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Veitshöchheimer Genisa-Quellen von immenser Bedeutung - Wissenschaftlicher Workshop in der Veitshöchheimer Genisa-Forschungsstelle

Veröffentlicht am von Dieter Gürz

 bei-der-Arbeit_1.JPG„Schon wegen der Neugier ist das Leben lebenswert" (Jüdisches Sprichwort)

Diesem Motto fühlten sich die Teilnehmer des ersten Workshops des wissenschaftlichen Nachwuchses in der Genisa-Forschungsstelle Veitshöchheim verpflichtet, als sie am letzten November-Wochenende anreisten. Zwölf neugierige Doktoranden und Post-Docs aus ganz Deutschland kamen nach Veitshöchheim, um gemeinsam originale Quellentexte aus den reichhaltigen Genisa-Funden zu bearbeiten. Nach dem ersten Kennenlernen beim gemeinsamen Abendessen stieg die Gruppe am Samstagmorgen in die spannende Thematik ein.


Fuehrung Museum 2Die zweitägige intensive Beschäftigung mit der Geschichte des fränkischen Landjudentums wurde durch die Führung der gemeindlichen Kulturreferentin Dr. Martina Edelmann durch das Jüdische Kulturmuseum und die Synagoge Veitshöchheim eröffnet. Bereits 1998 war das Genisa-Projekt Veitshöchheim gegründet worden. Der hebräische Begriff Genisa (Pl. Genisot) beschreibt einen Ablageort für nicht mehr nutzbare, jüdisch-religiöse Literatur und Kultgegenstände. Die Einrichtung einer Genisa war traditionelle Praxis vieler jüdischer Gemeinden im süddeutschen Raum. Aktuell befindet sich eine Vielzahl dieser Genisot, Funde der letzten Jahrzehnte, in Veitshöchheim als zentraler Forschungsstelle.


Professor Dr. Rolf Kießling von der Universität Augsburg rundete die Einführung mit einem Forschungsüberblick über die Geschichte des fränkischen und bayerisch-schwäbischen Landjudentums ab. Der Landeshistoriker richtete das Hauptaugenmerk seines Vortrags auf das christlich-jüdische Beziehungsgeflecht in der Frühen Neuzeit am Beispiel Schwaben. In der folgenden Diskussion kamen die Anwesenden überein, dass in Bezug auf die fränkische Judenheit die wissenschaftliche Aufarbeitung dieser Zeit (leider) noch in den Kinderschuhen steckt.


bei-der-Arbeit_2.JPGUnd nun ging es in medias res: Die beiden Organisatorinnen des Workshops, Rebekka Denz (Kooperationsprojekt Landjudentum in Unterfranken) und Gabi Rudolf (Universität Würzburg, Ausstellungsmacherin in der Alten Synagoge Arnstein) erläuterten die anvisierten Arbeitsschritte. Die Teilnehmer nahmen einen Quellentext zur Hand, um diese zu lesen, den Inhalt zu bewerten und – falls notwendig – ins Deutsche zu übersetzen. Im produktiven Austausch fanden sich die judaistisch Arbeitenden ebenso natürlich zusammen, wie diejenigen die sich mit deutschsprachigen Quellen beschäftigten. Handschriftlich hinterlassene, hebräische Lieder; das Notizbuch eines jüdischen Veitshöchheimer Gewürzhändlers; ein Schriftstück über die Beschneidung eines kranken Jungen oder die Spendenquittung für einen in Jerusalem lebenden Juden aus dem Jahr 1708 wurden entziffert und ins Deutsche übersetzt.

Die zweite Gruppe stand der Geschäftigkeit im anderen Raum in Nichts nach. Deutsche handschriftliche Quellen aus dem 18. bis 20. Jahrhundert gaben Aufschluss über das religiöse Leben und den Alltag fränkischer Juden. Bearbeitet wurden „erbauliche” Schönschriftübungen aus dem jüdischen Religionsunterricht; Gehaltsabrechnungen eines jüdischen Lehrers; profane Hausaufgaben aus dem Französisch-Unterricht oder aber „morbide” Leichenschauprotokoll. Selbst Kaffeepausen unterbrachen die emsige Arbeitsatmosphäre nicht, da hier die Zeit zum Austausch über die interessanten Inhalte der Genisa-Stücke genutzt wurden.


Bei strahlendem Sonnenschein konnten die Teilnehmer am Sonntagmorgen eine Führung von Dr. Martina Edelmann durch den Ort und den Hofgarten des Schlosses genießen, bevor die Arbeit an den Quellen in der Forschungsstelle fortgesetzt wurde. Vor ihrer Heimreise am späten Nachmittag stellten die Teilnehmer des Workshops fest: Bei der Beschäftigung mit der Geschichte des Landjudentums in Franken sind Genisa-Quellen von unerlässlicher Bedeutung und Wichtigkeit. Die Arbeit mit dieser Art authentischer Quellen ist schwierig, doch gemäß des Mottos:„Schon wegen der Neugier ist das Leben lebenswert”, bekundeten die Teilnehmer ihr Interesse, an einem für 2013 geplanten Zweiten Workshop erneut teilnehmen zu wollen. Die Realisierung der Fortsetzung wird von den Verantwortlichen begrüßt und anvisiert.


Dieser erste Workshop fand in Kooperation der Vereinigung für Jüdische Studien und des Lehrstuhls für Fränkische Landesgeschichte der Universität Würzburg statt.

Erst die großzügige finanzielle Unterstützung mehrerer Institutionen wie der Gemeinde Veitshöchheim und der Freunde Mainfränkischer Kunst und Geschichte machten die erstmalige Umsetzung möglich. Darüber hinaus wird die geplante Veröffentlichung der Arbeitsergebnisse von der Veitshöchheimer Simon-Höchheimer-Gesellschaft finanziert.

Fotos: Kulturamt Veitshöchheim

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