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Vor sieben Monaten wurden in der Notunterkunft von Team Orange in Veitshöchheim 50 Flüchtlinge untergebracht - Gemeinde hat sie aus Sicht des LRA WÜ sehr offen empfangen

Veröffentlicht am von Dieter Gürz

Der Landkreis Würzburg hatte Anfang Dezember 2023 eine Notunterkunft (NU) für 50 Geflüchtete im Erdgeschoss des Verwaltungs- und Kundencenters seines Abfallwirtschaftsbetriebes Team Orange, Am Güßgraben, in nächster Nähe des alten Mainstegs in Veitshöchheim, eingerichtet. Auch der Betriebshof von Team Orange mit dem Hallentrakt rechts im Bild kann voll für die NU genutzt werden.

Das gesamte Obergeschoss des Team Orange-Betriebssitzes dient auch weiterhin der Verwaltung des Team-Orange mit ihren 20 Mitarbeitenden. Es wurde durch einen neuen Zugang von der Mainuferseite her mit einem Treppenturm erschlossen. Bei so manchem Kunden und Passanten löst das hier am Zugang in Sichtverbindung zum Eingang zur NU stehende Transparent "HERZLICH MÜLLKOMMEN - HIER SIND SIE RICHTIG" bezogen auf die hier untergebrachten Flüchtlinge ein Stirnrunzeln frei nach Heinz Erhardt  "Ein Schelm der Böses dabei denkt" aus.

Am 14. Dezember 2023 kamen mit einem Reisebus 50 türkische Flüchtlinge an, die in vier Zimmern im Erdgeschoss des Querbaus in Stockbetten untergebracht wurden. Vorausgegangen war am 8. Dezember 2023 eine Informationsveranstaltung in den Mainfrankensälen.  Hierüber wurde auf Veitshöchheim News ausführlich berichtet (siehe nachfolgender Link).

Veitshöchheim News ging nun sieben Monate später der Frage nach, wie sich derzeit die Situation in der  über den Staatshaushalt des Freistaates Bayern finanzierten Notunterkunft darstellt, ob es Probleme gab und auch, ob und wie die Flüchtlinge bisher mitgenommen wurden.

Viele der 50 Ankömmlinge vom Dezember 2023 wurden laut Auskunft der Pressestelle des Landratsamtes Würzburg (LRA) inzwischen in kleinere, dezentrale Unterkünfte verlegt. Darum bemühe sich das Landratsamt fortlaufend. Derzeit wohnen in der NU Veitshöchheim 30 Türken mit kurdischer Abstammung, drei Ukrainer und ein Algerier. Wie von Bürgermeister Jürgen Götz zu erfahren war, werden demnächst in Veitshöchheim zwei dezentrale Unterkünfte für insgesamt 24 Flüchtlinge aus der Ukraine geschaffen.

Unterbringung

Die derzeit in der NU am Güßgraben untergebrachten 34 Personen sind ausschließlich Männer im Alter zwischen 18 und 64 Jahren. LRA-Objektbetreuer Ramon Quintana ist verantwortlich für den Betrieb der Unterkunft und die Belegung als solche. Außerdem hat das LRA dort tagsüber eine "Kümmererin" eines externen Dienstleisters angestellt, die den Tagesablauf sicherstellt und für Anliegen der Flüchtlinge Ansprechperson ist, beispielsweise  auch Arzttermine vereinbart. Es gebe auch immer wieder Schutzsuchende, die unter psychischen Problemen leiden. Auch hier bemühen sich Objektbetreuer und Kümmerer um eine zeitnahe professionelle Behandlung. In der Unterkunft sind weiter 24/7 zwei Security’s eingesetzt. Diese unterstützen bei etwaigen Konflikten, kontrollieren die Zugänge zur Unterkunft und helfen bei der Organisation der Mahlzeiten.

Die Halle vor der Unterkunft dient als Gemeinschaftsraum auch zum Essen. Mahlzeiten und Lebensmittel werden durch einen externen Dienstleister geliefert. Es gibt in der Unterkunft Waschmaschinen und Trockner. Bei größeren Zimmerwechseln wird hier ebenfalls Unterstützung durch einen externen Dienstleister heran gezogen. In allen Unterkünften des Landkreises Würzburg besteht die gleiche Hausordnung. Die Ruhezeit geht von 22:00 Uhr – 9:00 Uhr.

Wie kommen die Flüchtlinge untereinander aus? Allein die räumliche Situation in Notunterkünften, persönliche Schicksale und die Ungewissheit über den aufenthaltsrechtlichen Status führen nach Mitteilung des LRA-Pressesprechers manchmal zu Meinungsverschiedenheiten untereinander. Objektbetreuer und Kümmerin würden sich bei der Konfliktlösung um deeskalierende Gespräche auf Augenhöhe bemühen. Bislang sei dies immer gut gelungen. Nur in seltenen Fällen bedürfe es Unterstützung durch die Security. Nachfragen bei angrenzenden Anwohnern ergaben keinerlei Beschwerden.

LRA-Pressesprecher Paul Justice bestätigte nach sieben Monaten NU-Betrieb: "Die Gemeinde Veitshöchheim hat die Flüchtlinge aus unserer Sicht sehr offen empfangen." Martina Edelmann als Ansprechpartnerin in der Gemeinde habe durchgehend die Betreuungskräfte in der NU bestens unterstützt.

Besonders lobte NU-Betreuer Ramon Quintana mit Martin Issing und Stefan Becker zwei Veitshöchheimer Bürger, die sich seit Jahresbeginn sehr zeitaufwändig mit großem Engagement und Idealismus dafür einsetzen, die Flüchtlinge der NU mitzunehmen und ihnen den Aufenthalt hier zu erleichtern.

Freizeitangebote
So initiierte Gemeinderatsmitglied und UWG-Ortsvorsitzender Martin Issing vielfältige Sport- und Freizeitangebote.  Als er Anfang Januar 2024 erstmals in die NU kam und sah, wie 25 Männer zumeist im Alter von 20 bis 40 Jahren in einem Raum beengt zusammensaßen und es keinerlei Freizeitangebote für sie gab, nahm er sich aus Eigenantrieb vor, dem abzuhelfen und sie vor allem zum Sporttreiben zu animieren.

Für die NU beschaffte Issing (rechts im Bild) zusammen mit dem örtlichen Fahrradhändler Stefan Einberger 14 ausgemusterte Fahrräder, die sie wieder lauffähig machten, er selber Ersatzteile wie Reifen spendete. So sind die NU-Bewohner wie Mustafa, Müslüm, Veysel und Fatih (im Bild) nun mobiler und nicht nur auf den ÖPNV angewiesen. Wer ein Fahrrad übrig habe, so Issing, könne dies gerne unten in der NU abgeben.

Er führte in den Monaten März und April sechs Mountainbike-Touren über 20 Kilometer in wechselnden Besetzungen durch. Hierfür stellte er drei eigene Räder und über den Alpenverein auch die komplette Bekleidung zur Verfügung. Nachdem Ende April viele Flüchtlinge verlegt wurden, schlief dieses Angebot wieder ein. 

Zusammen mit  dem SVV-Trainer Christian Oppel organisierte Issing  eine Tischtennisplatte und Schläger für die NU. Ihm gelang es einen Flüchtling zum Tischtennistraining der TGV in die Vitusturnhalle zu bringen, wo dieser in den Monaten Januar bis März eigenständig dienstags und donnerstags kostenlos am Training von Reinhard Fella teilnehmen konnte und jedes Mal auch einen oder zwei andere Mitbewohner mitbrachte. Später reichte die Tischtennisplatte in der NU aus, diesen Sport zu betreiben.

Auf Issings Initiative hin kamen zehn junge Männer zum Probetraining der Kraftsportabteilung der Turngemeinde in die Dreifachhalle. Leider fehlte es nach seinen Worten an Disziplin und auch an einem Kümmerer, der sie vor Ort begleitete. Aktuell kommt noch ein Ukrainer fast jeden Tag zum Training. Auf großes Interesse stießen Freikarten, die Issing für die Playoff-Spiele der TGV-Sprintis-Basketballer organisierte. Kontakt aufgenommen hat Issing auch mit der Tennisabteilung, um interessierten Flüchtlingen das Tennisspielen zu ermöglichen.

Fünf Flüchtlinge brachte Issing im Februar zum Hallen-Training der Alten Herren des Sportvereins. Von ihnen sind jetzt noch zwei dabei, nachdem die anderen dezentral nach Zell verlegt wurden. Geringes Interesse bestand dagegen an der Laufgruppe, die Martin Issing anbot und hier sogar gebrauchte Laufschuhe zur Verfügung stellte.

Viele Flüchtlinge sind nach seinen Worten bereit, örtlichen Vereinen bei deren Veranstaltungen zu helfen, wie dies welche bei den NaturFreunden oder beim letzten SVV-Fest taten. Issing machte aber insgesamt die Erfahrung, dass Angebote allein nichts bringen. Vielmehr müsse man den einen oder anderen an der Hand mitnehmen und diese würden dann auch die anderen zum Mittun anstacheln.

Aus dem JUZ stammt dieser dort ausgemusterte Tischkicker. Der 41jährige Mustafa (links im Bild), der bereits von Anfang an in der NU ist, kam nach Deutschland, nachdem türkische Soldaten seinen kurdischen Heimatort dem Boden gleichmachten. Falls er kein Asyl bekommt und abgeschoben wird, erwarten ihn nach seinen Worten fünf Jahre Gefängnis, weil er durch seine Flucht die Türkei verunglimpft habe. Der gelernte Bauarbeiter würde gerne auch hier auf dem Bau arbeiten und hofft, dass Martin Issing in seinen Bemühungen erfolgreich ist, ihm eine entsprechende Arbeitsstelle zu vermitteln. Nachdem die Abläufe der Toiletten der NU im Hof verstopft waren, ergriff Mustafa die Initiative und sorgte für Abhilfe, ohne lang fragen. Was ihm allerdings einen Rüffel aus em LRA einbrachte, denn sowas ist einheimischen Firmen vorbehalten.

Deutschunterricht

Der sich in der Freistellungsphase seiner Altersteilzeit befindliche ehemalige Margetshöchheimer Schulrektor Stephan Becker unterrichtet ehrenamtlich seit Januar 2024 jede Woche dienstags und freitags 90 bis 120 Minuten die Flüchtlinge in der deutschen Sprache, in wechselnden Besetzungen von fünf bis 18 Teilnehmern. Wie er sagt, macht es ihm aufgrund seiner Erfahrungen in der Mönchbergschule viel Spaß, den Flüchtliingen Alltagskompetenzen wie für das Einkaufen, beim Arzt, im ÖPNV, auf Veranstaltungen oder auch Höflichkeitsformen beizubringen, zumal er sie bislang als freundlich, höflich und motiviert kennenlernen konnte. Da die Teilnehmer sehr heterogen sind, übernimmt seine Frau Isabelle Müller die Fortgeschrittenen, während der die Anfänger unterrichtet.

Im März und April 2024 hat ihn der hier wohnende Lehrer Johannes Teichmann an sechs Terminen die Flüchtlingen bei den Hausaufgaben unterstützt, die er ihnen aufgegeben hatte. Aufgrund der derzeit großen Fluktuation unter den Flüchtlingen in der NU, setzt Becker diesen Monat aus.  Anfang Juli geht es dann weiter. Unterrichtsmaterial wie Arbeitshefte stellte er ihnen für eine Schutzgebühr von zwei Euro zur Verfügung. Für den Unterricht hatten LRA-Mitarbeiter einen gebrauchten Tageslichtschreiber und ein ausgesondertes Whiteboard organisiert.

Becker stellte fest, dass die Flüchtlinge viel Kompetenz besitzen, sei es als HNO-Arzt, Lehrer, Physiotherapeut, Krankenpfleger, Bautechniker, Kranführer oder Koch. Viele hätten ihn angesprochen, dass sie gerne arbeiten würden. Für Becker wäre deshalb eine Beschäftigung besser als jeder Deutschkurs.

Beschäftigung?

Auch Bürgermeister Jürgen Götz würde gerne arbeitswillige Flüchtlinge beispielsweise im Bauhof zur Mithilfe bei der Pflege von Grünflächen einsetzen. Dies sei aber bislang vom LRA abgelehnt worden. Dazu erklärte auf Nachfrage der LRA-Pressesprecher: "Ein Konzept zur Einrichtung von Arbeitsgelegenheiten wird derzeit im Landratsamt ausgearbeitet. Hierzu wird auch mit der Gemeinde Veitshöchheim Kontakt aufgenommen. Zuletzt waren unsere personellen Ressourcen mit der Einführung der Bezahlkarte gebunden."

Dabei betonte Bayerns Innenminister Herrmann im Kontrovers-Interview vom 7.3.2024 (siehe nachstehender Link auf Video) wie wichtig es sei, alle, die Zuflucht in Deutschland suchen, dazu anzuhalten, hier mitzuarbeiten. Für Herrmann dient das auch der Integration und erhöhe die Akzeptanz in der Bevölkerung. Der Freistaat Bayern hat deshalb einen Leitfaden herausgegeben, mit dem er alle potentiellen Träger ermutigt, Arbeitsgelegenheiten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu schaffen (siehe nachstehende Ausführungen).

Wie dem Leitfaden zu entnehmen ist, reicht es aus, dass die Gemeinde oder auch ein gemeinnütziger Verein eine schriftliche Tätigkeitsbeschreibung mit Bestätigung, dass das Arbeitsergebnis der zu leistenden Arbeit der Allgemeinheit dient, beim Landratsamt einreicht. Dann muss nur noch für die Flüchtlinge, die wöchentlich bis zu 20 Stunden eingesetzt werden können, ein Stundennachweis geführt wird. Pro geleistete Stunde erhalten die Flüchtlinge dann 80 Cent.

Solche bürokratischen Hürden stellten für Moustafa Ibrahim, dem Pächter des Spezialitäten-Restaurants "Aksar Kebap" in der Veitshöchheimer Kirchstraße, der 2015 als Flüchtling im Alter von 21 Jahren aus dem syrischen Aleppo nach Deutschland kam, kein Hindernis dar. Wie er sagte, verschaffte 14 Kurden einen Job in der Stadt Würzburg, vermittelte so über den NU-Betreuer alleine neun an das Café und Ristorante Fontana.

Fotos Dieter Gürz

Arbeitsfähige Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 AsylbLG sind zur Wahrnehmung einer zur Verfügung gestellten Arbeitsgelegenheit verpflichtet. Ob diese Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen, prüft das zuständige Landratsamt. Es bedarf keiner Beschäftigungserlaubnis der Ausländerbehörde.

Eine Tätigkeit von bis zu  20 Wochenstunden ist in jedem Fall zulässig. Für die geleistete Arbeit wird eine pauschale Aufwandsentschädigung von 80 Cent je Stunde ausgezahlt

Eine Arbeitsgelegenheit begründet kein Beschäftigungsverhältnis im Sinne der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung. Es zählt jedoch zum versicherten Personenkreis in der gesetzlichen Unfallversicherung.Die Tätigkeit an sich ist nicht meldepflichtig. Die Vorschriften über den Arbeitsschutz und das Bundesurlaubsgesetz, mit Ausnahme der Vorschriften über das Urlaubsentgelt, sind analog anzuwenden,  die erforderliche Schutzkleidung oder Schutzhelme zur Verfügung zu stellen. Das zuständige Landratsamt  hat die hierfür anfallenden Kosten zu tragen. Diese werden ihnen vom Freistaat Bayern erstattet.

Was müssen kommunale oder gemeinnützige Träger tun, die eine Arbeitsgelegenheit außerhalb
von Asylunterkünften zur Verfügung stellen wollen?

1. Kontaktaufnahme mit dem örtlichen Träger für Leistungen nach dem AsylbLG (Landkreis oder kreisfreie Stadt).
2. Bei gemeinnützigen Trägern ist die Vorlage eines Freistellungsbescheids des Finanzamts erforderlich. Träger der kirchlichen und freien Wohlfahrtspflege erfüllen die Voraussetzung der Gemeinnützigkeit, so dass bei diesen Trägern auf die Vorlage eines Freistellungsbescheids verzichtet werden kann.
3. Vorlage einer schriftlichen Tätigkeitsbeschreibung und einer Bestätigung, dass das Arbeitsergebnis der zu leistenden Arbeit der Allgemeinheit dient.
4. Falls bereits eine bestimmte Person für die Arbeitsgelegenheit ins Auge gefasst wurde, sind dem örtlichen Träger die persönlichen Daten der betreffenden Person mitzuteilen.

Die hier aufgeführten gemeinwohlorientierten Tätigkeiten ermöglichen den Leistungsempfängern eine sinnstiftende und tagesstrukturierende Tätigkeit, beispielsweise in der Landschaftspflege, im kommunalen Bauhof
oder in Sport- und Freizeiteinrichtungen.

Gleichzeitig erhöhen sie auch die Akzeptanz in der Bevölkerung, bauen Vorurteile ab und fördern den Spracherwerb der Geflüchteten durch Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung.

Durch die Arbeitsgelegenheiten erbringen die Geflüchteten zudem eine Gegenleistung für erhaltene Sozialleistungen.

Recherchen im Internet zu den Asylantragszahlen

 Wie diese Statistik des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) - Stand Mai 2024 - zeigt, sind die Monatswerte der Asylbewerber von den Höchstwerten im Oktober/November 2023 spürbar zurückgegangen, im Vergleich vor einem Jahr um 21,5 Prozent, bei den Türken auf Rang 3 im Jahresvergleich gar um 32.2 Prozent.

Der Rückgang der Belegung der NU Veitshöchheim ist adäquat zur Entwicklung der Asylantragszahlen.

Bei türkischen Flüchtlingen lag im Zeitraum von Januar bis Mai 2024 die Gesamtschutzquote (= Asyl- und, Flüchtlingsanerkennungen, Gewährungen von subsidiärem Schutz und Feststellungen eines Abschiebungsverbotes) nur bei 8,6 Prozent. Die Gesamtverfahrensdauer der Asylanträge für das gesamte Bundesgebiet mit Antragstellung in den vergangenen zwölf Monaten betrug  4,5 Monate (Quelle BAMF Aktuelle Zahlen Ausgabe Mai 2024).

Link auf Leitfaden Arbeitsgelegenheiten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG)

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