Trotz Astbruch - "Baumpapst" attestiert Deutschlands zweitgrößter Robinie verbesserte Sicherheitswerte
"In der Summe haben sich die grundlegenden Sicherheitswerte nicht verschlechtert, sondern sogar verbessert" lautet das Fazit des Baumstatikers Dr. Lothar Wessolly aus Stuttgart, den Veitshöchheims Bürgermeister Rainer Kinzkofer zu Hilfe gerufen hatte, nach dem der örtliche Naturschützer Thomas Struchholz einen Astbruch in der riesigen Krone der zweitgrößten Robinie Deutschlands registriert hatte.
Das selten schöne Prachtexemplar einer 18 Meter hohen und im Stamm 1,50 Meter dicken „Robinia pseudacacia“ steht im Friedhof an der Martinskapelle
Der in deutschen Landen als „Baumpapst“ anerkannte Experte hat vor 25 Jahren an der Universität Stuttgart ein ingenieurwissenschaftliches Messverfahren über die Standfestigkeit von Bäumen entwickelt, nach dem seitdem landauf landab mehr als 20.000 Gutachten erstellt wurden. Der Sachverständige war seit 1995 nun schon zum vierten Mal nach Veitshöchheim gekommen, um erneut die Standsicherheit des 300 Jahre alten Riesen inmitten des Friedhofes am Hauptweg zwischen historischer Martinskapelle und Leichenhaus zu testen.
Nach seinen Feststellungen ist in den 17 Jahren die Krone deutlich dichter geworden und der Durchmesser des Stammes um zwölf Zentimeter gewachsen. Der 1979 durch Rechtsverordnung nach dem Bayerischen Naturschutzgesetz als Naturdenkmal unter einen besonderen Schutz gestellte Baumriese ist deshalb nach Wessolys Feststellungen noch sehr schadenstolerant und für sein Alter noch vital.
Allerdings machte ihm die Versiegelung des Wurzelraumes zu schaffen. Die nach der letzten Messung vor fünf Jahren vom Bauhof der Gemeinde durchgeführte Entsiegelung der Fläche um den Stamm herum habe bereits geholfen. Die gemeindlichen Investitionen der vergangenen Jahre in die Standraumgestaltung hätten sich gelohnt.
Der Gutachter schlug nun den Gemeindegärtnern vor, in der Krone eine Reduktion vorzunehmen, um die durch den Ausriss entstandene Schwächung zu kompensieren und den Kronenmantel zu harmonisieren. Dadurch würden die Sicherheiten nochmals anwachsen.
Historie
Bürgermeister Rainer Kinzkofer erinnerte daran, dass bereits im März 1982 ein Seitenarm abzubrechen drohte. Experten behandelten damals mit einem Aufwand von 1500 Euro die Hohl- und Faulstellen und sicherten durch Drahtseilverspannungen einzelne Stammteile vor dem Auseinanderbrechen. 1988 mussten erneut morsche Äste ausgeschnitten werden. 1993 war es dann wieder soweit. Eine Spezialfirma kürzte maßvoll den Kronenumfang und stabilisierte den Stamm mit weiteren Drahtseilverankerungen und Verschraubungen. Obwohl bis dahin die Gemeinde bereits über 5000 Euro für Sanierungs- und Sicherungsmaßnahmen aufgewendet hatte, stellte die ausführende Firma die Standsicherheit auf Dauer in Frage. Der Grund: Der gesamte Stamm sei innen hohl und zudem noch rotfaul. Bei starken Stürmen, so hatte damals die Fachfirma diagnostiziert, drohe ein Auseinanderbrechen. Die Herstellung der Verkehrssicherheit für die Friedhofsbesucher, so wurde argumentiert, sei nur durch eine Fällung gewährleistet.
Doch bevor die Motorsäge zum Einsatz kam, wurde im März 1995 der Baumstatiker Dr. Wessolly erstmals zu Rat gezogen. Im Gegensatz zu der Fachfirma hielt er die Stand- und Bruchsicherheit der stark ausladenden Robinie sehr gut gegeben, gleichwohl sie innen alterstypisch stark ausgehöhlt und ausschließlich von einer dünnen Röhre getragen ist. Wessolly stellte auch etliche Stammwunden fest, die jedoch statisch kompensiert, das heißt vom Baum ausgeglichen wurden. Obwohl der Baum innen vom Pilz ausgehöhlt ist, machte er keine Pilzfruchtkörper aus. Auf seinen Vorschlag hin, wurde deshalb vor 17 Jahren die Kronensicherung durch ein umschlingendes System komplettiert.
Um ihrer Verkehrssicherungspflicht nachzukommen, hatte die Gemeinde heuer den Experten erneut gebeten, Kontrollmessungen durchzuführen. So simulierte dieser die Belastung der Krone des Baumes bei Windstärke neun. Er maß dabei die Neigung und die Dehnung des Stammes, während mit einem Seilzug an der Krone gezogen wurde.
Als Messinstrumente dienten ein Inclinometer zur Überprüfung von Bruchsicherheit, Resttragfähigkeit und Lokalisierung der schwächsten Stelle im Baum, ein Elastometer zur Überprüfung von Verankerung und Standsicherheit, ein Dynamometer, ein Ultraschall-Entfernungsmesser und ein speziell entwickeltes Computerprogramm.
Ingenieurs-Wissenschaftliche Mess-Methoden
Diese für den Baum verletzungsfreie Untersuchungsmethode verdeutlicht nach Wessolys Worten die Fortschritte auf dem Gebiet der Baumdiagnose. Wie der Experte sagt, wurden hier in der Vergangenheit schwere Fehler gemacht. Kranke Stellen bis ins gesunde Holz ausfräsen und hohle Stämme mit Beton und Eisenstangen festigen - diese Maßnahmen früherer Baumchirurgen hätte so manchem Baum erst den Todesstoß versetzt.
Für den Baumstatiker zählen sehr alte, ausgefaulte, doch gleichwohl wertvolle Naturdenkmale wie die Veitshöchheimer Robinie zu den reizvollsten aber auch kompliziertesten Fällen. Es könne aber auch ein weitgehend ausgefaulter Baum stabil sein. Die weit verbreitete Furcht vor natürlichem Pilzbefall und hohlen Bäumen sei zumeist unbegründet. Allerdings würden sie eine langfristige Begleitung mit geeigneten Messmethoden erfordern. Wessolys Begründung leuchtet ein: "Sonst ist die Hohlkonstruktion als besonders leistungsfähig anerkannt. Warum sollte man bei Bäumen eine Ausnahme machen."