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Winterzauber im Tiramisu am 4. Adventswochenende + Portrait über die Powerfrau Nicole Gagstetter

Veröffentlicht am von Dieter Gürz

Es ist höchst beeindruckend, wie die 50jährige Nicole Gagstetter, ehemals Kanclerski, trotz des Handicaps einer Sehbehinderung als Geschäftsführerin das Ristorante Tiramisu im Sportzentrum der Turngemeinde Veitshöchheim in der Wolfstalstraße managt und gleichzeitig den inklusiven Gnadenhof betreibt, der in Deutschland als einzigartig gilt.

Die gebürtige Hannoveranerin konnte wegen eines Augenleidens ihren Beruf als Friseurin nicht mehr ausüben. So kam sie  2002 nach Veitshöchheim, um sich im Berufsförderungswerk für Blinde und Sehbehinderte zur Bürokauffrau umschulen zu lassen. Hier gefiel es ihr so gut, dass sie beschloss im Fränkischen zu bleiben.

Vor 13 Jahren nahm sie bei Ferry Gagstetter, der das Tiramisu seit 1993 gepachtet hat, einen Aushilfsjob als Bedienung an, bis sie dieser dann vor sechs Jahren fest anstellte. Doch vor drei Jahren erlitt der heute 69jährige einen Schlaganfall, blieb eine Aphasie zurück, so dass er nur noch eingeschränkt mitarbeiten kann. Seitdem managt Nicole das Restaurant alleine. Seit zwei Jahren sind beide verheiratet.

Wie Nicole sagt, hat sie als 17 jährige in der Gastronomie angefangen. Mit dem Tiramisu sei ihr Jugendtraum  in Unterfranken wahr geworden. Ein Leben ohne dieses ist für sie kaum noch vorstellbar.

Die Corona-Pandemie traf  auch das Ristorante Tiramisu hart

Elf Monate musste das Lokal in den letzten beiden Jahren ganz schließen, konnten Nicole und Ferry Gagstetter diese Zeit nur durch die Soforthilfen des Staates und Kurzarbeit aller Mitarbeiter einigermaßen überstehen. Ab Mai dieses Jahres konnten sie ihr Restaurant wieder öffnen, längere Zeit aber nur freitags bis sonntags, da wegen Krankheit erst ihr Koch acht Wochen und anschließend ihr Pizzabäcker 16 Wochen ausfielen. In dieser Zeit musste Nicole selbst an den Kochtopf. Im Juli und August lief es dann einigermaßen gut, war im September einmal bei Live-Musik mit dem Gitarristen Franz Ulsamer die Hütte richtig voll.

Doch die vierte Welle macht ihnen nun wieder schwer zu schaffen, kommen seit November durch die 3G und jetzt 2G-Regelung beispielsweise am sonst stark besuchten Sonntagmittag nur noch ein Drittel der Gäste, wurden alle zehn vereinbarten Weihnachtsfeiern mit bis zu 40 Personen abgesagt. Erschwerend kommt noch hinzu, dass durch den Ausbau von WÜ 3/21 viele Stammgäste aus Güntersleben, Rimpar und Oberdürrbach ausbleiben.

Das Tiramisu ist deshalb nach den Adventswochenenden ab 20.12. bis auf Weiteres wie folgt geöffnet:

🍕  Freitag und Samstag: 17.30 - 21.00 Uhr, warme Küche bis 20 Uhr

🍕  Sonntag: 11.30 - 14.00 Uhr, warme Küche bis 13.30 Uhr

🍕  Weihnachtsfeiertage: 11.30 - 14.00 Uhr, warme Küche bis 13.30 Uhr

🍕  Silvester: ab 17.00 Uhr ohne zeitliche Beschränkung geöffnet

Zunichte machte Corona auch Nicoles Absicht,  an den Adventssonntagen von 17 bis 19 Uhr ein Angebot für Familien zu machen, mit einer Lesung für Kinder im großen Saal mit Spielecke, während die Eltern in aller Ruhe im Restaurant essen.

Weiter bedauert sie es sehr, dass es nun wegen Corona auch nichts wird mit ihrer Absicht, an Heilig Abend  Alleinstehenden und Bedürftigen ein bisschen familiäre weihnachtliche Stimmung bei leckerem Kartoffelsalat mit Würstchen, Kaffee und Kuchen zu bescheren.

Obwohl sie selbst ein Handicap hat und ihr Mann einen harschen Schicksalsschlag erlitt, lässt sich Nicole aber weder durch personelle Probleme noch durch Corona-Beschränkungen unterkriegen, ist sie voller Tatendrang und Ideen, die sie hofft ab Frühjahr realisieren zu können.

Im Bild das Tiramisu-Team v.l.n.r. vorne die Wirtsleute Ferry und Nicole Gagstetter, hinten die Servicekräfte Steffi und Anika (beide bereits seit 16 Jahren), Koch Marc, Pizzabäcker Rajiv und Servicekraft Julian.

 Vom kleinen Hof zum deutschlandweit einzigartigen Inklusionsprojekt

Nicole Gagstetter begann vor knapp 16 Jahren mit der Pferdehaltung, als sie gegenüber der Einfahrt zum Sandhügelweg zum Unterstellen eine leerstehende Scheune pachten konnte. Zu jenem Zeitpunkt konnte die Tierfreundin noch nicht ahnen, dass dieser Standort sich mal zu einem  facettenreichen Inklusionsprojekt mausern wird. Immer mehr Menschen fragten bei ihr nach, ob ihr altes, behindertes oder krankes Tier in ihrem Gnadenhof eine Bleibe für seine restlichen Lebenstage finden könnte.

2016 rief sie den Verein "Gnadenhof Gut Harmony e.V. ins Leben, der durch sein inklusives Konzept deutschlandweit als einzigartig gilt. Denn hier kümmern sich seitdem Menschen aus besonderen Lebenssituationen um kranke und alte Tiere. Darüber berichtete im letzten Jahr auch die Bayerische Staatszeitung ganz groß.

Hier ist die Tierfreundin mit ihrem Mann Ferry jeden Vormittag anzutreffen.

Aktuell sind es neun Stuten und Hengste, zwei Kälber, vier Ziegen, zwei Schweine, fünf Stallhasen, zwei Meerschweinchen und eine Katze, die auf dem Gnadenhof zu Hause sind.

Der Gnadenhof nimmt auch - in Kooperation mit Harald Dellerts Greifvogelhilfe e.V. - hilfebedürftige Wildvögel auf. Falken, Bussarde und Eulen sind hier in großen Volieren zu Gast, großteils mit dem Ziel,  sie wieder auszuwildern. Die Wildvögel werden von Ferry Gagstetter täglich gefüttert.

 

 

Eberhard und Waltraud sind ganz besondere Schweine. Die lange auf einem Therapiehof eingesetzten Geschwister kamen nach dessen Auflösung nach hier.  Die Keiler können auch "Sitz" und "Platz" machen, ganz wie ein Hund.

Um die Tiere kümmert sich auch Sebastian aus Erbshausen, der zunächst von der AGS Aktionsgemeinschaft Sozialisation e.V. Würzburg vermittelt wurde und nun auf dem Gnadenhof im Rahmen einer AGH-Maßnahme der Agentur für Arbeit (auch Ein-Euro-Job genannt) tätig ist.

Langzeitarbeitssuchende oder Sozialstunden Ableistende wie Sebastian zur Tierpflege einzusetzen, ist Nicole Gagstetter bereits seit fünf Jahren möglich, als sie 2016 zusammen mit Alexander Götz und Sibylle Brandt den gemeinnützigen Verein Gut Harmony e.V. gründete, der aktuell 30 Mitglieder zählt.

Dieses Konzept, bei dem der Tierschutz im Vordergrund steht, ist bislang einzigartig in Deutschland. Es öffnete sich so der Hof für Menschen, auf die der Umgang mit Tieren stabilisierend wirkt.  Der Gnadenhof „Gut Harmony“ hoch oben über Veitshöchheim kümmert sich seitdem nicht nur um betagte Tiere, sondern auch um benachteiligte Menschen,

Wie Nicole erzählt, sind viele mittels AGS oder AGH zugewiesene Helfer psychisch sehr angeschlagen. Doch in der Arbeit mit den Tieren würden fast alle aufblühen, konnte einige wenige auch wieder in den ersten Arbeitsmarkt oder beispielsweise in eine Ausbildung zur Pferdepflegerin vermittelt werden. Neuerdings sind bei ihr auch junge Asylanten im Rahmen einer Integrationsmaßnahme im Einsatz. Ihre Tiere würden völlig vorurteilsfrei mit allen Menschen umgehen.

Die Kommunikation zwischen den verschiedenen Helfern, die auf dem Hof tätig sind, ist für die Vereinsgründerin mit dem großen Herzen eine große Herausforderung, der sie sich gerne stellt. Gagstetter: „Als junge Frau wollte ich gerne Sozialpädagogik studieren, mein Lebensweg ist jedoch anders verlaufen. Ich bin dankbar dafür, dass ich mir diesen Traum von sozialpädagogischer Arbeit mit dem Gnadenhof doch noch erfüllen konnte."

Es helfen auf Gut Harmony aber auch viele ehrenamtlich, so wie die 16jährige Schülerin Enina, die bereits seit neun Jahren nahezu jeden Tag zur Stelle ist, um das inzwischen schon 33 Jahre alte Shetlandpony Moni zu pflegen und auszuführen. Enina besuchte mit Moni auch schon das Altenheim St. Hedwig oder nahm am Martinszug teil.

Über den Tag verteilt sind so bis zu 20 Leute mit der Pflege und Fütterung der Tiere beschäftigt, darunter auch Eninas Mutter, die Nicole schon von Anbeginn zur Seite steht.

Beim Pressetermin war auch Dominic aus Biebelried vor Ort, der Tiermedizin in Leipzig studiert und gegen Entgelt erstmals auch die Pferdehufe auf dem Harmoniehof pflegte, so wie im Bild Lucky. Die 13 Jahre alte, an einer sehr pflegeintensiven Fesselträger-Erkrankung leidende Tinka-Stute ist seit drei Jahren auf dem Gnadenhof. Dank tierärztlicher Hilfe bildet sich der Schaden langsam zurück. Einen Beitrag, dass die Tiere sich hier wohlfühlen, leisten neben der Tierärztin auch ein Heilpraktiker und ein Tier-Physiotherapeut.

Ein Jahr alt ist das Kalb Lilly, das an einem Herzfehler leidet und nicht größer wird.

Genauso lang hier ist auch das Dexter-Kalb Fee, das ebenfalls sehr menschenbezogen ist.

Für Leben auf dem Hof sorgen die beiden genetisch hornlosen Burenziegen und die beiden Bunten Deutschen Edelziegen, die sich gerne auch von den Kindern aus der Kita St. Martin streicheln lassen, die im Sommer öfters am Gnadenhof vorbeischauen. Auch der AWO-Schulhort ist hier jährlich einmal Gast und auch für Schulklassen macht Nicole hin und wieder Führungen.

Die Ziegen sind neugierige und lustige Gesellen, die jeden Besucher sofort in Beschlag nehmen. In der Koppel mit den Schweinen unterwegs, nehmen sie diese auch schon mal mit ihrem Kopf ins Visier.

Seit einem halben Jahr befinden sich diese beiden erblindeten und traumatisierten Stuten Frieda und Lisa, beide um die 26 Jahre alt, in der Obhut von Nicole. Frieda kann noch geritten werden, reagiert auf Stimme.

Die 20 Jahre alte, an Arthrose leidende Nelly kam als Scheidungspferd auf den Hof. Da sie ein ausgesprochenes Männerpferd ist, konnte die geschiedene Ehefrau sie nicht behalten.

Sehr ängstlich sind Rosi (20 Jahre) und Bella (12 Jahre), die an einer Bindegewebeschwäche leiden.

Die ältesten Pferde auf dem Hof sind die 33 Jahre alte Ninja, die an einem Knieschaden leidet und der 30 Jahre alte Whisky, der ein chronisches Kotwasser hat.

Die alten Tiere dürfen leider nicht mehr alles fressen, dürfen an sie keine Lebensmittel wie Äpfel oder altes Brot verfüttert werden. Sie brauchen individuell auf ihre Bedürfnisse abgestimmtes  Spezialfutter und  teilweise täglich Medikamente. Regelmäßige Tierarztbesuche sind an der Tagesordnung.

Überwiegend finanziert Nicole Gagstetter den inklusiven Gnadenhof aus eigener Tasche.

Sehr zum Leidwesen der Vereinsvorsitzenden gibt es in Zeiten von Corona leider auch  immer weniger Sponsoren. Um das seit 2016 von einem gemeinnützigen Verein getragene Gut auch künftig unterhalten zu können, sind jedoch Spenden nötig. Denn vor allem die Tierarztkosten sind hoch. Aber auch jeder kleine Betrag helfe, das tägliche Futter zu finanzieren.

Falls Sie also spenden möchten oder Menschen kennen, die den Gnadenhof finanziell unterstützen möchten, so können Sie dies auf das Konto:

Gut Harmony e.V.

IBAN: DE 49 790500000048239396

BIC: BYCLADEM1SWU

(Spendenquittung kann ausgestellt werden)  

Fotos Dieter Gürz

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