„Aus Freude an der Musik die Zuhörer begeistern!“ - Ein Portrait des scheidenden Heeresmusikkorps-Chefs Roland Kahle
Roland Kahle will 'aus Freude an der Musik die Zuhörer begeistern!'
Ein Portrait über den scheidenden Heeresmusikkorps-Chefs Roland Kahle.
Link auf Mainpost-Online vom 24.7.2024
Das Heeresmusikkorps Veitshöchheim veranstaltete am Donnerstag, den 11. Juli 2024 ein Benefizkonzert in den Mainfrankensälen Veitshöchheim zugunsten des BRK-Kreisverbandes Würzburg. Für Orchesterchef Oberstleutnant Roland Kahle war es sein letzter konzertanter Auftritt in der Region. Nach neun Jahren Dienstzeit als Leiter des Musikkorps übergibt der 62 Jahre alte Bundeswehr-Stabsoffizier am Freitag, 26. Juli 2024, um 11.00 Uhr bei einem feierlichen Appell in der Balthasar-Neumann-Kaserne die Dienstgeschäfte an seinen Nachfolger, Hauptmann Wolfgang Dietrich (derzeit Heeresmusikkorps Koblenz). Zuvor tritt er noch in seiner Heimat in der Region Hof auf, um dann seinen Taktstock in seine Andenkenvitrine zu legen.
Ende September 2024 geht dann der Oberstleutnant nach 43 sehr erlebnisreichen, intensiven und musikalisch sehr erfüllenden Jahren als Offizier im Militärmusikdienst der Bundeswehr und nach 33 Jahren als Chef von Heeresmusikkorps in den Ruhestand. Er kann auf unzählige Auftritte im In- und Ausland sowie im Fernsehen zurückblicken. Sein Herzensanliegen und sein Motto bei all seinen Auftritten: „Aus Freude an der Musik die Zuhörer begeistern!“
Mit dem letzten Titel "Music was may First Love and it will be my last" von John Miles, das Lieblingsstück von Roland Kahle, bei dem er beim Benefizkonzert in den Mainfrankensälen nochmals förmlich auf dem Dirigentenpult explodierte und die 50 Mitglieder seines Orchester zu Höchstleistungen anspornte, drückte er zugleich seine niemals endende Liebe zur Musik aus. "Wir alle spielen es für unseren scheidenden Kapellmeister, denn wir alle wissen, dass er ein Musiker durch und durch ist und auch bleiben wird," hatte denn auch Moderator Thomas Althön herausgestellt. Wie der Stabsfeldwebel sagte, waren es sehr fordernde, sehr spannende und sehr, sehr lustige neun Jahre mit ihm.
Der Oberstleutnant dachte auch immer an die Menschen, die nicht an der Sonnenseite des Lebens stehen und bestritt unzählige Benefizkonzerte für Einrichtungen, die sich um Soziales kümmern, wie jetzt auch für den BRK-Kreis Würzburg. So würdigte denn auch Landrat Thomas Ebert den Dirigenten als einen wunderbaren Musiker und genialen Geist, der seine Tätigkeit als Orchesterchef stets mit Leidenschaft und Herzblut, mit Engagement und Kraft ausgeübt und Freude in die Ohren und Herzen der Menschen gebracht habe.
Man sah dem scheidenden Orchesterchef seine Wehmut an, nun den Dirigentenstock des HMK aus der Hand zu geben. Kahle: "Ich bin stolz auf meine Musiker, mit denen ich durch die Lande ziehen durfte, eine tolle Truppe, mit denen es wirklich Spaß machte."
Sein Weg zur Militärmusik
Roland Kahle, 1962 in Hof geboren, trat schon als Kind in die Fußstapfen seines Vaters, der in seiner Heimat Hof einem Männerchor vorstand. "Als der Papa im Fernsehen die Matthäus-Passion von Bach schaute, habe ich als Vierjähriger schon mit einem Stecken leidenschaftlich mitdirigiert," erinnert sich der Oberfranke schmunzelnd. Damit war sein musikalischer Höhenflug vorprogrammiert: Klavierunterricht mit sechs Jahren, klassische Klarinette mit 14, Geigenunterricht mit 16.
Bei Kahles Abschiedskonzert in Veitshöchheim hat sich voller Stolz auch Alexandra Collani mit diesem ablichten lassen. Wie sie sagt, habe sie zuhören dürfen, wie ihr Vater Dieter Collani, der Klarinettist und Saxophonist bei den Hofer Sinfonikern war, den 14jährigen Roland vier Jahre lang bis zu seinem 18. Lebensjahr bei ihr zu Hause privat das Klarinetten-Spiel beibrachte (Foto Bundeswehr).
Während seiner Schulzeit am Hofer Schiller-Gymnasium war der Jüngling mehrfach Preisträger beim Wettbewerb „Jugend musiziert“ in den Fächern Klavier und Klarinette sowie Klavierbegleitung seiner Schwester Beatrix im Flötenspiel sogar auf Bundesebene.
"Als dann nach dem Abitur die Wehrpflicht anstand, war es für mich keine Frage, dass für mich nur der Musikdienst in Frage kommt", stellt Kahle fest. Nach der Grundausbildung in Regensburg verpflichtete er sich zum 1. Oktober 1981 für zwei Jahre beim Luftwaffenmusikkorps 1 in Neubiberg/ München. Wie er sagt, war er von der Zeit in Neubiberg so begeistert, dass er die Laufbahn als Militäroffizier anstrebte und von 1982 bis 1987 an den Musikhochschulen Köln und Düsseldorf Klavier und Dirigieren studierte, wie er es schon als kleiner Bub vorgelebt hatte. Er hatte damals zwar den Status "Soldat", war aber weitgehend während seiner Studienzeit vom Militärdienst freigestellt. Seine ersten Verwendungen waren dann ab 1987 als Diplom-Kapellmeister bei den Luftwaffenmusikkorps in Münster und in Karlsruhe, bis er dann im April 1991 wieder in Neubiberg/ München bei seiner ersten Einheit nach der Grundausbildung landete, dieses Mal allerdings als Chefdirigent.
Es folgten weitere Zwischenstationen als Heeresmusikkorps-Leiter ab 1995 in Kassel und in Regensburg und ab 2007 in Erfurt, bis er dann im Juli 2015 zum Heeresmusikkorps Veitshöchheim wechselte, wo er nun am 26. Juli offiziell aus dem Bundeswehrdienst verabschiedet wird.
Höhepunkte in der Karriere/besondere Auftritte
Der Stabsoffizier betont, dass er mit seinen Orchestern als deren Chefdirigent, Intendant und Orchesterdirektor in einer Person viel erlebt habe und es ihm nie langweilig geworden sei. Kahle: "Wir umrahmten viele feierliche Anlässe und Bundeswehr-Zeremonien, spielten in Botschaften weltweit und beim Empfang von Staatsgästen und wir begeisterten Musikfreunde weltweit in Konzerten immer wieder mit großen Hits aus Klassik, Musicals, Swing, Rock und Pop."
Unzählige Auftritte im In- und Ausland gestaltete er mit verschiedenen Orchestern unter anderem in Lissabon, Madrid, Paris, London, Rom, Thessaloniki und Wien. Auch auf zahlreichen großen Bühnen innerhalb Deutschlands (u. a. München, Nürnberg, Leipzig, Dresden, Berlin) war er zu Gast. In zahlreichen Großveranstaltungen, die unter anderem auch im deutschen Fernsehen übertragen wurden, konnte er mit vielen renommierten Militärkapellen aus ganz Europa, Russland, USA, Südafrika, Australien, Indien, China und Japan zusammenarbeiten. Bei großen Showveranstaltungen in Regensburg, Bayreuth und Karlsruhe war er mit der Gesamtleitung beauftragt. Verschiedene Gastdirigate im Ausland führten ihn von Kanada bis nach Taschkent und Usbekistan. Oberstleutnant Kahle hat auch bereits mit zahlreichen Orchestern CD-Produktionen sowie Rundfunk- und Fernsehaufnahmen erstellt.
Weiter habe er Festivals geleitet und auch welche gegründet und organisiert wie nach der Grenzöffnung dirigierte hoch auf dem Pult 700 Mitwirkende, wie im Bild bei der Musikschau der Nationen 1994 in der Stadthalle Bremen. Aus dem Rahmen fielen Konzerte in einem Amphitheater in Texas oder 700 Meter unter der Erde im Hochzeitssaal des Erlebnisbergwerkes "Glückauf" Sondershausen bei Erfurt. Bleibenden Eindruck hinterließen das Spielen der Nationalhymne bei Fußball-Länderspielen in Stuttgart, Frankfurt, Leipzig, Augsburg und Gelsenkirchen vor über 50.000 Zuschauern oder ein Feierliches Gelöbnis von Rekruten auf der Insel Herrenchiemsee.
Kahle blickt begeistert zurück: "Es ist einfach toll was man mit der Militärmusik der Bundeswehr erleben kann. Das ist soviel, dass es danach nichts mehr zu toppen geht." Was die Bundeswehr einem da biete, könne kein anderer Arbeitgeber.
Sein Motto sei nie gewesen, einfach nur Musik zu machen, sondern allen Zuhörenden wie zuletzt auch bei der spektakulären Musikshow in den Mainfrankensälen die Möglichkeit geben, einmal abzuschalten und die Seele baumeln zu lassen, sodass alle nach Hause gehen und sagen "Das war ein schöner Abend."
Es gab für den Heeresmusiker aber auch Tiefpunkte, wie das Auftrittsverbot in der Coronapandemie vom März 2020 bis Juli 2021, wo für seine Bläser ein Mindestabstand von zwei Meter galt.
Was macht das Besondere an der Militärmusik aus? Wie hat sich das Repertoire über die Jahre verändert?
Für Kahle ist es die Vielseitigkeit, die die Militärmusik auszeichne, von Barockmusik bis moderner zeitgenössischer Musik. So habe er Anfang Juli im Rahmen des" Mozartfestes im Kaisersaal der Würzburger Residenz Kammermusik vom Allerfeinsten gemacht. "Das Schöne ist," so sagt er, "dass wir durch unsere vielseitigen und flexiblen Klangkörper nicht auf Stilrichtungen festgelegt sind und von der Bigband, Musicals, sinfonische Musik, typische Blas- und Marschmusik bis hin zu Kammermusik und sogar historische Musik nahezu alles geben können." Natürlich könne man nicht in jeder feinsten Detailierung mit jedem mithalten wie beispielsweise Jazzgrößen oder A capella-Pokal-Musik, die den ganzen Tag nur dasselbe machen oder Streicher, die nur Alte Musik spielen.
Das Orchester sei aber so flexibel, modernste Arrangements zu machen, so auch Pop- oder Rock-Songs. Der Bearbeitung seien keine Grenzen gesetzt. Kahle: "Wir haben auch schon Heavy Metal gemacht. Kahle: "Das Repertoire ändert sich zwangsläufig dahin, dass man einfach aktuell bleiben muss." Die Militärmusik der 1920er Jahre habe das gemacht, was damals aktuell war wie Charleston oder Foxtrott und nun völlig out sei. Aber Latin sei auch heute noch Standard. Man versuche Bearbeitungen zu spielen, die die Leute kennen, von Adele, Helene Fischer, Whitney Houston, Shakira, Britney Spears, aktuelle Pop-Gruppen aber auch aktuell gebliebene Filmmusiken wie "Star Wars" sind Highlights und bleiben Dauerbrenner der Militärmusik. Dazu zählt der Oberstleutnant auch Samba-Rhythmen mit Disco und Rock vermischt, auf einen Nenner gebracht: "Militärmusik ist ein Streifzug, der die Unterhaltungsmusik reflektiert."
Wie hat sich das Musikkorps entwickelt?
Ein einschneidender Punkt war für Kahle der Wegfall der Wehrpflicht im Jahr 2011: "Dadurch waren wir von vielen jungen Menschen, die musikalisch sehr leistungsfähig waren, abgeschnitten." Dies seien zuvor im September immer bis zu 15 Rekruten pro Musikkorps gewesen. Dieses Nachwuchsproblem bestehe bis heute. Von Vorteil sei jedoch, dass bei gleichem Umfang von 50 Mitgliedern im Orchester heute Feldwebeldienstposten in der Anzahl mehr und bei den Mannschaftsdienstgraden gebe es nur noch Vereinzelte, die freiwillig 23 Monate Wehrdienst leisten. Feldwebel mit abgeschlossenem Musikstudium (früher Diplome, jetzt Bachelor) sind dagegen zehn bis 15 Jahre dabei, so dass dem Orchesterchef die Fluktuation erspart blieb und er über Jahre auf ein festes Ensemble bauen konnte. Kahle: "Ein Orchester mit fertigausgebildeten Berufsmusikern hat natürlich ein anderes Nivau wie mit jungen Musikern, die ihr Studium noch vor sich haben."
Ein Problem gebe es allerdings bei einzelnen Instrumentengruppen. Im Gegensatz zu den Trompeten habe man zu wenig bei den Instrumenten Waldhorn, Saxophon, Fagott, Klarinette, Oboe ein Bedarf. "Deshalb müssen wir immer wieder Nachwuchswerbung machen," so der Tenor des Dirigenten. Bundesweit würden beispielsweise bei der Klarinette 40 Leute fehlen. Er sei hier noch gut dran, da von den zwölf Posten aktuell nur zwei nicht besetzt seien. Größere Chancen eingestellt zu werden, habe deshalb ein Klarinettist-Bewerber als einer für das überlaufene Fach Trompete.
Wie kommt man zum Heeresmusikkorps? Welche Vorteile hat man?
Die Musiker, die in sein Orchester aufgenommen werden, unterliegen einer strengen Auslese. Es komme dabei nicht nur auf die musikalische, sondern auch auf die charakterliche Eignung und auf Kameradschaft, auf soziale Kompetenzen an. Kahle: „Ich war stolz, hohe Verantwortung tragen zu dürfen. Ich habe letztlich darüber entscheiden müssen, ob ein neu eingestellter Musiker ein Studium beginnen darf und ob er auf Lebenszeit von der Bundeswehr engagiert wird.“
Wer einen Freiwilligen-Dienst beim HMK anstrebe, so Kahle, müsse zunächst beim regional nächst gelegenen, also auch hier in Veitshöchheim einen musikalischen Eignungstest machen. Wenn sie dann auch noch die Freiwilligen-Annahmestelle des Karrierecenters der Bundeswehr erfolgreich durchlaufen haben, erhalten sie einen Militärmusik-Ausbildungsvertrag. Um dann Feldwebel zu werden, müssen sie noch einmal eine Aufnahmeprüfung beim Ausbildungsmusikkorps und dann auch noch eine dritte bei der Musikhochschule der Bundeswehr machen, ob sie mittlerweile dieses Niveau erreicht haben. Erst wenn die Instrumentalisten diese drei Prüfungen erfolgreich überstanden haben, durchlaufen sie die acht Semester der Hochschulausbildung an einer Einrichtung laut Kahle "mit allen Schikanen vom Feinsten" mit der Bachelor-Prüfung zum Abschluss und mit dem Riesenvorteil, dass sie jeden Monat ein laufendes Einkommen haben, was ein normaler Musikstudent nicht hat.
Hinzukomme noch eine Festanstellung mit der Aussicht auf Lebenszeit übernommen zu werden. Derzeit seien 85 Prozent seines 50köpfigen Orchesters Berufssoldaten. " Ohne diese Quote", so der Orchesterchef, "wäre mein HMK gar nicht überlebensfähig, weil wir in der Kürze der Zeit bei dem Niveau was wir brauchen, gar nicht so viele ersetzen setzen könnten." Und es sei auch unsozial, gutausgebildete Zeitsoldaten im Alter von 35 Jahren nach 13 Jahren Dienstzeit wieder ins Nichts zu entlassen, denn sie würden als Orchestermusiker nichts Vergleichbares finden. So habe er zuletzt jährlich nur einen oder zwei Bewerber dazubekommen.
Für den täglichen Dienstbetrieb hat der Orchesterchef keinen starren Plan. Das ganze richtet sich nach den vielen in einem riesigen Kalender in seinem Zimmer eingetragenen Auftritten und Engagements. Drumherum müsse er basteln, wieviel Zeit habe er, wieviel Probenaufwand für welchen Auftritt. So habe er zuletzt innerhalb von zehn Tagen nur Zeit für lediglich eine Probe einplanen können. Und es kämen auch viele Auftritte kurzfristig von Zentrum für Militärmusik in Bonn herein, so bei plötzlichen Kommandowechseln, wo er nur eine Vorlaufzeit von drei Wochen habe. Bei manchem Auftritt wie Gelöbnisse brauche er aber nur auf den Knopf drücken, denn da würden seine Leute alles können.
Fotos Dieter Gürz (Auftritt Stadthalle Bremen abfotografiert von Bild im Dienstzimmer von R.K.)