Entgegen der Geschlechterstereotype: 80 Veitshöchheimer Mittelschüler schnupperten heute beim Girls-/Boys-Day in unübliche Jobs
Höchst fasziniert waren am Girls-Day im Autohaus Keller nicht nur diese sechs Veitshöchheimer Mittelschülerinnen, sondern auch Schulleiter Otto Eisner und Bürgermeister Jürgen Götz (rechts), als ihnen Roland und Maria Hoier (links) die moderne Technik eines Audi A7 Sportback vorstellten. Das Auto befand sich in der Inspektion, weil das 4.000 Euro teure Informationselektronik-Steuergerät für Telefon, Navigation, Radio und Bordcomputer ausgetauscht werden musste, da das Internet nicht mehr richtig funktionierte.
Wie in der Werkstatt des Autohauses Keller ist das weibliche Geschlecht in Kfz-Reparatur-Werkstätten als Mechaniker höchst selten anzutreffen, mehr schon im kaufmännischen Servicebereich. So waren bei der Freisprechungsfeier der unterfränkischen Kfz-Innung vor wenigen Tagen in den Mainfrankensälen unter den 331 Kfz-Mechatroniker-Lehrlinge nur 16 junge Frauen. Von den 70 Beschäftigten des Autohauses sind 17 Mechatroniker, 16 Auszubildende, 15 Karosseriespengler, 7 in der Teile-Logistik und 13 im Service tätig
Aufgrund dieser Geschlechterstereotype fand heute wieder bundesweit der Aktionstag "Girls- and Boys-Day" statt, an dem sich schon traditionsgemäß auch wieder die Mittelschule Veitshöchheim beteiligte.
Jungs sind rau und unnahbar und somit schwer für Pflegeberufe zu begeistern. Mädchen hingegen sind handwerklich unbegabt und empfindlich. Sie sind also als Ingenieurinnen, Kfz-Mechaniker oder Tischlerinnen ungeeignet. Um diesen gängigen Vorurteilen entgegenzuwirken, wurde 2001 der Girls’ Day eingeführt. Im Jahr 2011 folgte dann erstmals der parallel stattfindende Boys’ Day. Die Aktionstage sollen diese Klischees in der Arbeitswelt auflösen und Jugendliche einmal im Jahr an Jobs heranführen, die für ihr Geschlecht eher als unüblich gelten.
Das eigentliche Anliegen dürften aber nicht nur Geschlechterbilder sein, sondern wegen des Fachkräftemangels in der Industrie und des Fachkräftemangels in der Pflege nüchterne, ökonomische Notwendigkeiten.
Der diesjährige bundesweite Girls- und Boysday war gleichwohl für die 80 Schüler der siebten und achten Jahrgangsstufen der Veitshöchheimer Mittelschule ein besonderer, nicht alltäglicher Schultag. An rund 20 Einsatzorten konnten 40 Mädchen in einen der sogenannten MINT (Mathematik-Informatik-Naturwissenschaft-Technik)-Berufe hinein schnuppern, während 40 Jungs in sozialen Einrichtungen unterwegs waren.
Die Übergangsmanagerin Theresia Öchsner kümmert sich seit Jahren in Veitshöchheim mit dem Projekt “Kompetenz-Werkstatt" um den Übergang von Schule in den Beruf. Ihr gelang es, ein facettenreiches, regionales Netzwerk die Praktikumsplatz- und Ausbildungsplatzsuche zu knüpfen. Darauf konnte sie nun auch am Boy’s-/Girl’s-DAY zurückgreifen.
Reifenwechsel war eine der Aufgaben, über die sich sechs Mittelschülerinnen am Girls-Day im im Autohaus Keller ein Bild machten. Auch im Karosseriezentrum konnten die Girls Hand mit anlegen und eine Delle ausbeulen. Hier auf dem Foto macht Björn Schweizer die Schülerinnen Saskia und Chantal mit den im Kfz-Gewerbe in der Verwaltung typischen Ausbildungsberufe Automobilkaufmann, Büromanagement und Lagerlogistik vertraut.
Auch wenn der lange Arbeitstag für die Schülerinnen ungewohnt und anstrengend war, waren sie doch von dem etwas anderen Schultag begeistert.
Bei der Firma PROFIROLL SCHURICHT GMBH, einem Fachbetrieb für Insektenschutz, Sonnenschutz und Fenster im Veitshöchheimer Gewerbegebiet waren auch die Schülerinnen Anna, Jenny und Sedra von ihren Probe-Arbeiten in einem typischen Männerberuf begeistert. Geschäftsleiter Daniel Schuricht informierte sie ausführlich auch per Video über das Berufsbild des Rollladen- und Sonnenschutzmechatronikers mit Blockunterricht an der Berufsschule Wies in Oberfranken.
In der Werkstatt durften die Mädels unter seiner fachkundigen Anleitung auch ein eigenes Insektenschutzgitter anfertigen (im Bild) und mit nach Hause nehmen. Alle Drei hatten keinerlei Berührungsängste und sichtlich Spaß an der Arbeit, waren handwerklich sehr geschickt. Über das Engagement der Schülerinnen freuten sich auch Bürgermeister Jürgen Götz, Schulleiter Otto Eisner und Firmenchefin Barbara Schuricht. Im Betrieb sind 15 Mitarbeiter tätig, darunter zwei Meister und zwei Gesellen als Monteure und der Rest als Facharbeiter in der Produktion. Die Geschäftsleitung sucht einen zweiten Auszubildenden.
Acht Jungen aus der siebten Klasse besuchten heute am Boys-Day mit ihrem Klassenlehrer Bernhard Möller das Altenheim St. Hedwig, wo sie von Bewohnern und drei Mitarbeiterinnen des Hauses überaus freundlich empfangen wurden. Nach einer kurzen Führung durch die Einrichtung ging es dann bald in die Praxis. Die Schüler wurden in Gruppen aufgeteilt. Liam und Mandalin (im Bild) holten die Außenmöbel aus dem Keller und reinigten sie.
Damit die Altenheim-Bewohner gleich erkennen können, welche Bäume in den Außenanlagen der Einrichtung anzutreffen sind, fertigten unter den Augen von Klasslehrer Bernhard Möller und der Betreuungsleiterin Silvia Rottmann-Baer die Siebtklässler Leonid und Aleks Kennzeichnungsschilder. Dabei half ihnen die 18jährige Anna-Maria (rechts) die an der FOS Pädagogik und Psychologie studiert und in der Einrichtung ein zehnwöchiges Praktikum ableistet.
Aktuell steht das Thema "Heimat" im Mittelpunkt von Aktivitäten des Hauses. Dazu gehört auch, in Erinnerung zu rufen, wo die Heimbewohner herkommen. Die Schüler Merlin und Keanu ließen sich dazu die Geburtsorte aller 94 Heimbewohner geben und markierten diese Orte auf der Landkarte mit einem roten Herzaufkleber. Es war für die Jungs quasi eine Unterrichtsstunde in Erdkunde, denn nicht nur in Deutschland, sondern auch im Iran, in Moskau und in den Nachbarländern stand die Wiege von Senioren.
Und am Ende versammelten sich alle Jungs im Kaminzimmer, wo ihnen der Urveitshöchheimer, in der Bahnhofstraße im Altort ansässige Edwin Wald, der am 3. April seinen 83. Geburtstag feiern kann, darlegte, was "Heimat" für ihn persönlich bedeutet. Er berichtete von Hochwasser, Krieg und Vertreibung, so aus dem Jahr 1942, wo ständig Bombenalarm war und man eine Gasmaske tragen musste. In seiner Schulzeit gab es hier noch 46 Bauernhöfe, lag der Mist auf der Straße, gab es bereits fünf Bäcker und fünf Metzger, 15 Heckenwirtschaften und drei Lebensmittelgeschäfte. Die Kinder spielten auf der Straße, wo die Alten Leute vor dem Tor saßen.
Berufliche Heimat war für ihn 50 Jahre die Firma Koenig & Bauer, wo er früh und abends jeweils zu Fuß den drei Kilometer langen Weg zurücklegte. Vor Heimweh geweint habe häufig seine aus Amberg in der Oberpfalz stammende Frau, die er 1958 geheiratet hatte. Wenn sie jedes Jahr zwei- bis dreimal heimfuhr, sei sie aufgeblüht, wenn sie alte Bekannte traf. Man habe deutlich sehen können, was Heimat für sie bedeutet. Für den Senior ist Heimat auch, den Dialekt pflegen, sprechen, schreiben, weniger mit dem Handy zu agieren. Wenn seine Enkel ihn besuchen, erzähle er ihnen häufig, wie es früher war.
Zum Schluss las er den beeindruckten Schülern ein Lied über Veitshöchheim vor.
Resümee:
Die meisten Siebtklässler waren zuvor noch nie in einem Altenheim. Die Jungs sahen es aber als sinnvoll an, am Boys´Day Einblicke in Berufe bekommen, die sie bisher nur als "Frauenberufe" wahrgenommen haben. So kann sich der eine oder andere durchaus vorstellen kann, im nächsten Jahr in der achten Klasse ein Praktikum im Altenheim zu machen oder auch mal Senioren des Hauses zum Schachspielen zu besuchen.
Berufsorientierung ohne Scheuklappen ist ein wichtiges Unterrichtsprinzip der Mittelschule Veitshöchheim, so Schulleiter Otto Eisner. Neben Betriebserkundungen und mehrwöchigen Praktika in den Klassen 7 bis 10, nehmen alljährlich die Schülerinnen und Schüler der Klassen 7 und 8 geschlossen am Boys´bzw. Girls´Day teil und finden oftmals einen Wunschberuf, der bisher noch nicht auf ihrem Radar war.
Während die Schülerinnen vor allem technische und handwerkliche Berufe kennlernen können, arbeiten die Jungen in Altenheimen, Kindergärten sowie Behinderteneinrichtungen und können dabei viele Ausbildungsberufe mit Zukunft praktisch erfahren.
Dies ist allerdings laut Lehrer Bernhard Möller nur möglich durch das Engagement und die Bereitschaft der beteiligten Einrichtungen, die wie das Altenheim- und Pflegeheim St. Hedwig mit hohem personellen Aufwand für die Schüler ein Programm erarbeiten, das es den Schülern leicht macht, den Berufen und Menschen in der Einrichtung mit Offenheit zu begegnen.
Viele Senioren wiederum bringen jährlich ihre Freude darüber zum Ausdruck, dass mit den Schülern die Jugend Einzug ins Haus gehalten hat.
Exemplarisch ließen sich an den drei Stationen Altenheim St. Hedwig, Autohaus Keller und Profiroll Schuricht auch Bürgermeister Jürgen Götz und Schulleiter Otto Eisner blicken, um zu sehen, wie sich die Mittelschüler anstellen und um den Einrichtungen und Betrieben für ihre Mühe zu danken.
Am Ende der Veranstaltung erhielten alle ein Teilnahmezertifikat zur Aufnahme in den Berufswahlpass. Dieser Ordner ist in Bayern inzwischen für jeden Schüler ab der siebten Klasse verpflichtend zu führen und wird auch gerne bei Vorstellungsgesprächen von potentiellen Arbeitgebern/Ausbildern begutachtet.