Martin Schulz am künftigen EU-Mittelpunkt im Veitshöchheimer Ortsteil Gadheim - Eine europäische Lehrstunde
Der frühere Präsident des Europäischen Parlaments, SPD-Vorsitzende und SPD-Kanzlerkandidat und jetzige SPD-Bundestagsabgeordnete Martin Schulz besuchte gestern am späten Nachmittag den künftigen Mittelpunkt Europas, der nach dem angekündigten Brexit ab dem Jahr 2019 auf einem Acker in der Nähe des Veitshöchheimer Ortsteiles Gadheim liegt.
Auf dem Foto v.l.n.r. Veitshöchheims Bürgermeister Jürgen Götz, Martin Schulz, MdL Volkmar Halbleib, Andreas Halbig (Direktor Caritas Don-Bosco-Bildungswerk Würzburg) und Rudi Hepf (Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft 60Plus des SPD Unterbezirks Würzburger Land)
Schulz hielt anschließend im Ausbildungshotel des Markushofes nach dem Eintrag im Goldenen Buch der Gemeinde Veitshöchheim ein leidenschaftliches Plädoyer für die europäische Wertegemeinschaft und stand gegenüber der Presse für Interviews auch zu aktuellen Fragen zur Verfügung.
Martin Schulz besucht künftigen EU-Mittelpunkt in Gadheim
Eine europäische Lehrstunde gab der ehemalige SPD-Kanzlerkandidat bei seinem Besuch im Veitshöchheimer Ortsteil.
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Bürgermeister Jürgen Götz und Mitglieder des SPD-Ortsvereins Veitshöchheim (Foto unten) begrüßten den hohen Gast im Don-Bosco- Ausbildungshotel des Markushofes. Schulz war in die Region gekommen , um den SPD-Landtagsabgeordneten Volkmar auf seiner Wahlkampftour zu unterstützen. Wie Schulz sagte, pflege er mit diesem langjährige Kontakte aufgrund dessen Tätigkeit als langjähriger Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion. Er schätze Halbleib sehr.
Der Weg des vom Personenschutz des Bundeskriminalamtes begleiteten renommierten Politikers führte zunächst zu einem Acker zwischen Gadheim und dem Waldgebiet "Gebranntes Hölzlein", der mit Blick ins Maintal im Frühjahr 2017 überregionale Aufmerksamkeit durch die Bekanntgabe eines französischen Geographie-Instituts erregt hatte, dass hier der zukünftige EU-Mittelpunkt nach dem vollständigen Brexit liegt.
Die Gemeinde Veitshöchheim hatte schnell die Initiative ergriffen und hier eine Fläche von 1000 Quadratmeter gepachtet. Schulz konnte sehen, dass hier bereits ein Rondell durch Auszubildende und Mitarbeiter des Markushofs gepflastert wurde und diese gerade dabei waren, mit Granitsteinen einen geschwungenen Weg anzulegen. Bepflanzung, Fahnen und Sitzmöglichkeiten sollen noch folgen.
Martin Schulz, selbst bis 1998 elf Jahre Bürgermeister von Würselen, betrachtete es als große Ehre, sich anschließend im Ausbildungshotel des Markushofes im Goldenen Buch der Gemeinde Veitshöchheim verewigen zu dürfen und nun Teil des Gemeindearchivs zu sein.
SPD-Landtagsabgeordneter Volkmar Halbleib freute sich sehr, Martin Schulz hier in Gadheim im Landkreis Würzburg begrüßen zu können, damit dieser hier und anschließend auch bei einer Abendveranstaltung in Würzburg wichtige Aussagen zur Zukunft Europas macht. Halbleib sagte, er wisse es sehr zu schätzen hier von der Gemeinde und auch im Ausbildungshotel des Markushofes so freundlich empfangen zu werden. Halbleib hob hervor, welche Bedeutung Europa auch für die Kommunalpolitik durch die vielfältigen Fördermöglichkeiten sowie für die Erhaltung der Werte habe.
Bürgermeister Jürgen Götz schilderte Schulz, der erstmals zu Gast in Veitshöchheim war, die hohe Lebensqualität seiner Gemeinde im kulturellen, sportlichen und gesellschaftlichen Bereich und die zahlreichen überörtlichen Einrichtungen, dem Rokokogarten mit Schloss der Würzburger Fürstbischöfe und seit über 30 Jahren Austragungsort der Live-Sendung "Fastnacht in Franken", dem Quotenrenner des Bayerischen Fernsehens. Im Hinblick auf die vier Partnerstädte Veitshöchheims sagte Götz: "Wir sind hier schon seit Jahrzehnten europäisch unterwegs."
Das pro-europäisch und sehr humorvoll gemachte Video "BREXIT First - The Future Centre of EU" von Guni Weidner beeindruckte auch den Europpolitiker Schulz. Es diente quasi als Steilvorlage für die Rede von Martin Schulz.
Martin Schulz merkte in seinem Buch-Eintrag, wie auch zuvor in Interviews und später in seiner Rede im Markushof allerdings an, dass er es für offen halte, dass der zukünftige EU-Mittelpunkt hier in Gadheim liegt. Schulz: "Ich hoffe natürlich, dass sich der Brexit in letzter Minute doch noch abhalten lässt."
Bestärkt von der Entwicklung der letzten Tage, hält er dies zu 50:50 nicht gänzlich ausgeschlossen. Aufgrund der derzeitigen offenen Kontroversen bei den Torys seien ein Kollaps der Regierung und vorgezogene Neuwahlen durchaus denkbar und bei einem nach derzeitigen Umfragen dann wahrscheinlichen Sieg der Labour Party könnte es durchaus ein erneutes Brexit-Referendum geben.
Das stärkste Signal der letzten Wochen war diesbezüglich für den Bundestagsabgeordneten die Inititative des Londoner Bürgermeisters Sadiq Aman Khan von der Labour Party, dass es so nicht weitergehen könne. Wenn der Großraum London von der EU abgeknipst werde, sei es mit der Wirtschaftskraft des Landes vorbei.
Auf die Frage, wie ihm das Herz blute, angesichts der letzten Forsa-Umfrage, bei der die SPD von den Grünen überholt wurde, antwortete Bundespolitiker Schulz: "Die einzige entscheidende Umfrage ist am Wahltag durch die Stimmzettel. Alles andere ist dann Schall und Rauch. Die SPD kann dann durchaus wieder vor den Grünen liegen." Dies ändere aber nichts an der Tatsache der gegenwärtigen Verschiebungen im Parteiensystem und dass der Wettbewerb um die Wählergunst komplizierter geworden sei. Die SPD müsse wieder um Vertrauen kämpfen nach dem Ja zur Großen Koalition in Berlin. Das hierbei durchgesetzte Regierungsprogramm sei stark von seiner Partei geprägt worden. Aber seit sechs Monaten würde das Land CSU-/CDU-Festspiele und das Schauspiel "Wer hasst wen am meisten" erleben. Diese lähme die Regierungsarbeit und darunter leide auch die SPD. Schulz hofft, dass nach der Landtagswahl in Bayern wieder zur Sacharbeit und zu konkreten Problemlösungen für die Menschen gekommen werde.
Zur AFD sagte Schulz, dass deren Umfragewerte ein Warnsignal für die Demokratie seien. Man müsse sich aber davor hüten, die Wähler der AFD pauschal zu bewerten. Aber dies tue er sehr wohl für die Führung, Funktionärs-Kaste, die Abgeordneten dieser Partei, die extrem nach rechts driften würden. Was Leute wie dieser Herr Gauland im Bundestag von sich geben, in einem Gebäude, das den Namen Reichstag trage, habe es diese Töne schon einmal gegeben. Hier gelte für alle demokratischen Parteien: "Wehret den Anfängen." Schulz: "Diese Leute verbreiten einen Hass und eine Spaltung in unserer Gesellschaft, die unserer Demokratie Schaden zufügt."
Beeindruckt zeigte sich Schulz im Interview vom Engagement junger Winzer des Fränkischen Weinlandes in den letzten Jahren, die die alte Tradition bewahren, aber innovativ auf Qualitätssteigerungen in der Weinwirtschaft setzen würden.
Die 30 Anwesenden hörten dann im Saal des Ausbildungshotels eine brillante Lehrstunde des EU-Parlamentspräsidenten a.D. in freier Rede über die europäischen Werte, dass "Einigkeit stark macht und Zwietracht schwächt".
Die Leute müssten begreifen, so Schulz, dass es nirgendwo auf der Welt eine Gemeinschaft von 28 Demokratien gebe, die die individuelle Menschenwürde in den Mittelpunkt ihres gemeinsamen wirtschaftlichen, ökologischen, politischen, kulturellen, sozialen und internationalen Handelns gestellt habe. Ein herausragender Erfolg Deutschlands sei es, dass in der Grundrechte-Charta der Europäischen Union, die Teil der von allen ratifizierten EU-Verträge ist, wortgleich der Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes "Die Würde des Menschen ist unantastbar" aufgenommen wurde.
In Ungarn und Polen sei dies derzeit auf der Kippe, so dass die Europäische Kommission in Brüssel gegen diese Länder Verfahren eingeleitet habe.
Schulz verdeutlichte, dass nach den beiden Kriegskatastrophen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit 62 Millionen Toten in seinem bisherigen 62jährigem Leben für die mit ihm aufwachsene Generation es immer nur ein Mehr an Rechten, Freiheit und Freizügigkeit, Einkommen, Bildungs- und Aufstiegschancen, mehr garantierte soziale Sicherheit und mehr Frieden gegeben habe. Deshalb sei es immament wichtig, diese Werte in einem Zeitalter zu verteidigen, in dem diese in Frage gestellt werden, etwa durch China oder einem USA-Präsdenten, der diese laufend in seinen Twitternachrichten negiere und seine politischen Gegner herabwürdige, wie man dies bislang nie gekannt hat. Dies sei eine totalitäre Politik und eine Ideologie im Weißen Haus nach dem Motto "Wer nicht für mich ist, ist gegen mich und muss vernichtet werden mit den Mitteln der modernen Kommunikationstechnik."
Als weitere Negativ-Beispiele nannte Schulz die inliberale Demokratie von Viktor Orban oder die gelenkte Demokratie von Wladimir Putin, die darin bestehe, dass die Regierung das Internet abschalte, wenn die Inhalte nicht passen. Schulz: "Wir leben in einer Zeit, wo ein türkischer Staatspräsident offen die Freiheit der Religion, der Meinung und der Presse in Frage stellt und wo bei uns eine Partei über 15 Prozent erreicht, die genau dasselbe tut."
Das Zitat "Dem Sieg des Bösen reicht es, dass die Guten nichts tun" des im 18. Jh. lebenden britschen Staatsphilosophen Edmund Burke vor Augen, stellte Schulz fest, dass die Zeit, dass die Guten nichts tun, definitiv vorbei sei.
Es gehe deshalb längst nicht nur um die Frage "ob Europa?", sondern "welches Europa und wie und wofür?"
Der Politiker bezeichnete alle als Brandstifter, die erzählen, dass in einer Zeit der Globalisierung, wo wir durch die Internetkommunikation jeden Tag ein kleines Stück mehr zusammenrücken, die Re-Nationalisierung und die Hochziehung von Grenzen die Lösung der Probleme sei. Wer dies vorhabe, der ziehe nicht nur physische Grenzen, sondern gleichzeitig auch die kulturellen, sprachlichen und sozialen Grenzen hoch und verspiele so die Zukunftschancen der nächsten Generation.
Schulz: "Die Zielbestimmung einer jeden handelnden politischen Generation darf nicht die Absicherung des eigenen Lebens sein, sondern das der nächsten Generation." Deshalb müsse sich ein jeder die Frage stellen, was ist denn für unsere nächste Generation von Bedeutung? In einer technologischen Zukunft, in der Globalisierung die Entscheidung ist, gehe es nicht darum, diese zu stoppen, was auch nicht möglich sei, sondern sie zu managen, zu meistern und über die Kraft Europas dazu den Beitrag zu leisten, dass sie sich orientiert an ökologischen, sozialen und individuellen Grundrechten. Dies bekommt laut Schulz kein Land allein durchgesetzt. Deutschland sei mit 82 Millionen Einwohnern in den Augen von China mit 1,4 Milliarden Einwohnern eine gehobene Provinz. Zusammen mit Indien mit 1,1 Milliarden Einwohnern würden die beiden Nachbarländer ein Drittel der Erdbevölkerung stellen.
Deshalb glaubt Schulz, dass es nicht darum geht, ob eine Verordnung aus Brüssel einem auf den Keks geht, sondern darum, in welcher Zukunft wir leben wollen. Es gehe gegenüber dem Bürger nicht um Isolationismus oder Multi-Lateralismus, sondern um die einfache Frage, ob wir die Schotten dicht machen und sagen "Mein Land zuerst" oder die Lösung in der Kooperation von Staaten und Völkern über Grenzen hinweg in der gemeinschaftlichen Stärke liege. Schulz appellierte an seine Genossen: "Dies ist das Europa, wofür wir kämpfen müssen."
Andreas Halbig (Direktor der Caritas Don-Bosco-Bildungswerk Würzburg) nutzte die Gelegenheit, dem Bundespolitiker als Sprachrohr seine Einrichtung kurz vorzustellen, die sich um junge Menschen kümmert, die mit Handicaps auf die Welt gekommen sind, Startprobleme haben und aufgrund gesellschaftlicher Entwicklungen, schwieriger Familienverhältnisse es schwer haben, für den Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen. Anliegen seines Bildungswerkes sei es, auch Menschen mit Autismus eine Chance zu eröffnen. 60 Prozent der Absolventen seines BBW könnten so in den Arbeitsmarkt integriert werden.
Schulz wiederum verwies auf die Aktion "Sorgenkind" (heute "Aktion Mensch"), die ins Leben gerufen wurde, als er gerade eingeschult wurde. Erwachsene Behinderte habe es damals nicht gegeben, da diese als "lebensunwertes Leben" im Rahmen von Euthanasieprogrammen von den Nazis ausgerotten waren.
Menschen in der Einrichtung des BBW, so Schulz wären vielleicht vor 70 Jahren davon betroffen gewesen. Deshalb sei er immer wieder betroffen von der hier in Vollzug des Artikel 1 des Grundgesetztes geleisteten Arbeit für Menschen, die es schwer haben, im Leben klar zu kommen, aber dennoch in einer Gesellschaft der gleichberechtigten Menschen, einen Anspruch darauf haben, den gleichen Zugang zur Gesellschaft zu finden, wie wir auch. Schulz: "Die Qualität einer Gesellschaft misst sich immer daran, wie sie mit ihren Schwächsten umgeht."
Zum Abschied gab es für Schulz vom Bürgermeister ein kleines Präsent und für die Genossinnen vom Ortsverein ein Foto (unten) zur Erinnerung an den Besuch des berühmten SPD-Mannes, der wie er sagte, vorher Veitshöchheim weder vom Karneval noch vom künftigen EU-Mittelpunkt in Gadheim kannte, sondern einfach nur über die Geschichte der Fürstbischöfe von Würzburg.
Für den eventuellen Fall eines Nicht-Brexits werde laut Bürgermeister die jetzt als EU-Mittelpunkt ausgebaute Fläche als Naherholungspunkt genutzt.