IM WESTEN RIECHT ALLES ANDERS - In Veitshöchheim ansässige Emma Barbara Friese berichtet in ihrer Buchneuerscheinung über ihr Leben in der DDR und über ihre Flucht 1978 im Diplomatenauto
Im Reimo-Verlag (www.reitmajer-verlag.de) gibt es 2020 mit dem Roman "Im Westen riecht alles anders" der Veitshöchheimer Bürgerin Emma B. Friese eine äußerst interessante Neuerscheinung (ISBN-Nr. 978-3-942867-63-4).
Die seit vier Jahren in Veitshöchheim wohnhafte 80-jährige Autorin hat als ehemalige Bürgerin der DDR, in der sie knapp die Hälfte ihres Lebens verbrachte, ein Buch geschrieben, das einen sehr guten Einblick in das Leben in der früheren DDR vermittelt. Es war ein ereignisreiches Leben mit glücklicher Jugend vor dem Mauerbau auf der Ostseite. Das Buch macht nachvollziehbar, dass viele DDR-Bürger unter abenteuerlichen Umständen geflüchtet sind. So auch die Autorin, die als Lehrerin an einer POS (zehnklassige allgemeinbildende polytechnische Oberschule) wirkte und 1978 aus politischen Gründen mit ihrer Familie im Kofferraum eines Diplomatenfahrzeugs von Ost- nach West- Berlin flüchtete.
Die Neuerscheinung ist auch für die Gemeinde Veitshöchheim interessant angesichts der Tatsache, dass die für dieses Jahr geplanten Feierlichkeiten zum 30jährigen Jubiläum der Partnerschaft mit der sächsischen Stadt Geithain Corona-bedingt abgesagt werden mussten.
Friese: "Heutzutage ist das Ost-West-Denken fest verkrustet und es wird von den Jüngeren oft nicht verstanden, dass die Teilung Deutschlands ein schrecklicher Einschnitt für viele Familien bedeutete." Für viele sei heute nicht mehr vorstellbar, dass man durch eine Mauer „eingesperrt“ wurde.
Ihre Erlebnisse hat die Autorin in Romanform zusammengefasst, sich im Buch Franziska nennend. Es ist eine erweiterte Neuauflage eines vor zehn Jahren verlegten, ausverkauften Buches. Es nimmt den Leser in klarer undramatischer Weise mit in eine Geschichte, die unglaublich spannend ist und erklärt die Umstände, die eine Familie mit zwei Kindern dazu bringt, ihre Eltern, Geschwister, ihr Haus, ihren Hund, einfach alles ohne ein Wort des Abschieds zu verlassen. Dabei ist das Risiko verhaftet zu werden und die eigenen Kinder nie wieder zu sehen, riesig.
Das Leben in der DDR
Kurz nach Beginn des Zweiten Weltkrieges 1940 geboren, wächst Franziska in den Anfangsjahren der DDR in der kleinen märkischen, zwischen Potsdam und Berlin gelegenen Stadt Neuruppin, auf. Sie zieht mit einer Clique Jugendlicher umher. Sie benehmen sich aufmüpfig, veranstalten illegale Motorradrennen, machen Geschäfte mit Russen und kleiden sich nach westlicher Mode.
Schon bald wird die Stasi auf das Treiben der Jugendlichen aufmerksam. Als der erste von ihnen verhaftet wird, begreifen sie den Ernst der Lage. Die Clique löst sich auf.
Als junge Lehrerin muss Franziska dann erleben, wie ihre beste Freundin und Kollegin, die seit längerem die Flucht aus der DDR geplant hatte, verraten wird. Auch Franziska wird daraufhin verhört und erkennt entsetzt in einem der Stasi-Vernehmungsoffiziere ihren Jugendfreund wieder. In den 60er-Jahren heiratet Franziska und bekommt zwei Kinder. Wolfhard, ihr Mann, von Beruf Psychologe, wird von der Stasi bedrängt, für das MfS zu arbeiten. Da er sich weigert, werden sie von da an schikaniert, beschattet und ihr Haus verwanzt.
Auch Franziskas Bruder ist im Gefängnis psychischen Folterungen ausgesetzt. Da sich die Situation immer mehr zuspitzt und sie mit ihrer baldigen Verhaftung rechnen müssen, bleibt ihnen keine andere Möglichkeit, als den Versuch zu wagen, die DDR auf illegalem Wege zu verlassen, zu einer Zeit, als nur zwei Prozent aller Fluchtversuche erfolgreich endeten.
Die Flucht
Die von einem befreundeten, in Westberlin sesshaften Arzt mit Kontakten nach Ostberlin eingefädelte Flucht mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in den 70er Jahren war gut organisiert worden und hatte mit einer Schuldenlast von 90.000 Westmark ihren Preis.
Vom Flughafen Schönefeld aus wurde die Familie mit einem Mercedes mit Westberliner Kennzeichen in zwei Touren zum Fluchtauto gebracht, das einen Sonderstatus als Diplomatenfahrzeug hatte und deshalb nicht ohne weiteres geöffnet werden konnte. Im Kofferraum fuhren zunächst Vater und Tochter und vier Stunden später dann Mutter und Sohn zum Grenzübergang Checkpoint Charlie und dann über die Grenze, ohne dass die Familie die beiden Chauffeure zu Gesicht bekam.
"Es riecht wieder nach Westen" sagte Franziska, als ihre Familie wieder geeint über den Kudamm spazierte, den sie seit dem Mauerbau 17 Jahre zuvor nicht mehr gesehen hatte. Zur gleichen Zeit fuhren bei ihrem Haus in Neuruppin zwei Wagen der Staatssicherheit vor, um sie zu verhaften.
Franziskas Mann ließ die Tochter nach der gelungenen Flucht zu einem befreundeten früheren Kollegen nach Köln ausfliegen, um zu verhindern, dass die Stasi sie aus der Wohnung entführte, die der befreundete Arzt der Familie in Westberlin besorgt hatte. Nach zwei Monaten Aufenthalt in Westberlin hatte Franziskas Ehemann dann alle Papiere zusammen und sie konnten Berlin auf dem Luftweg verlassen. In Würzburg fanden sie eine neue Heimat.