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Neujahrsempfang im Veitshöchheimer BFW: Es geht wieder aufwärts - das Haus ist mit 220 Rehabilitanden vollbelegt - es wird viel investiert

Veröffentlicht am von Dieter Gürz

Über die Aufwärtsentwicklung der Bildungseinrichtung für Blinde und Sehbehinderte freuen sich beim traditionellen Neujahrsempfang des Berufsförderungswerks Würzburg (BFW) in Veitshöchheim v.l.n.r. vorne stellvertretende Landrätin Christine Haupt-Kreutzer, die blinden Integrationskurs-Teilnehmer Ahamd Msalam und Yasser Alhussain (Kurzbeiträge) und die BFW-Aufsichtsratsvorsitzende und Vorsitzende des Bayerischen Blindenbundes Judith Faltl, hinten stv. Landrat Ernst Joßberger, Landrat Eberhard Nuß, BFW-Geschäftsführer Karsten Hohler, stv. Ländrätin Karen Heußner, Bezirksrätin Christina Feiler, Bürgermeister Jürgen Götz und der Würzburger Bürgermeister Dr. Adolf Bauer.

"Einschneidende Zäsur nach Geschäftsführerwechsel beim in Veitshöchheim ansässigen Berufsförderungswerk Würzburg (BFW)", so lautete vor zwei Jahren beim Neujahrsempfang der Bildungseinrichtung für Blinde und Sehbehinderte die Schlagzeile hier auf Veitshöchheim News,  nach dem kurz zuvor der seit 1980 in Veitshöchheim beheimatete "Dampfer" des  BFW  in heftige Stürme geraten war.

Nach zwei Monaten im Amt, hatte damals der neue Geschäftsführer Karsten Hohler geäußert, dass die Zukunft der Einrichtung nicht sehr rosig sei, wenn man so wie bisher weiter macht.

Zwei Jahre später hatte Hohler nun beim heutigen Neujahrsempfang wieder allen Grund zu frohlocken. Er konnte verkünden, dass wieder Ruhe im BFW eingekehrt ist.

Das Dampferbild vom BFW, so Hohler, könne nun getrost beerdigt werden, denn die Einrichtung habe sich aus eigener Kraft freigeschwommen, mit ihren 100 Mitarbeitern, die sich die Zukunft sehend eingesetzt haben und mit Partnern und Kostenträgern, die ihre Zukunft mit dem BFW sehen und mit blinden und sehbehinderten Menschen, die ihre Zukunft mit dem BFW verknüpfen.

Vor 60 Gästen, darunter Betriebsräte, Teilnehmervertreter, Gesellschafter, Vertreter aus Politik und Partnern des BFW berichtete der Geschäftsführer, dass die Belegung mit aktuell 220 Rehabilitanden, einen Riesenerfolg darstelle. Auch sei die Hochrechnung für 2019 positiv, dass was überbleibt, obwohl fast eine Million Euro in die Einrichtung investiert wurde. So hat das BFW ein Blockheizkraftwerk bekommen, wurden die Aufzüge saniert, werde gerade der Pausenhof saniert, bekomme man neue Zimmer.

Weiter wurden in den EDV-basierten Betrieb, in dem jeder der Rehabilitand einen PC hat, bereits zweimal bis zu 70 Arbeitsplätze ausgetauscht und Kabelverbindungen gelegt. Das BFW gebe allein 180.000 Euro für Lizenzen aus, die mit der Blindheit und mit der Sehbehinderung zu tun haben.

Im Plan seien nun 2,2 Mio. Euro für weitere Investitionen eingestellt. Es gehe aber nicht nur technisch, sondern auch konzeptionell und strukturell weiter. Im Februar läuft laut Hohler das modellhafte Drei-Millionen-Euro-Projekt zur Integration langzeitarbeitsloser Blinder und Sehbehinderter ins Arbeitsleben und damit auch die Förderung aus. Nun mache es das BFW weiter mit eigenen Mitteln.

Mit der IHK werde das BFW über die Ausweitung des E-Learning reden, eine Trainerakademie einrichten, Peer-Coaching weiterentwickeln, und so in der Fläche in Süddeutschland in den kleineren Ballungszentren immer jemand haben, der beim BFW beschäftigt ist als Mini-Jobber neben seinem anderen Job und bereit ist, Menschen zu beraten, zu begleiten und mit dem Case-Manager zu koordinieren. Hohler: "So werden wir versuchen, die Menschen, die bisher den Weg nicht zu uns gefunden haben, den Weg in die berufliche Reha zu ermöglichen." Dieses Projekt könne  nun nach der im November eingegangenen Zustimmung der Kostenträger gestartet werden.

Zur Produktentwicklung von "Smart Info", einem Orientierungssystem des BFW nicht nur  für Blinde und Sehbehinderte, führte der Geschäftsführer aus, dass das BFW nun ein Franchise in der Schweiz habe, damit in Mannheim einen Neubau ausstatte und auch das Don Bosco Berufsbildungswerk Würzburg es für Übungszwecke seiner autistischen Azubis nutze .

Das BFW hat Zuspruch aus der ganzen BRD von durchschnittlich 35 bis 40 Menschen mit Flucht- und  Migrationshintergrund in der Einrichtung, die blind oder sehbehindert sind und die bislang niemand auf dem Schirm hatte. Sie machen hier einen Sprachkurs bis B2 und erste Teilnehmer sind nun in der Grundreha. Zwei von ihnen berichteten dann im Anschluss vor dem vegetarischen Buffet, woher sie kommen, wie es ihnen auf der Flucht und seither hier in Deutschland ergangen ist und was sie bewegt und dass sie nun eine Zukunft haben.

Die BFW-Aufsichtsratsvorsitzende Judith Faltl, zugleich Vorsitzende des Bayerischen Blindenbundes berichtete, dass das letzte Jahr stark geprägt war vom Sanieren, Herrichten, Aufräumen, vom wieder voll funktionsfähig und schön machen.

Faltl: "Wir haben erkannt, wir müssen stärker in die Regionen gehen." Denn viele könnten oder wollten nicht mehr wie früher hier an den Standort kommen. Hier seien im letzten Jahr schon die ersten Schritte unternommen worden. Mittlerweile gebe es schon ein Beratungsangebot  in Frankfurt, der Standort München werde stärker ausgebaut und es würden auch weitere Standorte geprüft.

Mit dem Zitat "Nichts ist so kontinuierlich wie der Wandel" verdeutlichte die Aufsichtsratsvorsitzende, dass das BFW  dieses Jahr und auch in der Zukunft vor großen Herausforderungen stehen werde. Deshalb gelte es, sich immer wieder neu zu erfinden und die Rehabilitanden auf Entwicklungen wie die digitale Transformation einzustellen. Faltl: "Diese muss so gestaltet werden, dass wir gut damit zurecht kommen, weiterhin teilhaben können und nicht ausgeschlossen werden. " Aufgabe des BFW sei es, die Rehabilitanden so auszubilden, dass sie ihren Beruf in einer digitalisierten Welt gut ausüben können. Das A & O sei hier der Umgang mit den elektronischen Medien, vom Computer, dem Smartphone bis hin zu Navigationsmöglichkeiten.

Ihr sei davor nicht bange, angesichts der im Raum anwesenden Partner des BFW. Faltl lud vor allem die Unternehmen ein, dem BFW die Informationen zu geben, was denn gebraucht werde. Auch um das Handeln des BFW an dem ausrichten zu können, was aktuell in der Wirtschaft gefordert werde.

Faltl betonte wie schon Hohler, wie wichtig im BFW das Engagement der Selbsthilfe sei, damit behinderte Menschen gleichberechtigt und selbstbestimmt an der Gesellschaft teilhaben können.

Der 26jährige Syrer Yasser Alhussain ist seit vier Jahren in Deutschland. Er hat mit 13 Jahren die Schule verlassen und arbeitete dann fünf Jahre in einem Supermarkt als Verpacker, bis der Krieg in seine Stadt kam und er nach Damaskus umzog und dort vier Jahre als Maurer arbeitete. Wegen der ständigen Polizeiverfolgung sei er dann über die Türkei und Griechenland nach Deutschland geflüchtet und habe hier nach einem schlimmen Jahr in einer Notunterkunft in einer Sporthalle die Aufenthaltserlaubnis bekommen, um einen Sprachkurs zu besuchen. Da er aber die Schrift auf der Tafel nicht lesen konnte, habe man ihn nach Veitshöchheim zum BFW geschickt, wo er dann den Sprachkurs absolvieren konnte. Seit Oktober 2019 sei er nun im Rehagrundkurs, wo er die Blindenschrift lerne und auch in Deutsch und Mathe unterrichtet werde sowie lerne, sich im Alltag zurecht zu finden. Er sei sehr dankbar, dass er hier auch Sport treiben und Gitarrenspiel lernen könne. Yasser möchte nach dem Rehagrundkurs eine Ausbildung zum Physiotherapeuten machen und hofft, dann auch eine Anstellung zu finden.

Der 32jährige Ahmad Msalam ist nun sein vier Jahren und fünf Monaten in Deutschland. Er ist Kurde und stammt aus der Nähe von Aleppo und wohnte vor seiner Flucht in Raka am Euphrat. Nach dem Abitur machte er eine Ausbildung zum Krankenpfleger und arbeitete dann bis Juni 2014 in einem Krankenhaus, wo er seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs 2013 viel Blut gesehen habe. Als dann seine Stadt vom IS erobert wurde, wurde er gezwungen, die Stadt zu verlassen. Mit seinem jüngeren Bruder, seiner Schwester und deren beiden Söhnen wollte er mit einem Schleuserboot nach Europa übersetzen. Aufgrund der hohen Wellen wurden die 40 Insassen von der türkischen Küstenwache ans Festland zurückgebracht. Nach fünf Tagen im Gefängnis war dann der zweite Versuch nach Europa zu kommen erfolgreicher. Nach 15 Tagen zu Fuß unterwegs kam er im August 2015 in Nord-Deutschland mit seinen Familienangehörigen an. Im November des gleichen Jahres konnte er einen Deutschkurs bei der Caritas besuchen. Aufgrund einer plötzlichen Blutung im Auge im Februar 2017 musste er operiert werden und ist seitdem auf dem rechten Auge blind mit einem Sehrest von fünf Prozent im linken Auge.  Über eine Anzeige im Internet kam er dann zum BFW nach Veitshöchheim, wo er 2018 den B2-Sprachkurs erfolgreich absolvierte und im September 2018 die Grundreha und ein Jahr später die Reha begann. Er habe dabei die Mentalität der Deutschen kennengelernt auch beim Sport und sich so schnell integriert, so dass er schon 2018 als Teilnehmervertreter gewählt wurde. Seit zweieinhalb Jahren ist er nun schon auch Mitglied in einem Musikverein in Würzburg und wurde vor einem Jahr in den Vereinsrat gewählt. Er strebt nun beim BFW eine Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten an.

Für Abwechslung zwischen den einzelnen Programmpunkten und für stimmungsvolle Unterhaltung im geselligen Teil sorgte das Musikertrio "No limits" mit dem Gitarristen Thilo Stark vom Don Bosco Bildungswerk Würzburg, der Sängerin Daniela Sauer und dem Schlagzeuger Frank Spangenberg.

Fotos (c) Dieter Gürz

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