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Rainer Christian Rosenbaum erlebte hautnah Erdbeben in Ecuador mit - Veitshöchheimer Gymnasiasten spendeten nach Vortrag und Kuchenverkauf

Veröffentlicht am von Dieter Gürz

Foto: D. Gürz

Foto: D. Gürz

"Ein Vortrag über ein Erdbeben in Südamerika, am Schuljahresende, während andere Klassen vielleicht Filme schauen oder gemütlich mit dem Kursleiter frühstücken? Und dann noch am Freitag in der 4. und 5. Stunde, kurz vor dem Wochenende? Müssen wir da wirklich hin?" Das mag sich wohl der eine oder andere Spanisch-Schüler der 10. und 11. Klassen des Veitshöchheimer Gymnasiums gedacht haben, als die Veranstaltung in den Kursen angekündigt wurde.

Doch kaum hatten die Jugendlichen jüngst den Mehrzweckraum betreten, in dem als Gast Rainer Christian Rosenbaum bereits auf sie wartete, wurden sie schnell eines Besseren belehrt. Der 35jährige Deutsch-Bolivianer, der über 16 Jahre lang in Mexiko und anderen mittelamerikanischen Ländern gelebt hatte und seit etwa einem Jahr mit seiner ecuadorianischen Frau und seiner kleinen Tochter in Manta (Ecuador) wohnt, passte so gar nicht in das Bild eines typischen, langweiligen Referenten. Es gelang ihm mühelos, die rund 60 Schülerinnen und Schüler mit seinem kurzweiligen, emotionalen und trotz der ernsten Situation immer wieder humorvollen Vortrag in seinen Bann zu ziehen.

Rosenbaum und seine Familie hatten das verheerende Erdbeben in der Küstenregion von Ecuador am 16. April 2016, von dem die Medien auch hier in Deutschland berichteten, hautnah miterlebt und glücklicherweise ohne größere Schäden überstanden. Es war bereits die zweite Naturkatastrophe in der Region in kürzester Zeit, nachdem es eine Woche zuvor bereits schwere Überschwemmungen gegeben hatte.

Anschaulich erzählte Rosenbaum, wie er gegen 19.00 Uhr, als es bereits dunkel war, die Erdstöße wahrgenommen hatte. Zunächst bemerkte er eine leichte Vibration, während er eine Wasserleitung reparierte, und als er sich mit seiner Familie im Hof unter einem Stahlbalken in Sicherheit gebracht hatte, "ging es richtig los". 58 Sekunden lang war das Beben zu spüren. "Die Alarmanlagen der Autos in der ganzen Stadt gingen gleichzeitig los, sämtliche Hunde begannen zu jaulen, aus einem höher gelegenen Schwimmbecken lief das Wasser die Straße hinunter, und keiner konnte sich mehr auf den Beinen halten", so Rosenbaum. Wie später bekannt wurde, hatte das Erdbeben eine Stärke von 7,8 auf der Richterskala, forderte über 660 Menschenleben sowie mehr als 6000 Verletzte und machte über 28.000 Menschen in der Provinz Manabí obdachlos. Unter den Todesopfern befand sich auch eine Deutsche, die Rosenbaum persönlich kannte.

Noch in der Nacht machte sich Rosenbaum zusammen mit seinem Schwager auf, um bei den Bergungsarbeiten zu helfen, wobei ihm seine in Deutschland absolvierte Ersthelfer-Ausbildung zugutekam. In völliger Dunkelheit gelang es ihnen, mit Hilfe einer Leiter etliche Menschen zu befreien, die in einem Hochhaus eingeschlossen waren – unter ihnen auch einige Ausländer, die zunächst überhaupt nicht auf die Zurufe reagiert hatten, da sie kein Spanisch verstanden. "Im Nachhinein betrachtet war die Aktion unglaublich leichtsinnig. Direkt vor uns ist beispielsweise ein Stück der Decke eingestürzt, als wir uns einen Zugang zu dem Gebäude verschafften. Wahrscheinlich würde ich so etwas nicht noch einmal tun, aber in diesem Augenblick haben wir nicht überlegt, sondern einfach gehandelt."

Mit seiner restlichen Akkuladung gelang es ihm noch, per Handy ein Lebenszeichen und eine dringende Bitte um Hilfe an seine Familie in Deutschland zu schicken, danach war keinerlei Kommunikation mit der Außenwelt mehr möglich. Die nächsten Tage verbrachten die Menschen in der betroffenen Region ohne Strom und Telefon, bis die ersten Hilfstransporte aus dem Landesinneren und auch aus dem Ausland eintrafen. "Wir haben auf dem Hof gezeltet, weil es immer wieder schwere Nachbeben gab. Eigentlich war es eine sehr schöne Erfahrung – es war dunkel und sehr ruhig, meine Gitarre klang plötzlich viel besser, und vor allem fingen die Leute an, wieder richtig miteinander zu reden. Die Menschen kamen zusammen und freuten sich darüber, sich zu sehen, statt einfach aneinander vorbeizulaufen."

Am nächsten Morgen zeigte sich das ganze Ausmaß der Verwüstung. Das Marktviertel Tarqui wurde fast völlig zerstört. Überall machte sich Verwesungsgeruch breit, sauberes Trinkwasser war Mangelware und eine Chlorflasche zur Wasserdesinfektion war nur mit großer Mühe zu bekommen.

Beeindruckt zeigte sich Rosenbaum von der unglaublichen Hilfsbereitschaft, sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene. Allein aus Deutschland kamen über 1,5 Millionen Euro an Soforthilfe. Doch auch in Ecuador selbst wurden spontan viele Hilfsaktionen organisiert. "Die Bauern haben uns ihre gesamte Ernte geschickt, nachdem es hier kaum noch Lebensmittel gab. Selbst die Ärmsten haben einen Beitrag geleistet. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich direkt vor Ort sein durfte, so viel Solidarität erlebt habe und auch selbst so viel helfen durfte."

Auch von der Reaktion der ecuadorianischen Regierung war Rosenbaum äußerst positiv überrascht. "Unser Präsident war in Italien, als sich das Erdbeben ereignete. Er schickte sofort das Militär an die Küste und flog umgehend zurück, was für einen südamerikanischen Präsidenten überhaupt nicht selbstverständlich ist. Das Militär schützte die Gebäude vor Plünderungen, organisierte die Essensverteilung und stellte Militärzelte zur Verfügung. Die Hilfe kam sehr schnell." Ein weiterer positiver Nebeneffekt der Katastrophe sei die Versöhnung zwischen Peru und Ecuador gewesen. Trotz jahrelanger – auch kriegerischer – Auseinandersetzungen und einem Verhältnis, das von Misstrauen geprägt war, schickte Peru sofort Hilfsgüter und zeigte sich in jeder Hinsicht solidarisch mit dem Nachbarland.

Auch Rosenbaum und seine Familie überlegten nicht lange und machten sich umgehend an die Arbeit. "Ein Freund aus Quito brachte uns dreimal ein Auto voller Lebensmittel und andere Hilfsgüter. Wegen der beschädigten Straßen benötigte er für die Strecke jeweils 12 Stunden. Gemeinsam mit Freunden und Verwandten organisierten wir eine Gemeinschaftsküche und verteilten insgesamt 700 Mittagessen und 900 belegte Brötchen an die Helfer und Rettungskräfte aus aller Welt."

Der Kulturverein "La Trinchera", der von Rosenbaums Familie geleitet wird, stellte sein Theater und die dazugehörige Halle als Sammelstelle für Hilfsgüter zur Verfügung. Außerdem riefen die Mitglieder eine Künstlerinitiative ins Leben, die unter dem Motto "Arte por la vida" ("Kunst für das Leben") die psychologische Aufarbeitung des Erlebten zum Ziel hat. Insgesamt 36 Künstler aus den verschiedensten Bereichen folgten dem Aufruf, darunter überraschenderweise auch Menschen, die selbst täglich ums Überleben kämpfen mussten, wie z.B. eine Frau, die mit ihren beiden Kindern mehr oder weniger auf der Straße lebte und sich als Clown ihren Lebensunterhalt verdiente. Auch junge Theater- und Tanzschüler von La Trinchera waren sofort mit dabei. "Kunst und Musik gehören in Ecuador zum Alltag, das ist nichts Oberflächliches, sondern etwas, das die Menschen tief berührt. Deshalb waren wir uns von Anfang an sicher, dass wir dadurch viele Menschen erreichen können." In einer speziellen Schulung lernten die Künstler die psychologischen Grundlagen für ihre Arbeit, bevor sie sich auf den Weg zu den Betroffenen machten.

Mittlerweile hat die Kunstkarawane schon 22 Lager von Obdachlosen besucht. Im größten Lager nahe der Küste leben immer noch tausende Familien in Zelten. Eindrucksvoll waren in einem zehnminütigen Video des Fotografen Leiberg Santos, ebenfalls Mitglied der Künstlergruppe, die Arbeit der Karawane und die Reaktionen der Bevölkerung zu sehen. "Bei der Erstellung des Videos haben wir bewusst auf theatralische Hintergrundmusik oder Nahaufnahmen von traurigen Kinderaugen verzichtet. Wir wollen die Menschen dort nicht vermarkten. Wir wollen einfach zeigen, was wir machen", erklärte Rosenbaum.

Zunächst durften die Kinder auf einer großen Papierrolle ihre Gedanken in Bildern ausdrücken. Danach folgte ein von Rosenbaums Schwiegervater geschriebenes Theaterstück, begleitet von Pantomime, Musik und Tanz, in das die Zuschauer immer wieder aktiv eingebunden wurden. Schauspieler schlüpften in die Rolle von alten Leuten, die sich an das schwere Erdbeben in Ambato in den 40er Jahren und den darauf folgenden Wiederaufbau erinnerten. Sie machten den Zuschauern Mut, dass auch sie es schaffen würden, die Folgen der jetzigen Katastrophe zu überwinden.

Auch Aufklärungsarbeit sei ein wichtiges Ziel der Karawane. "Viele Menschen betrachten ein solches Naturereignis als Strafe Gottes oder geben sich gegenseitig die Schuld am Tod von Freunden und Verwandten. Wir wollen den Leuten vermitteln, dass niemand schuld ist, sondern dass es sich um einen natürlichen Vorgang handelt und dass es wichtig ist, sich gegenseitig zu unterstützen." Auch die Vorzüge der traditionellen Bauweise von erdbebensicheren Bambushäusern gegenüber der modernen Großstadtarchitektur werden immer wieder hervorgehoben, um ähnliche Katastrophen in Zukunft zu minimieren.

Bei den Besuchen in den Lagern konnten auch Hilfsgüter an die Bevölkerung verteilt werden, die aus den zahlreich eingegangenen Spenden an den Würzburger Verein COPAL – Corazones por América Latina e.V. finanziert wurden, u.a. Zelte, Matratzen, Hygieneartikel, Taschenlampen und Mückenschutz gegen Tropenkrankheiten wie Zika oder Dengue. Auch Trillerpfeifen wurden an Kinder und Jugendliche, v.a. an Mädchen, verteilt, um sich im Notfall gegen Belästigungen und Übergriffe schützen zu können.

Mittlerweile ist die erste Phase des Wiederaufbaus mit Aufräum- und Bergungsarbeiten sowie der Wiederherstellung des Strom- und Telefonnetzes beendet. Von staatlicher Seite wurden alle Häuser überprüft und mit farbigen Stickern gekennzeichnet: grün für "bewohnbar", gelb für "dringend reparaturbedürftig" und rot für "akut einsturzgefährdet".

Nun geht es darum, längerfristige Projekte umzusetzen, was noch viele Jahre in Anspruch nehmen wird. Viele Schulen und Universitäten wurden stark in Mitleidenschaft gezogen, so dass monatelang kein geregelter Unterrichtsbetrieb möglich war und die Schul- und Studienplätze neu aufgeteilt werden mussten. Zahlreiche Krankenhäuser leiden noch unter den Folgen der Katastrophe. "Die Frau eines Freundes bekam kurz nach dem Erdbeben ihr Kind in einem Rollstuhl, weil es in der Klinik keine Betten gab. Gleichzeitig brachte eine 16jährige im Wartezimmer nebenan ihr Baby zur Welt." Auch Steuererhöhungen werden nicht ausbleiben, obwohl die Wirtschaft des Landes schon vorher unter den sinkenden Ölpreisen gelitten hatte. Noch immer gibt es häufige, teils starke Nachbeben, und auch die Strom- und Telefonversorgung funktioniert nicht immer zuverlässig.

Über den Verein COPAL will Rainer Christian Rosenbaum auch in Zukunft beim Wiederaufbau des Landes mithelfen. Dabei wurden schon verschiedene Möglichkeiten angedacht, die er den Schülerinnen und Schülern abschließend vorstellte. Eine davon ist der Bau von Bambushäusern, von denen bereits eines für eine alleinerziehende Mutter mit mehreren Kindern errichtet wurde. Sie hatte durch die Überschwemmung ihr Zuhause verloren, konnte aber vom Staat – anders als die Opfer des Erdbebens – keinerlei Hilfe erwarten. Weitere Ideen sind die Ausstattung einer Gesundheitsstation auf dem Land, die Errichtung eines Kinder- und Jugendzentrums mit Bibliothek in Don Juan, einem fast völlig zerstörten Dorf an der Küste, oder die Gründung einer Kooperative von Näherinnen, die durch das Erdbeben ihre Arbeit verloren haben. Auch die Arbeit der Kunstkarawane soll fortgeführt und weiter unterstützt werden. Wichtig sei nach der Soforthilfe mit Alltagsgütern eine nachhaltige Investition der verbleibenden Spendengelder sowie die Unterstützung eines möglichst breiten Personenkreises.

Am Ende der Doppelstunde gab es immer noch zahlreiche Fragen seitens der Schülerinnen und Schüler, die Rainer Christian Rosenbaum gerne beantwortete. Als Dankeschön überreichten ihm die Jugendlichen nicht nur einen fränkischen Bocksbeutel, sondern organisierten auch kurzfristig einen Kuchenverkauf, der – obwohl am Verkaufstag viele Klassen im Praktikum oder anderweitig außer Haus waren – insgesamt 118,10 Euro an Spenden einbrachte. Auch im Nachhinein gab es noch viel Lob für die Veranstaltung, nicht nur von Schülerseite, sondern auch von Rainer Christian Rosenbaum: "Es hat mir großen Spaß gemacht, vor so vielen interessierten, aufgeschlossenen jungen Leuten zu sprechen. Ich würde mich sehr freuen, wenn uns der eine oder andere in Ecuador besuchen kommt, denn eigentlich leben wir hier wie im Paradies!"

Aktuelle Fotos und Videos aus Ecuador sowie weitere Berichte sind auf der Seite von COPAL – Corazones por América Latina e.V. (www.corazones-por-america-latina.de bzw. www.facebook.com/copalev) sowie unter www.facebook.com/arteporlavidamanta zu finden. Zusätzliche Spenden – auch gegen Spendenquittung – sind jederzeit willkommen und werden von Rainer Christian Rosenbaum und seinem Team zuverlässig und zielgerichtet eingesetzt.

Spendenkonto:

Kontoinhaber: COPAL e.V.

Sparkasse Mainfranken

BIC: BYLADEM1SWU

IBAN: DE46 7905 0000 0047 3597 57

Stichwort: Erdbeben Ecuador

Text: Simone Navarro

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