SL-Bezirksgruppe erinnerte in Veitshöchheim zum „Tag des Selbstbestimmungsrechts“ an den 4. März 1919
Erinnerungsbild an die zentrale Gedenkfeier der SL-Bezirksgruppe zum "Tag des Selbstbestimmungsrechts" der Sudetendeutschen im Jahr 2017 in Veitshöchheim anlässlich der Totenehrung am Aufgang zum Ehrenmalplatz an der Vituskirche
Bei der 30 Mitglieder zählenden Ortsgruppe Veitshöchheim der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL) ging am Wochenende zum "Tag des Selbstbestimmungsrechts" die zentrale Gedenkfeier der SL-Bezirksgruppe Unterfranken über die Bühne.
Höhepunkt war nach einem Empfang im Rathaus, der Besichtigung der SL-Dauerausstellung im Rathaus und der Niederlegung einer Blumenschale am Ehrenmalplatz an der Vituskirche mit Totengedenken eine feierliche Veranstaltung in den Mainfrankensälen mit SL-Landesobmann Steffen Hörtler aus Bad Kissingen als Hauptredner.
Veitshöchheims Bürgermeister Jürgen Götz begrüßte eine Delegation der aus ganz Unterfranken angereisten SL-Gäste mit SL-Landesobmann Steffen Hörtler, SL-Bezirksobmann Alfred Kipplinger aus Sulzbach am Main und SL-Ortsobmann und SL-Ehrenbezirksobmann Karl Nausch an der Spitze im Sitzungsssaal des Rathauses.
v.l.n.r. beim Empfang im Rathaussaal Bürgermeister Jürgen Götz, SL-Bezirksobmann Alfred Kipplinger, SL-Landesobmann Steffen Hörtler und Altbürgermeister Rainer Kinzkofer
Sudetendeutsche in Veitshöchheim beheimatet
Der Bürgermeister führte dabei nach der Präsentation des Videos über Veitshöchheim und sein reichhaltiges kulturelles Leben den Gästen vor Augen, dass auch hier in der Perle am Main 1945 viele nach ihrer Vertreibung aus der böhmischen Heimat sesshaft wurden und bis heute eine starke Gemeinschaft bilden.
Zu verdanken sei dies in erster Linie dem 83jährigen Ortsobmann Karl Nausch, der seit der Gründung der Ortsgruppe 1962 im ehemaligen Gasthaus "Anker" (heute Hotel am Main) von echtem Pioniergeist getragen bis heute äußerst zeitaufwendig und aktiv in der SL in verschiedenen hervorgehobenen Positionen auf Orts-, Kreis-, Landes- und Bundesebene mitwirkte. Der Bundesverdienstkreuzträger war sogar vier Jahre lang bis 2008 Vizepräsident der 220.000 Mitglieder vertretenden Bundesversammlung.
So konnte im Oktober 2012 die SL-Ortsgruppe Veitshöchheim in den Mainfrankensälen groß ihr 50jähriges Bestehen nach dem Motto "Wir suchen Verständigung ohne das Unrecht zu vergessen" feiern.
Als Mann des Ausgleichs war es für ihn auch keine Frage, für die von der Gemeinde angestrebte Partnerstadt mit einer osteuropäischen Stadt, seinen Geburtsort Rothau (Rotava) im Egerland vorzuschlagen und 2006 die Vertragsunterzeichnung mit zu organisieren. Dies obwohl er dort nach dem Krieg als Elfjähriger von den Tschechen vertrieben wurde und sein Vater, der eine eigene Tischlerei besaß, alles verlor.
Im September 2015 erhielten Karl Nausch und Altbürgermeister Rainer Kinzkofer, der Nausch von Anfang an bei seinen Bemühungen um das Zustandekommen der Partnerschaft unterstützte, anlässlich der 50-Jahrfeier zur Stadterhebung von Rotava in der tschechischen Partnerstadt den Orden "Herz für Rotava" und eine Urkunde überreicht.
Nausch initiierte erfolgreich auch die Gründung von Gliederungen in Sachsen, wie beispielsweise in Klingenthal, für die die Veitshöchheimer SL die Patenschaft übernahm.
In einer Nische des Rathausobergeschosses dokumentierte er die Vertreibung der Sudetendeutschen, installierte am Ehrenmal eine Vertriebenen-Gedenktafel und hinter dem Rathaus eine Plastik seines sudetendeutschen Landsmannes Ferdinand Tietz, dem Schöpfer zahlreicher Hofgarten-Skulpturen im Hofgarten. Und auch der in Eger im Sudetenland geborene Balthasar Neumann, einer der bedeutendsten Baumeister des Barock und des Rokoko in Süddeutschland, hat dort seine bleibenden Spuren hinterlassen.
Nausch musste nun im fortgeschrittenen Alter feststellen, dass die Männer und Frauen, die die schrecklichen Ereignisse der Vertreibung und Gewalt erlebt hatten, nach und nach abtreten und die Ortsgruppe drei Generationen später statt wie früher über 100 derzeit nur noch über 30 Mitglieder verfügt. Wie in Bayern habe jedoch auch in Veitshöchheim jeder Zehnte sudetendeutsche Wurzeln.
Es sei daher sein Herzensanliegen, dass das geistige Erbe der Sudetendeutschen nicht in Vergessenheit gerate und die tschechische Regierung endlich das an ihnen begangene Unrecht eingestehe. Nausch plädiert deshalb nachwievor dafür, für das Volksgruppenrecht für Minderheiten und für eine Verständigung und einen Ausgleich mit dem tschechischen Volk auch in der Zukunft einzutreten. Nausch: „Wir wollen Versöhnung, diese kann jedoch nicht von oben verordnet werden, sondern muss aus dem Volk kommen."
Zur Erinnerung und als Mahnung für das Leid, das die Volksgruppe erfahren musste, hatte die Ortsgruppe 1997 in der Gartensiedlung eine mährische Eberesche gepflanzt, zugleich als Symbol des friedlichen Zusammenlebens von Volksgruppen in einem Staat sein. Die Eberesche, auch Vogelbeerbaum genannt, 1805 im Sudetenland entdeckt, gilt als widerstandsfähige Baumart, die sich in den Hochlagen des Erz- und Riesengebirges behauptet, wo heute die Fichten infolge der Luftverschmutzung längst abgestorben sind. Nachdem der Baum eingegangen war, erfolgte 2009 im Rahm der Aktion "Veitshöchheim blüht auf" eine Neupflanzung am Weg der inzwischen schon 30 Jahresbäume am Rande der Gartensiedlung.
Nach dem Empfang im Sitzungssaal besichtigte die unterfränkische SL-Delegation die 1997 anlässlich der 900-Jahr-Feier Veitshöchheims von Karl Nausch in einer Nische des Rathausobergeschosses eingerichtete und 2002 erweiterte Dauerausstellung, die eindrucksvoll über die ehemals blühende Heimat der Sudetendeutschen in Böhmen und Mähren, besonders aber über die leidvolle Vertreibung von über drei Millionen Sudetendeutschen und der 240.000 Vertreibungsopfer aufklärt. Mit der Dokumentation im Rathaus, so Nausch, erinnere die SL-Ortsgruppe künftige Generationen an diese Schicksale und mahne alle, darauf hinzuwirken, dass solches in Europa niemals mehr geschehen darf. In Vitrinen stellte hier die Ortsgruppe auch Erinnerungsstücke aus der alten Heimat aus, wie Porzellan aus Pirkenhammer, Klöppel- und Spitzenwaren aus dem Erzgebirge, Bilder über die Hopfenernte, einen versteinerten Brautstrauß, Arbeitsbücher oder Flüchtlingsausweise und Armbinden aus. Auf Tafeln wird beispielsweise an die deutschen Namen der wichtigsten Städte Böhmen und Mährens erinnert, Bilddokumente offenbaren das Leid der Unterdrückung und Vertreibung, Landschaftsbeschreibungen lassen erahnen, wie schön die alte Heimat war und in einer Vitrine wird altes Brauchtum unter anderem auch durch ausgestellte Trachtenpuppen lebendig. Die Dauerausstellung kann während der Öffnungszeiten des Rathauses besichtigt werden.
Dass dies alles möglich war, ist laut Nausch besonders auch Altbürgermeister Rainer Kinzkofer zu verdanken, der dazu einige Ausführungen machte. Als Dank für seinen Einsatz für die Belange der SL und seine 25jährige treue Mitgliedschaft in der Ortsgruppe hatte Nausch dem 27 Jahre lang bis Ende April 2014 amtierenden Ortsoberhaupt im April 2013 mit einer Ehrenurkunde und der Goldenen Ehrennadel seines Verbandes ausgezeichnet. Der Bürgermeister hatte auch das Vorhaben des Sudetendeutschen Verbandes studentischer Korporationen Veitshöchheim unterstützt, Veitshöchheim zu seinem Hauptkonvent zu erklären und dass die Ortsgruppe am Ehrenmal an der Vituskirche eine Vertriebenen-Gedenktafel und hinter dem Rathaus eine Plastik des sudetendeutschen Landsmannes Ferdinand Tietz, dem Schöpfer zahlreicher Hofgarten-Skulpturen im Hofgarten, installierte. Auch einige Straßennamen wie Sudetenstraße und Egerländer Straße erinnern an die verlorene Heimat.
Zum Gedenken an vergangenes Unrecht versammelten sich dann die unterfränkischen SL-Vertreter zur Totenehrung mit Niederlegung einer Schale an den Gedenktafeln am Ehrenmalplatz an der Vituskirche.
Die Blaskapelle Hermann Gropp spielte "Stern, auf den ich schaue", A Krummacher, 1857, in Schlesien bekannt und den Choral "Ich hatt' einen Kameraden".
Vertriebenen-Seelsorger Adam Possmayer erinnerte in seiner Gedenkrede zum Totengedenken an die blutigen Ereignisse am 4. März 1919. Nie vergessen könne man, als vor 98 Jahren im Sudetenland, in Kaaden, Sternberg, Karlsbad, Arnau , Eger, Mies und Aussig an der Elbe damalige deutsche Bürger friedlich für ihr Recht auf Selbstbestimmung demonstrierten. 54 Opfer von unschuldigen Sudetendeutschen waren damals zu beklagen und hunderte Verwundete.
Zur Eröffnung spielte die Blaskapelle Hermann Gropp Beethovens Europahymne "An die Freude", zwischen den Reden Händels "Marsch aus Josua", den Frankenmarsch, Allemande von Johann Schein und am Ende die Bayernhymne und das Deutschlandlied. - Foto SL
Nach dem Grußwort von Alt-Bürgermeister Rainer Kinzkofer hielt Steffen Hörtler, SL-Landesobmann und stv. SL-Bundesvorsitzender die Gedenkrede (Foto SL).
1526 kamen die böhmischen Länder und damit auch die Heimatgebiete der Sudetendeutschen unter die Herrschaft der Habsburger und wurden damit ein Teil Österreichs. Böhmen und Mähren gehörten zusammen mit ganz Österreich bis 1806 dem römisch-deutschen Reich, von 1815 bis 1866 dem Deutschen Bund und bis zum Kriegsende 1918 dem österreichisch-ungarischen Habsburgerreich an.
Das Ende des Ersten Weltkriegs 1918, brachte die Zerschlagung des österreichisch-ungarischen Vielvölkerstaates. Die rund 6,7 Millionen Tschechen forderten einen eigenen Staat, dem auch die industriereichen Siedlungsgebiete der Sudetendeutschen angehören sollten. Nach der Ausrufung der Tschechoslowakischen Republik (CSR) am 28. Oktober 1918 hatten damals die Sudetendeutschen unter Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker den Verbleib ihrer Heimatgebiete bei dem zur Republik Deutsch-Österreich verkleinerten österreichischen Staat, der seinerseits seinen Willen zum Zusammenschluss mit dem Deutschen Reich bekundete.
Die Annahme des Versailler Vertrags durch Deutschland Anfang Juni 1919 machte diese Pläne jedoch zunichte. Gegen ihren ausdrücklichen Willen wurden die Sudetendeutschen dann mit dem Vertrag von St. Germain vom 10. September 1919 einem neuen Staat, eben der Tschechoslowakei, zugeschlagen, den sie nicht wollten, und an dessen Namen, Verfassung und Gründung sie keinen Anteil hatten und der seit seiner Gründung die Rechte seiner nicht-tschechischen bzw. nicht-slowakischen Bürger in vielen Lebensbereichen zwanzig Jahre lang systematisch missachtete.
Entgegen dem Versprechen des tschechischen Außenministers Edvard Benesch von 1919 begann die tschechoslowakische Staatsführung eine anti-sudetendeutsche Politik. Darunter fiel etwa die systematische Zurücksetzung der deutschen Sprache und Kultur, die Verdrängung der Deutschen aus dem öffentlichen Dienst, die Benachteiligung der deutschen Wirtschaft oder die Beschneidung der deutschen Selbstverwaltung.
Nach dem "Münchner Abkommen" ließ der deutsche Diktator Adolf Hitler 1938 die Gebiete gegen den Protest der Regierung in Prag besetzen, wenig später annektierte die Wehrmacht völkerrechtswidrig auch den Rest des heutigen Tschechiens. Nach dem Zweiten Weltkrieg ließ die tschechoslowakische Regierung die deutschsprachige Bevölkerungsgruppe vertreiben und enteignen. 2,8 Millionen Sudetendeutsche kamen nach Deutschland.
1985 formulierte der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker: "Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart".
Die Sudetendeutsche Landsmannschaft fordert seit der Bundesversammlung Ende Februar 2013 nicht länger die "Rückgabe" ihrer früheren Heimat. Demnach zielen die Verbandszwecke nicht mehr darauf, nach dem Zweiten Weltkrieg beschlagnahmtes Eigentum zurückzuerhalten. Gestrichen ist auch das Ziel, den "Rechtsanspruch auf die Heimat, deren Wiedergewinnung und das damit verbundene Selbstbestimmungsrecht der Volksgruppe durchzusetzen".
Als neues Ziel der Landsmannschaft wurde festgelegt, "Vertreibungen, ethnische Säuberungen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, menschen- und völkerrechtswidrige Enteignungen" weltweit zu ächten. Geschehenes Unrecht sei "auf der Grundlage eines gerechten Ausgleichs zu heilen". Die EU-Grundrechtecharta müsse für alle Mitgliedstaaten uneingeschränkt gelten.