Veitshöchheimer Bürgermeister empfing posttraumatisierten Afghanistan-Kriegsveteranen auf seinem 750 Kilometer-Erinnerungs--Marsch quer durch Deutschland
"750 Kilometer für das Gedenken und gegen das Vergessen" legt der 27-jährige Stabsgefreite Alexander Sedlak in 33 Etappen quer durch Deutschland zurück, um die Öffentlichkeit für Traumata von Soldaten zu sensibilisieren und Spenden für seine kranken Kameraden zu sammeln. Nach Übernachtung im Feldwebelwohnheim und einem Treffen mit dem stellvertretenden Divisionskommandeur Brigadegeneral Michael Podzus stand am Morgen vor dem Weitermarsch zur nächsten Station Waigolshausen auch noch ein Empfang bei Bürgermeister Jürgen Götz im Rathaus auf dem Programm.
„Aufgrund dieser vorbildlichen Zivilcourage zum Wohl einsatzbedingt psychisch erkrankter Kameraden ließ es sich der stellvertretender Divisionskommandeur, Brigadegeneral Michael Podzus, nicht nehmen, Alexandr Sedlak in der Kaserne zu begrüßen. „Der Mann hat Charakter, lässt sich nicht hängen und setzt sich in seinem Urlaub für kranke Kameraden ein, Respekt“, so General Podzus.
Von seiner Heimatstadt Freiburg in Südbaden bis Berlin ist Alexander Sedlak seit 17. April unterwegs und hat dabei von Tauberbischofsheim kommend auf seiner 13. Etappe am Montag/Dienstag mit seinem Rottweiler-Hund Bruno in Veitshöchheim Halt gemacht.
Wie Sedlak dabei erzählte, erlebte er 2011 während seines sechsmonatigen Einsatzes im berüchtigten Außenposten "OP North" in Afghanistan als Scharfschütze, Ersthelfer und Richtschütze eines schweren Maschinengewehrs Bombenangriffe, Raketenbeschuss und auch einen Anschlag mit 20 Verletzten, darunter auch Kinder. Nach seiner Rückkehr ließ ihn das Erlebte nicht mehr los. Seitdem leidet er unter einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), die sich in Antriebslosigkeit, Angstzuständen, Depressionen und Schlafstörungen äußert. Als er 2012 nach Ablauf seiner vierjährigen Verpflichtung als Zeitsoldat aus der Bundeswehr ausschied, machte er zunächst eine Ausbildung bei einer Security-Firma, bis dann bei den Einsätzen seiner Firma zur Bewachung einer Flüchtlingsunterkunft das in Afghanistan Erlebte wieder hautnah vor Augen hatte. Wieder kehrte der Krieg zurück in Sedlaks Kopf, fraß sich durch seine Seele.
Sedlak und seine Kameraden mussten oft wochenlang in solchen Stellungen leben (Foto: Reservistenverband.de/privat)
Alexander Sedlak bei seinem Einsatz in Afghanistan. Sechs Monate war er dort im Einsatz (Foto: Reservistenverband.de/privat)
"Eigentlich hat es unmittelbar nach dem Einsatz angefangen. Eingestanden habe ich es mir aber erst nach dreieinhalb Jahren. Da hatte ich meinen ersten Flashback und die Erkenntnis, ,mich in ärztliche Behandlung begeben zu müssen.", beschrieb der Betroffene. Hilfestellung erfuhr er dabei durch die Mitgliedschaft beim 2010 gegründeten Bund Deutscher EinsatzVeteranen e. V., der ihm einen professionellen Fallmanager zur Seite stellte.
Dieser machte ihn auch darauf aufmerksam, dass für frühere Bundeswehrangehörige, die in einem Auslandseinsatz waren und durch Einwirkungen oder Erlebnisse während des Einsatzes nachträglich erkrankt sind, wozu ausdrücklich auch PTBS zählt, eine Wiedereinstellung nach dem Einsatz-Weiterverwendungsgesetz möglich ist. So ist Sedlak nun seit März 2016 wieder bei der Bundeswehr im gemischten Stab der Deutsch-Französischen Brigade in der Robert-Schuman-Kaserne im badischen Müllheim in einem "Wehrdienstverhältnis besonderer Art" zu nächst unbefristet tätig und wartet nun auf seine Anerkennung als Berufssoldat.
Alexander Sedlak: "Der ursprüngliche Anlass dieses Soldatenmarsches war mein Wunsch, am 27. Mai 2017 beim traditionellen Veteranentag am "Marsch der Stille und gemeinsames Gedenken" des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr im Wald der Erinnerung am Schwielowsee (Potsdam) teilzunehmen und einen Kranz niederzulegen." Über Jahre hinweg habe er das versäumt. Irgendwann habe er sich dann gesagt, "dann marschiere ich eben von Freiburg nach Berlin."
Mit seinem Marsch will er nun auf die PTBS aufmerksam machen, an der viele Kriegs-Heimkehrer leiden würden. Von der Öffentlichkeit werde dies nämlich kaum wahrgenommen. Mit jedem neuen Auslandseinsatz werde die Zahl der an PTBS-Erkrankten größer. Geschätzte 8.000 EinsatzVeteranen würden jährlich die Bundeswehr verlassen, so der Bundesverband. Leider dauere es nach der Diagnose eines Bundeswehrfacharztes oft über zwei Jahre bis über eine Wiedereingliederung in die Bundeswehr entschieden werde.
In insgesamt 33 Tagesetappen, die zum Großteil von 20 bis 28 Kilometer lang sind, nähert sich Soldat seit dem 17. April vom Freiburger Hauptbahnhof aus zielstrebig Berlin, hat in Veitshöchheim bereits 300 Kilometer hinter sich gelassen. Nächste Stationen mit seinem Rottweiler "Bruno" sind Waigolshausen, Üchtelhausen und Bad Königshofen, bevor es dann in Thüringen über Weimar, Merseburg und Halle/Saale Richtung Potsdam weitergeht.
Am 26. Mai will er in Berlin-Tiergarten ankommen, wo anlässlich seines "Spendenmarsch für das Gedenken und gegen das Vergessen" eine Ehrenwache und ein Empfang durch den Bund Deutscher EinsatzVeteranen e.V.
"Ich weiß es zu schätzen, welch physische und psychische Kraftanstrengung Alexander Sedlak mit dem Marschprojekt auf sich nimmt", ließ ihn Bundesverteigungsministerin Dr. Ursula von der Leyen schriftlich wissen. Leider sei es ihr aufgrund anderweitiger Verpflichtungen nicht möglich, ihn bei seiner Ankunft in Berl in persönlich zu begrüßen. Sie habe jedoch angewiesen,
dass er bei seiner Station am Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam durch den General vom Dienst begrüßt und willkommen geheißen werde. Dem Projekt wünschte sie alles Gute, verbunden mit dem Wunsch, dass Sedlak weiteren Lebensmut dadurch gewinnen möge.
Mit der Aktion möchte Alexander Sedlak aber nicht nur auf einsatzgeschädigte Bundeswehrkräfte aufmerksam machen. Er hat während des zurückliegenden halben Jahres auch rund 3.500 Euro an Spenden gesammelt, deren Gesamtsumme sich auf dem Weg nach Berlin noch erhöhen dürfte (bislang bereits um 1.800 Euro). Das Geld will er am Marschziel dem Bund Deutscher Einsatzveteranen übergeben. Ein siebenköpfiges Team aus Ehrenamtlern unterstützt ihn beim Marsch und sammelt Spenden.
Sollten auch die Leser die einsatzbedingt an der Seele erkrankten Soldaten und ihre Familien unterstützen wollen, ist eine Spende an die Volksbank Freiburg Alexander Sedlak IBAN: DE 72 6809 0000 0005 4053 19 BIC: GENODE61FR1 herzlich willkommen.
Nach dem einstündigen Small-Talk mit dem Veitshöchheimer Ortsoberhaupt trug sich Alexander Sedlak ins Gästebuch des Bürgermeisters ein. Götz sagte, er könne sehr gut verstehen und nachvollziehen, was seinen Gast umtreibe und was er zu verarbeiten habe. Es sei zwar überhaupt nicht vergleichbar was Sedlak in Afghanistan erleben musste, aber aus eigener Erfahrung habe ihn lange beschäftigt, was er 1991 als wehrpflichtiger Sanitätssoldat während des ersten Golfkrieges während seines vierwöchigen Einsatzes in Rammstein an schlimmen Verletzungen sehen und erleben musste. Er habe nämlich einem Verband angehört, der die nach Deutschland eingeflogenen verwundeten amerikanischen Soldaten in die verschiedenen US-Krankenhäuser zu transportieren hatte.
Ein treuer Freund ist dem Deutschlandwanderer sein vierbeiniger Begleiter. Der Rottweiler-Junghund Bruno sorgt auf der 40tägigen Mammut-Tour dafür, dass es "Herrchen" nicht langweilig wird und dieser ständig einen Ansprechpartner hat. Sein Trocken-Futter lässt sich Sedlak immer zu den Stationszielen schicken, denn gut 15 Kilogramm Marschgepäck im Rucksack würden auch so schon reichen. Für die 40 Tage wurde er von der Bundeswehr durch Sonderurlaub vom Dienst freigestellt. Auf seiner Wanderroute habe er seitens der Bevölkerung nur positive Rückmeldungen erhalten.
PTBS ist die Abkürzung für Posttraumatische Belastungsstörung. Bei dieser psychischen Erkrankung fühlt sich der Betroffene hilflos, erlebt Furcht und Entsetzen. Einer PTBS gehen ein oder mehrere belastende Ereignisse von außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophalem Ausmaß voraus.
Menschen, die in Todesgefahr waren, die eine konkrete Gefahr ihrer eigenen körperlichen Unversehrtheit erlebt haben, oder andere Menschen in einer solchen Situation unmittelbar erlebt haben, können daran erkranken. Die Krankheit kann Selbstverletzungen, Suchterkrankungen, Depressionen und andere Krankheitsbilder mit einschließen, zur Arbeitsunfähigkeit, sozialer Isolation und im schwersten Fall zum Suizid führen.
Traumata brechen nicht immer in den ersten Monaten nach einem die Seele belastenden Ereignis aus, sondern manchmal erst Jahre oder Jahrzehnte später. Gegenwärtig ist diese seelische Verletzung besonders bei Rückkehrern aus Afghanistan ein großes Problem. Im Jahr 2013 zählte die Bundeswehr 1423 Fälle von PTBS, das sind dreimal so viele wie noch 2009. Die Dunkelziffer beträgt laut einer Bundeswehr-Studie etwa 50 Prozent.
Noch wenig beachtet: Partnerinnen, Kinder und andere Angehörige von traumatisierten Soldaten können an den Folgen der Krankheit miterkranken. Solche Sekundärtraumatisierungen können sich z. B. in Depressionen, oder auch in einem Burn-out-Syndrom äußern.
Quelle: Bildzeitung vom 9.3.2017