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Die Menschenwürde ist unantastbar - IT-Rechtsanwalt Chan-jo Jun referierte im Naturfreundehaus über Umgang mit Hassparolen auf Facebook und das NetzDG

Veröffentlicht am von Dieter Gürz

Chan-jo Jun zu Gast beim Monatstreff im Veitshöchheimer Naturfreundehaus: Im Oktober 2015 hatte der in Deutschland gebürtige Jurist (*1974), der eine Rechtsanwaltskanzlei für IT-Recht mit neun Anwälten in Würzburg betreibt, weltweite mediale Aufmerksamkeit erhalten durch sein juristisches Engagement gegen Hasskriminalität auf Facebook und in dem er ein Ermittlungsverfahren gegen Mark Zuckerberg und andere Facebook-Manager wegen Beihilfe zur Volksverhetzung ins Rollen und Facebook vor Gericht brachte.

Chan-jo Jun zu Gast beim Monatstreff im Veitshöchheimer Naturfreundehaus: Im Oktober 2015 hatte der in Deutschland gebürtige Jurist (*1974), der eine Rechtsanwaltskanzlei für IT-Recht mit neun Anwälten in Würzburg betreibt, weltweite mediale Aufmerksamkeit erhalten durch sein juristisches Engagement gegen Hasskriminalität auf Facebook und in dem er ein Ermittlungsverfahren gegen Mark Zuckerberg und andere Facebook-Manager wegen Beihilfe zur Volksverhetzung ins Rollen und Facebook vor Gericht brachte.

Als die Würzburger Naturfreunde im Januar 2013 ihr 100jähriges Bestehen feierten, wurde hervorgehoben, dass die wichtigsten Ziele der 1895 in Wien aus der Taufe gehobenen Naturfreunde-Bewegung nach wie vor das Erleben von Gemeinschaft, Umweltschutz und Naturkunde, Pazifismus, Förderung der Völkerverständigung, Frieden, Bildung sowie Wandern und sinnvolle Freizeitgestaltung seien. Der Bundesvorsitzende der Naturfreunde hielt damals ein Plädoyer für den verantwortlichen Umgang mit Natur, Umwelt und Nachhaltigkeit und forderte, dass Gerechtigkeit und Freiheit im Mittelpunkt stehen müssen.

So ist es bei den Naturfreunden Usus, bei ihren regelmäßigen Monatstreffen im Veitshöchheimer Naturfreunde ein gesellschaftsrelevantes Thema in den Mittelpunkt zu stellen, so am Samstag die mit der Menschenwürde kollidierende Hasskriminalität auf Facebook.

Als Referenten konnte der Verein mit Chan-jo Jun, ein gebürtiger Niedersachse mit bayerischen Abitur (1993) und Examen (1999/2001), wohl den in deutschen Landen kompetentesten Experten gewinnen. Ihn hatte auch das ZDF um eine Einschätzung zum umstrittenen, am 1. Januar 2018 in Kraft getretenen Netzwerkdurchsetzungsgesetz (kurz: NetzDG) gebeten.

Dieses Gesetz soll soziale Netzwerke wie Facebook, YouTube und Twitter unter Androhung hoher Bußgelder dazu verpflichten, offensichtlich rechtswidrige Inhalte binnen 24 Stunden nach Beschwerde vom Portal zu nehmen oder zu sperren.

So war es kein Wunder, dass beim Monatstreff im Naturfreundehaus viele Mitglieder und Gäste sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen wollten, Informationen über das aktuelle Thema Hasskriminalität auf Facebook aus erster Hand zu erhalten. Wie der Anwalt sagte, geht es dabei um Werte, wie sie auch die Naturfreunde hochhalten.

Deutschland bewerte diese Grundwerte zum Teil anders als die USA, wo die Freiheit nicht dort endet, wo sie den anderen beeinträchtigt und bei den Äußerungsrechten werde nicht unterschieden, was gut und böse ist, jede Äußerung sei erlaubt.

So seien auch Tatsachenbehauptungen in Amerika geschützt. In Deutschland sei dagegen nur die Meinungsfreiheit, nicht aber die Äußerungsfreiheit, insbesondere falsche Tatsachenbehauptungen geschützt. Verleumdungen seien in Deutschland verboten, nicht jedoch bei Facebook und nach amerikanischem Recht.

"Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – dieser in Artikel 1 des Grundgesetztes manifestierte Grundkonsens erodiert laut Jun gerade im Netz.

Welche Verantwortung sollen Soziale Netzwerke im Umgang mit Hassparolen übernehmen? Wie konsequent ist deren Löschungspraxis? Setzt Facebook sein eigenes Rechtssystem über das der nationalen Gesetzgeber? Schränkt das NetzDG die Presse- und Meinungsfreiheit ein? Mit Fragen wie diesen setzte sich Chan-jo Jun in seinem über eineinhalbstündigem Vortrag auseinander, in dem er auch immer wieder Zwischenfragen aus der Zuhörerschaft beantwortete.

Ausführlich ging der Anwalt darauf ein, wann ein Tatbestand der Volksverhetzung nach § 130 Strafgesetzbuch vorliegt, beispielsweise wenn zu Gewalt oder zu einer Willkurmaßnahme gegen eine bestimmte Gruppe aufgefordert wird.

Traditionell sei in Deutschland das Vermögen am besten geschützt, weniger die Verletzung von Persönlichkeitsrechten wie die Bedrohung des Lebens, Verleumdung oder Beleidigungen.

Der 43jährige beklagt aus eigener Prozess-Erfahrung: " Wir haben mittlerweile eine Kultur, wo jemand gemerkt hat, dass mit Bedrohungen Politik zu machen ist, um Leute, die sich engagieren, wegzubeißen."

Das Bundesverfassungsgericht würde immer so interpretieren, was aus dem Schutz der Menschenwürde geboten ist. Das unterscheide uns von anderen europäischen und anderen westlichen Ländern. Jun: "Auf diese Priorität der Menschenwürde sollten wir Deutsche stolz sein und es lohnt sich diese zu verteidigen." 

Ein jeder müsse sich die Frage stellen, wollen wir nach den Werten des Grundgesetzes leben oder nach den Gemeinschaftsstandards von Facebook?

Leider würden Hassaufrufe auf Facebook erfolgen, was Face to Face nie passieren würde, denn man habe hier nicht das direkte Feedback. Sehr hilfreich sei dabei die Gruppendynamik von Facebook, gleichgesinnte Minderheitsmeinungen etwa zur Fremdenfeindlichkeit oder abnormale Vorlieben zu vereinen und zu verstärken.

Jun: "Man muss sich fragen, was sind das für Gemeinschaftsstandards, wenn Facebook beispielsweise Vorlieben wie Inzest mit Kindern oder Pädophilie auf seiner Plattform toleriert." Deshalb müsse man die sozialen Medien regulieren.

Für Facebook waren laut Jun nicht moralische Gesichtspunkte bei den Gemeinschaftsstandards maßgebend, sondern wie das Ziel, die globale Welt zu vernetzen, am besten zu erreichen ist. Bei Meinungsäußerungen habe man ein bißchen Hetze verboten, aber nicht so richtig. Zuckerberg habe geäußert, dass manche Regierungen fordern würden, bestimmte Sachen zu löschen, von denen sie glauben, sie seien illegal, die aber nicht gegen die Facebook-Standards verstoßen. Er kämpfe dafür, so die Ansage von Zuckerberg, dass solche unnötigen Einmischungen zurückgedrängt werden. Er wolle sich nicht von Regierungen reinreden lassen, was erlaubt ist und was nicht.

Jun: "Es gibt deshalb Unterschiede zwischen dem Grundgesetz und dem Prinzipien aus der  Menschenwürde, was wir haben und den Regeln auf Facebook." Wenn man Zuckerberg so reden höre, dann sehe er sich als eigener Staat mit selbstgesetzten Regeln, die nicht überprüfbar seien. Denn wenn man Facebook auf seine eigenen Regeln festnageln wolle, dann greife man ins Leere, so argumentierte der Anwalt aus eigener außergerichtlicher Erfahrung.

Das Plädoyer und die Gesellschaftsphilosophie des leidenschaftlichen Demokratie-Verteidigers lautet:

"Wir werden unsere Freiheit nicht dadurch retten, indem wir Freiheit unbeschränkt zulassen. Wir müssen vielmehr unsere Freiheit auch dadurch bewahren, in dem wir regulierend eingreifen. Wir brauchen den Staat. Das Volk, die Algorithmen oder die Meinung der Massen werden uns nicht zu einer besseren Welt führen. Der Mensch ist nicht von Grundauf als Massenphänomen gut oder  moralisch integer. Wir brauchen Regeln und wenn wir Systeme schaffen, die im Grunde genommen nur mit der Mehrheitsmeinung funktionieren, dann kommen dabei Sachen raus wie beispielsweise Rassismus, die wir nicht gut finden werden."

Wenn wir die Menschen so gewähren lassen, wie sie sind mit ihren Urinstinkten, dann komme nach seinen Worten auch so etwas raus, wie erst in dieser Woche der Aufnahmestopp für Ausländer bei der Essener Tafel, was Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten bedeutet.

Jun: "Wir bauen ein Netzwerk-System, was Menschen hilft sich zu verbinden, mit ihren Interessen. Wenn wir sagen, es gibt keine Regeln, dann ist Inzest genauso erlaubt, wie das Hobby Modelleisenbahnen. Dann haben wir ein Eldorado dafür."

Aus diesem Grund sei Facebook die Lieblingsplattform der AFD. Sie sei dort erfolgreichste Partei, was die Zahl der Likes anbelangt.

Dies ist für Jun der Grund zu sagen: "Wir brauchen Regulierung." Deshalb ist für Jun auch das NetzDG (siehe Ausführungen weiter unten) vom Ansatz her mit Bußgeldandrohugen bis zu 50 Millionen Euro das Richtige.

Man könne Facebook nicht selbst aussuchen lassen, was richtig und falsch ist. Denn ansonsten würden wir tatsächlich riskieren, dass unsere Demokratie gefährdet wird. Ja, so beantwortete er eine Zwischenfrage, Facebook generiere sich manchmal wie ein eigener Staat.

Die Entscheidungen, die Facebook treffe, würden zeigen, dass sie nur dort das Recht beachten, wo sie es für notwendig erachten. Beispielsweise sei gelikt worden, dass die Holocaust-Leugnung in sieben europäischen Staaten verboten ist, aber nur nur in vier verfolgt wird. Facebook habe argumentiert, warum solle man die Holocaust-Legnung in den drei Staaten löschen, wenn sie nicht verfolgt werde.

Faktisch sei es bisher unmöglich gewesen, Facebook zu zwingen, deutsches Recht zu beachten. Jun: "Diesen Beweis habe ich in den letzten Jahren erbracht."

Keine Frage, dass der Anwalt dann auch ausführlich auf seinen Fall einging, mit dem er es geschafft hat, erstmals in Deutschland Facebook vor Gericht wegen Verleumdung zu bringen, der großes internationales Medieninteresse auslöste:

Das Selfie von Anas Modamani mit Angela Merkel wurde im Netz von rechten Hetzern durch eine verleumderische Fotomontage missbraucht. Chan-jo Jun hat es mit diesem Fall geschafft, erstmals in Deutschland Facebook vor Gericht wegen Verleumdung zu bringen. Diese „Fake News“ wurde auf Facebook hunderte Male geteilt - um die Ähnlichkeit mit einem Verdächtigen-Foto zu erhöhen, wurde offenbar das Gesicht Modmanis manipuliert und in die Länge gezogen (Foto Screenshot).

Das Landgericht Würzburg hatte Anfang März 2017 entschieden, dem Netzwerk sei nicht zuzumuten, die Behauptungen über Anas Modamani konsequent zu löschen, auch wenn sie zweifelsfrei Lügen sind.

Jun: "Es gibt deshalb Unterschiede zwischen dem Grundgesetz und dem Prinzipien aus der  Menschenwürde, was wir haben und den Regeln auf Facebook." Wenn man Zuckerberg so reden höre, dann sehe er sich als eigener Staat mit selbstgesetzten Regeln, die nicht überprüfbar seien. Denn wenn man Facebook auf seine eigenen Regeln festnageln wolle, dann greife man ins Leere, so argumentierte der Anwalt aus eigener Erfahrung.

Trotz der Niederlage vor Gericht, bestärkte das Verfahren die Parteien der Großen Koalition, das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) auf den Weg zu bringen. Dieses zwingt nun  seit Beginn dieses Jahres soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter, auf ihren Plattformen strafbare Inhalte wie Beleidigungen und Verleumdungen,  Volksverhetzung und Gewaltaufrufe, sobald sie davon erfahren, zu entfernen. 

Dass zuvor die bestehenden Regelungen dafür nicht ausreichten, hat laut Anwalt Jun das Verfahren vor dem Landgericht Würzburg bewiesen. Für ihn ist es keine Frage, dass nicht nur die Verfasser von Hass-Posts und Fake News belangt werden müssen, damit im Internet kein rechtsfreier Raum entsteht. Auch die Betreiber seien verantwortlich, dass auf ihren Plattformen die Gesetze eingehalten werden.

Das NetzwerkDG, so Jun, habe zwar auch Defizite", aber es sei der richtige Ansatz. Den Einwand, der Rechtsstaat delegiere rechtliche Überprüfungen wie die Unterscheidung zwischen erlaubter und strafrechtlich relevanter Meinungsäußerung an private Konzerne, kontert er mit dem Hinweis, dass beispielsweise auch die Einhaltung des Jugendschutzes in der Gastronomie zunächst einmal Sache von Privatunternehmen, in diesem Fall von Wirten oder Discobetreibern, ist. „Erst, wenn das nicht funktioniert, greifen die Behörden ein.“  So stellt er sich das auch beim Umgang mit Hasskommentaren vor.

Kritiker würden hier zwar einen Angriff auf die Meinungsfreiheit sehen, Oppositionsparteien wie AfD, Linke und FDP, die Internetwirtschaft und Journalistenorganisationen von Zensur sprechen.

So laute ein Vorwurf, wegen der Androhung von Millionenstrafen seien die Netzwerke verleitet, im vorauseilenden Gehorsam eher zu viel als zu wenig zu löschen. Genau dieses „Overblocking“ gefährde die freie Debatte.

Als markantes Beispiel dafür, wohin Übereifer führen kann, gelte die Entscheidung von Twitter, den Account der „Titanic“ zu sperren. Das Satire-Magazin hatte in parodistischer Absicht rassistische Kommentare verbreitet, vermeintlich abgesendet von der AfD-Politikerin Beatrix von Storch. Nach öffentlichen Protesten war der Account wieder frei.

Wenn ein Netzwerk einen als strafbare Hetze oder Verleumdung gemeldeten Post nicht löscht, haben Nutzer die Möglichkeit, auf einem Online-Formular beim Bundesamt für Justiz in Bonn Beschwerde einzureichen. Schwieriger ist es dagegen, gegen die Entscheidung eines Netzwerks, einen Post zu löschen, vorzugehen. Deshalb fordern auch NetzDG-Befürworter wie Jun die Möglichkeit für Betroffene, dies zeitnah von einer unabhängigen Instanz, vergleichbar mit der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK), überprüfen zu lassen. Hier gelte es, so der Anwalt, das Gesetz nachzubessern.

Wie Chan-jo Jun sagt, greife Facebook inzwischen bei Aufrufen zu Gewalt oder bei Holocaust-Leugnung mittlerweile stärker ein als früher. Die Löschung des Modamani-Posts habe das Unternehmen indes einmal mehr verweigert. Warum, dazu gebe es keine Begründung.

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