn ist und auch zur Zukunftssicherung in unserem Land beitragen und so auch an zukünftige Generationen weitergegeben wird. Vieles sei notwendig und möglich und wenn wir dadurch Kinderarbeit, Armut und Not verhindern können, dann sollten wir das tun."
In der 6. Auflage von Hermanns Handbuch „Fair einkaufen-aber wie?“ wurde versucht, so viele Informationen wie möglich rund um die Themen Fairer Handel, Faire Mode, Fairer Tourismus, Faire Elektronik und Nachhaltige Geldanlagen zu sammeln und so aktuell wie möglich aufzubereiten: Klimawandel, Wertschöpfung, fairer Lohn, Abschaffung der Kaffeesteuer für fair gehandelten Kaffee, Lidl’s Bananenrückzieher, Direct Trade, fair grillen, Nachhaltigkeit bei Huawei, Ausbeutung bei der Schuhproduktion in Osteuropa, faire Angebote für Veganer, Divestment und vieles mehr.