Reisebus aus der tschechischen Partnerstadt Rotava (Rothau) besuchte Veitshöchheim mit Dr. Petr Rojík und neuem Bürgermeister
Über Besuch aus der tschechischen Partnerstadt Rotava (Rothau) konnten sich heute Veitshöchheims Bürgermeister Jürgen Götz(re.), Altbürgermeister Rainer Kinzkofer (li.) und der SL-Ortsobmann Karl Nausch (2.v.l.) freuen. Unter den 60 Gästen des Bus-Ausflugs der Zweigstelle Graslitz des Deutschen Kulturverbands nach Veitshöchheim konnten sie auch Rotavas neuen Bürgermeister Ing. Miroslav Šůs (Bildmitte) und mit dem perfekt deutsch sprechenden tschechischen Geologen Dr. Peter Rojk (2.v.r.) einen Altbekannten mit deutschen Wurzeln begrüßen - Foto Dieter Gürz
Nach dem Empfang im Rathaus stand für die tschechischen Gäste mit dem lebenslustigen Rothauer Pfarrer Peter Fořt in ihren Reihen, eine Hofgartenführung auf dem Programm - Foto Jan Speth
Das Mittagessen nahmen die Gäste im Restaurant Sonnenschein ein, wo es dann gleich danach mit dem Schiff nach Würzburg ging, wo eine Stadtbesichtigung mit Landsmann Winfried Gerber auf dem Programm stand - Foto: Dieter Gürz
Fast drei Jahre herrschte ziemliche Funkstille in der Partnerschaft zwischen Veitshöchheim und der tschechischen Stadt Rotava (Rothau). Eine letzte offizielle Begegnung gab es im September 2015, als eine Veitshöchheimer Abordnung zur 50-Jahrfeier zur Stadterhebung von Rotava (Rothau) dort weilte. Dies soll nun wieder anders und die Partnerschaft wieder intensiviert werden, wenn es nach dem Willen der Bürgermeister beider Orte beim Empfang im Rathaus am Dienstagmorgen geht.
Miroslav Šůs ist bereits der vierte Bürgermeister von Rotava, seit im Oktober 2006 Rainer Kinzkofer und sein tschechischer Kollege Jiří Holan den Vertrag über eine Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen beiden Kommunen in feierlichem Rahmen unterzeichnet hatten. Kurz darauf hieß Rotavas Chef Jan Sliva und seit September 2011 hatte Iva Kalátová in Rotava sagen, bis sie dann im März dieses Jahres durch Stadtratsbeschluss abgesetzt und Šůs als Nachfolger bestimmt wurde. Anders als in Deutschland wird im Nachbarland der Bürgermeister nicht vom Volk, sondern vom Kommunalparlament gewählt, kann er, wenn er der Mehrheit des Rates nicht mehr in den Kram passt, abgesetzt werden.
Ob Šůs noch länger Bürgermeister von Rotava ist, hängt vom Ergebnis der Kommunalwahlen im Oktober dieses Jahres ab. Veitshöchheims Bürgermeister hofft, nach der Wahl bei einem Treffen von Vertretern beider Seiten in kleiner Runde mögliche Projekte wie einen Jugend- oder Schulaustausch in die Wege leiten zu können. Von Nachteil ist, dass es in Rotava zur Zeit keinen offiziellen Partnerschaftsbeautragten gibt.
Die Initiative zum Abschluss der Partnerschaft war vor 14 Jahren von Karl Nausch, dem Ortsobmann der Sudetendeutschen Landsmannschaft ausgegangen. Der inzwischen 84jährige ist ein gebürtiger Rothauer, der als Zwölfjähriger mit seinen Eltern und drei Geschwistern von den Tschechen aus seinem Heimatort vertrieben wurde und im Mai 1946 nach Würzburg kam, ehe dann 1950 Veitshöchheim zur zweiten Heimat wurde, ebenso wie für weitere 1100 Vertriebene aus dem Sudetenland. Nausch hatte im Jahr 2004 mit sudetendeutschen Landsleuten und gebürtigen Rothauern und dem damaligen Bürgermeister Rainer Kinzkofer eine Busreise in seinen Geburtsort organisiert, um dort eine Gedenktafel zur Erinnerung an den zerstörten und nicht mehr existierenden Friedhof aufzustellen. Dabei entstand auch die Idee einer Partnerschaft.
Auf Rothauer Seite fand er in dem damaligen Stadtratsmitglied Dr. Petr Rojík einen eifrigen Verfechter dieser Idee. Kein Wunder, war doch dessen inzwischen verstorbene Mutter eine Deutsche, die nach dem Krieg in Rothau blieb. Rojík war dann im Oktober 2005 mit seinen beiden Bürgermeistern und der Finanzreferentin zur ersten Kontaktaufnahme nach Veitshöchheim gekommen. Er bezeichnet sich gleichermaßen zur deutschen Minderheit als auch zur tschechischen Mehrheit im Nachbarland zu gehören (siehe Interview weiter unten).
Die Vertragsunterzeichnung
Im Mai 2006 kam Kinzkofer seinem Bestreben, aufgrund der EU-Osterweiterung nach den damals schon seit weit über einem Jahrzehnt bestehenden Partnerschaften mit Greve in Chianti (Italien), Pont-l`Evêque (Frankreich) und Geithain (Sachsen) nun auch eine Partnerschaft mit dem tschechischen Städtchen Rotava einzugehen, ein großes Stück näher.
Nach Billigung der Partnerschaft durch den Gemeinderat im Juni 2006 war dann am 12. Oktober 2006 die Partnerschaft durch die Unterzeichnung der Urkunde im Veitshöchheimer Rathaus durch Kinzkofer und Holan unter Dach und Fach.
Die "Partnerschaft mit Leben erfüllen" hieß die damals noch euphorische Devise bei der Vertragsunterzeichnung.
Laut Urkunde wollten sich die beiden Orte um die Verwirklichung des vereinigten Europas im Kleinen bemühen, vor allem um die Entwicklung der kulturellen, wirtschaftlichen, touristischen, sportlichen, humanitären, religiösen und anderen ethischen Beziehungen und um das Kennenlernen der Verwaltung und der Regionen. Weiterhin stimmen im Vertrag beide Gemeinden überein, dass die gemeinsame Geschichte offen auch unter Beteiligung der ehemaligen Bürger der Gemeinde Rothau (Rotava) aufgearbeitet werden soll, um eine gute und dauerhafte Partnerschaft im Geist der Vereinbarung herzustellen. Veitshöchheim folgte damit dem Beispiel des Landkreises Würzburg, der bereits seit einigen Jahren davor Beziehungen zur tschechischen Region Olomouc (Olmütz) pflegt.
Zur Feier der Vertragsunterzeichnung hatte Kinzkofer auch die Vertreter örtlicher Einrichtungen und Vereine eingeladen, die dafür in Frage kommen, die Partnerschaft mit Leben zu erfüllen wie Sudetendeutsche Landsmannschaft, VCC, TSG, Sportschützen, Turngemeinde, Sportverein, Jugendbahnhof, Frauenbund, Kolpingsfamilie, Männergesangverein, Musikverein, AK Senioren, Feuerwehr, Musikschule, Bücherei, beide Pfarrer und die Leiter der Volksschule.
Die achtköpfige tschechische Delegation konnte damals beim gemütlichen Treffen im Bacchuskeller schon zahlreiche Kontakte knüpfen und gemeinsame Aktionen besprechen. So überreichte die JUZ-Leiterin eine Einladung an Jugendliche in Rotava, im nächsten Jahr an der Veitshöchheimer Jugendfreizeit teilzunehmen. Rotavas Volksschul-Direktorin Dana Fialová und der hiesige Hauptschulrektor Sigi Hofmann vereinbarten, Klassenfahrten zu organisieren. Václav Zronek, der den Sportclub T.J. Rotas mit dessen Abteilungen Fußball, Tennis, Gewichtheben und Aerobik vertrat, freundete sich im Bacchuskeller schnell mit den Vorsitzenden der TGV Hans-Jürgen Schmid und des SVV Wolfgang Hermann an. Rotavas Stadtratsmitglied Dr. Petr Rojík knüpfte kirchliche Kontakte zu Pfarrer Robert Borawski und Alex Pokorni zur Freiwilligen Feuerwehr.
Kulturzentrums-Direktorin Jiřina Krečová und Info-Serviceleiterin Eva Štouračová freuten sich besonders über die Aktivitäten von Elisabeth Birkhold und Dr. Martina Edelmann, die anlässlich der Vertragsunterzeichnung bereits eine tschechische Woche in der Bücherei im Bahnhof organisierten, um über Land und Leute in Tschechien zu informieren.
Doch im Laufe der Zeit verliefen fast alle diese Bemühungen im Sand.
Beim Mittagessen im Sonnenschein bestand Gelegenheit für ein Gespräch mit Dr. Petr Rojík, dessen Schwester Sonja Šimáková den Bus-Ausflug organisiert hatte.
Mit seiner besonderen Begabung nicht nur als grandioser geologischer Wissenschaftler, sondern auch als profunder Geschichts- und Kultur- und Heimatkenner sowie als Geschichtenerzähler, Dolmetscher und Orgelspieler, der auch noch über einen großen Humor verfügt, begeisterte Frohnatur Petr Rojík häufig Begegnungen seit der Vertragsunterzeichnung. Rojík arbeitet als Geologe und Rohstoffexperte im Braunkohlerevier von Sokolov und unterrichtet als Externist an der Prager Karls-Universität. Außerdem ist er stellvertretender Vorsitzender des „Kulturverbandes der Bürger deutscher Nationalität in Tschechien“, der einen Teil der deutschen Minderheit im Lande vertritt.
Er glänzt nicht durch sein fachliches Wissen und seine Leidenschaft für seine Heimat, sondern brachte auch Missstände jetzt und in der Vergangenheit tabulos zur Sprache.
Der 1969 gegründete Deutsche Kulturverband (DKV) mit Sitz in Prag zählt in Tschechien rund 1.000 Mitglieder. Der von Šimáková geleiteteten Zweigstelle Graslitz gehören 150 Mitglieder an, davon sind 60 aus Rotava. Der DKV vertritt laut Rojík neben der 1989 nach der Wende gegründeten Landesversammlung, einem Dachverband von Splitterorganisationen, die deutsche Minderheit in Tschechien, zur der bei der letzten Volkszählung 2011 rund 18.000 Menschen gehörten. Bis zum Jahr 2000, so Rojík, waren die deutschen Einwohner in Tschechien nicht gut angesehen. Seitdem und da auch die Erlebnisgeneration immer weniger werde, sei die Stimmung toleranter geworden, habe man eingesehen, dass die Deutschen keine "Menschenfresser" sind. Positiv ausgewirkt habe sich auch der offizielle Verzicht der Sudetendeutschen Landsmannschaft auf materielle Ansprüche wegen des Verlusts der Heimat.
Der Deutsche Kulturverein in Graslitz führt laut Rojík an die 30 Veranstaltungen im Jahr durch, so im Rahmen der deutschen und tschechischen Geschichte Ausflüge, Natur-Wanderungen, Besichtigung von Kulturdenkmälern über Konzerte mit Opera-, Volks- und moderner Musik bis hin zum Muttertags- und Herbstfest sowie der Nacht der Kirchen als Höhepunkte des Jahres. Der Verein besuchte so auch den Sudetendeutschen Tag in Augsburg oder unternahm nun die Fahrt nach Veitshöchheim. Zum Kulturverein kam auch schon das tschechische Fernsehen, um das Leben der deutschen Minderheit in Tschechien zu filmen.
Interessant ist in diesem Zusammenhang das Interview mit Petr Rojík in der Prager Zeitung vom 22.12.2016 das von seiner humorvollen Art zeugt (hier ein Auszug des Interviews von Corinna Anton):
Wie definieren Sie die deutsche Minderheit in Tschechien?
Ich würde sie durch die deutsche Sprache und ihre Dialekte, Kultur und Traditionen definieren. Sie ist in der Tschechischen Republik verstreut und kann sich nur inselartig, meistens in den Großstädten und in den Grenzgebieten, organisieren. Historisch sind diese Inseln nur dort geblieben, wo es nach dem Prager Frühling Ortsgruppen des Kulturverbandes gab.
Was heißt es für Sie persönlich, zur deutschen Minderheit in Tschechien zu gehören?
Das ist für mich eine Selbstverständlichkeit, ohne emotionalen Beigeschmack. Unter anderen Umständen hätte ich ja zum Beispiel auch als Pinguin, Tannenbaum, Alge oder Pilz auf die Welt kommen können. Aber ebenso gehöre ich auch zur tschechischen Mehrheit, denn ich stamme aus einer Mischehe. Diesen Mix betrachte ich als einen Vorteil. Menschen wie ich sind mehr als die Politiker in der Lage, das Verhältnis der Nationalitäten ohne ideologische Vorurteile zu bewerten. Auch mein Jahrgang 1957 ist ein Vorteil, denn ich kann das Leben vor und nach der Wende ohne ideologischen Ballast relativ objektiv vergleichen. Ich bin überzeugt, ein ehrlicher und engagierter Mensch bleibt es auch im schlechtesten politischen Regime und ein charakterloser Gauner bleibt so auch in den besten politischen Umständen. Charakter und Menschlichkeit sind mehr wert als die Zugehörigkeit zu einer Nationalität.
Warum ist es Ihrer Meinung nach wichtig, dass die Minderheit ihre Identität bewahrt?
Sie hat generell auch den Tschechen viel anzubieten: das Wissen über die Wurzeln der Regionen und Familien, die Bereicherung und Vielseitigkeit der Kultur, der Industrie, des Bergbaus, der Gewerbe, und auch das Lernen gegenseitiger Toleranz.
Welche Rolle spielt dabei die „organisierte Minderheit“, etwa in Form des Kulturverbandes und der Landesversammlung?
Eine wesentliche Rolle, aber ich würde sie nicht übertreiben. Auch viele junge Tschechen, Studenten in den Universitäten, Forscher, Akademiker, Museen, Galerien, tschechische Vereine und private Personen spielen dieselbe Rolle, führen nützliche Projekte durch und reichen der deutschen Minderheit die Hand. Ich sehe die Zukunft der deutschen Verbände in der Zeit des Internets auch in der Verbindung mit den jüngeren tschechischen Organisationen.
INFO über Rotava
Der vor 1945 noch Rothau genannte und damals überwiegend von Deutschen besiedelte Ort liegt im Grenzgebiet nahe dem sächsischen Klingenthal am Südhang des Erzgebirges. Infolge der Umsetzung der Benes-Dekrete, die Enteignung und Vertreibung derjenigen Deutschen anordneten, die sich nicht nachweislich gegen die Besetzung der Tschechoslowakei durch die Nationalsozialisten ausgesprochen hatten, wurden viele alte Wohnhäuser abgerissen. An ihrer Stelle entstand eine sehr dominante Plattenbausiedlung, in der heute der überwiegende Teil der Einwohner lebt. Andere Grundstücke wurden renaturiert. Heute fehlt ein historischer alter Ortskern.
Nach dem 2. Weltkrieg und der Vertreibung der deutschen Bevölkerung war der Ort ziemlich entvölkert. Das änderte sich erst, als 1957 eine Maschinenfabrik und eine Gießerei ihre Arbeit wieder aufnahmen. Arbeitskräfte aus ganz Tschechien kamen nach Rotava. 1965 wurde Rotava Stadt und zählte ca. 4200 Einwohner. Nach der Wende 1989 veränderte sich die Situation. Betriebe lösten sich auf, und die Einwohnerzahl ging zurück. Die Stadt, die ca. 3.500 Einwohner zählt, ist nur 264 Kilometer von Veitshöchheim entfernt.
Die Stadt Rotava beherbergt heute alle wichtigen gesellschaftlichen Einrichtungen wie Kindergarten, Schulen, Krankenhaus, Polizei, Kulturzentrum, Bibliothek oder Seniorenheim. Für auswärtige Gäste stehen einfachere Unterkünfte zur Verfügung.
Bei der Vorstellung ihres Städtchens preisen die Tschechen die prachtvolle, bunte und fast unberührte Natur, die ihren auf einer Seehöhe von 472 bis 817 Meter gelegenen Ort auszeichnet und hervorragende Bedingungen zum Wandern, Radfahren und im Winter zum Skifahren und Langlauf bietet.
In nächster Nähe liegen im historischen Egerland die bekannten Kurstädte Karlsbad mit der 1736 von Kilian Ignaz Dientzenhofer als größter architektonischer Sehenswürdigkeit erbauten Kirche der Maria Magdalena und das 1793 vom Kaiser Franz I. gegründete Franzensbad sowie auch die imposante Altstadt von Cheb (Eger), dem Geburtsort des Baumeisters Balthasar Neumann, der auch das Veitshöchheimer Schloss erweitert hatte. Fahrten in die Partnerstadt sind deshalb auch für Vereinsausflüge höchst interessant.
Dokumentation im Veitshöchheimer Rathaus
Die SL-Ortsgruppe präsentiert in der im ersten Rathausgeschoss als Dauerausstellung untergebrachten Dokumentationsecke Erinnerungsstücke aus der alten Heimat wie Porzellan aus Pirkenhammer, Klöppel- und Spitzenwaren aus dem Erzgebirge, Bilder über die Hopfenernte, Arbeitsbücher oder Flüchtlingsausweise und Armbinden. Auf Tafeln wird an die deutschen Namen der wichtigsten Städte Böhmen und Mährens erinnert, Bilddokumente offenbaren das Leid der Unterdrückung und Vertreibung. Landschaftsbeschreibungen lassen erahnen, wie schön die alte Heimat war und in einer Vitrine wird altes Brauchtum unter anderem auch durch ausgestellte Trachtenpuppen lebendig.
Quellen: Archiv von Dieter Gürz