Overblog
Edit post Folge diesem Blog Administration + Create my blog

BFW in Veitshöchheim fördert innovativ syrische Blinde aus der Flüchtlingsnotunterkunft Kaserne - Bislang keinerlei staatliche Hilfe

Veröffentlicht am von Dieter Gürz

Irene Girschner, die Pressesprecherin des BFW in Veitshöchheim beim Interview der blinden Asylsuchenden Doha Bustani Eid, die seit Mitte September 2015 in der Flüchtlings-Notunterkunft der Kaserne untergebracht ist. Das unter Hilfestellung des Dolmetschers Ibrahim Elonmany (rechts) geführte Interview habe in einer angenehmen und sehr offenen Atmosphäre stattgefunden. Doha habe sich im Interview als ruhiger, dennoch sehr aufgeschlossener, selbstbewusster und fröhlicher Mensch gezeigt.  Sie habe häufig gelacht und den Eindruck von Zufriedenheit verbreitet. Die Tatsache, dass sie mit ihrer Familie im BFW zum Deutschkurs „gelandet“ ist, empfinde sie als Glück. Für die Hilfe, die sie im BFW bekommt, sei sie sehr dankbar, was sie während des Interviews mehrmals betont und sich explizit bedankt habe. Doha scheine im Familienverbund eine gefestigte und gleichwertige Position zu haben. Die Familie gehe untereinander scheinbar sehr rücksichtsvoll und respektvoll miteinander um. Fragen zur Flucht seien allen Beteiligten dagegen unangenehm (sichtbar durch Körpersprache, leises Zwischenreden, etc.) gewesen und zögerlicher beantwortet worden.

Irene Girschner, die Pressesprecherin des BFW in Veitshöchheim beim Interview der blinden Asylsuchenden Doha Bustani Eid, die seit Mitte September 2015 in der Flüchtlings-Notunterkunft der Kaserne untergebracht ist. Das unter Hilfestellung des Dolmetschers Ibrahim Elonmany (rechts) geführte Interview habe in einer angenehmen und sehr offenen Atmosphäre stattgefunden. Doha habe sich im Interview als ruhiger, dennoch sehr aufgeschlossener, selbstbewusster und fröhlicher Mensch gezeigt. Sie habe häufig gelacht und den Eindruck von Zufriedenheit verbreitet. Die Tatsache, dass sie mit ihrer Familie im BFW zum Deutschkurs „gelandet“ ist, empfinde sie als Glück. Für die Hilfe, die sie im BFW bekommt, sei sie sehr dankbar, was sie während des Interviews mehrmals betont und sich explizit bedankt habe. Doha scheine im Familienverbund eine gefestigte und gleichwertige Position zu haben. Die Familie gehe untereinander scheinbar sehr rücksichtsvoll und respektvoll miteinander um. Fragen zur Flucht seien allen Beteiligten dagegen unangenehm (sichtbar durch Körpersprache, leises Zwischenreden, etc.) gewesen und zögerlicher beantwortet worden.

BFW in Veitshöchheim fördert innovativ syrische Blinde aus der Flüchtlingsnotunterkunft Kaserne - Bislang keinerlei staatliche Hilfe

Am 12. Dezember 2015 wurde hier auf Veitshöchheim News ausführlich über die Welle der Hilfsbereitschaft von Veitshöchheimer Bürgern in der Flüchtlings-Notunterkunft der Kaserne (NUK), insbesondere den von Anita Ruhwedel betreuten Häkelkreis berichtet.

Im Häkelkreis machte eifrig auch die 41jährige Doha Bustani Eid mit, die im Alter von 19 Jahren erblindet war und Mitte September nach ihrer Flucht aus Syrien in die NUK kam, begleitet durch ihre Schwester Nesreen (Jahrgang 1992) und deren Ehemann Kotaiba (Jahrgang 1990) sowie ihrem Bruder Safwat (Jahrgang 1968).

BFW in Veitshöchheim fördert innovativ syrische Blinde aus der Flüchtlingsnotunterkunft Kaserne - Bislang keinerlei staatliche Hilfe

Freudestrahlend zeigt Doha ihre Sprachkursbescheinigung

Es war reiner Zufall, dass Doha dann im Zuge des „Einstiegskurses Deutsch für Asylbewerber“ in das Berufsförderungswerk Würzburg (BFW) in Veitshöchheim, also in ein Bildungszentrum für Blinde kam und hier zu den 50 syrischen Flüchtlingen aus der NUK gehörte, die hier von Mitte Dezember 2015 bis 23. März 2016 in 320 Unterrichtsstunden mit Erfolg den von der Bundesagentur für Arbeit geförderten Deutsch-Einstiegskurs absolvierten.

Die Tatsache, dass eine blinde Kursteilnehmerin unter den Flüchtlingen sein würde, so die BFW-Pressesprecherin Irene Girschner, war zu Kursbeginn im BFW nicht bekannt. Eine gesonderte Zuteilung ins BFW als Bildungszentrum für Blinde und Sehbehinderte hatte also nicht stattgefunden. Wie sich schnell herausstellte, hatte die blinde Kursteilnehmerin nur wenige Kenntnisse in Blindentechniken.

BFW in Veitshöchheim fördert innovativ syrische Blinde aus der Flüchtlingsnotunterkunft Kaserne - Bislang keinerlei staatliche Hilfe
Biografisches über Doha - Auswertung des Interviews von Irene Girschner, BFW

Doha lebte vor der Flucht aus Syrien bei Ihrer Familie. Sie hat keinen Beruf erlernt. Innerhalb des Familienbetriebes im Textilbereich erledigte sie Handarbeiten. Der Umgang mit entsprechenden Maschinen war ihr vertraut. Diese Tätigkeit führte sie zum Teil auch nach ihrer Erblindung fort. Die Erblindung ist Folge einer falsch behandelten Infektionserkrankung, an der Doha 1993 im Alter von 19 Jahren erkrankte. Vom Ausbruch der Krankheit bis zur vollständigen Erblindung vergingen drei Monate. Die Familie hatte den schnell fortschreitenden Erblindungsprozess anfänglich nicht mitbekommen.

In Syrien gab es keine offiziellen Einrichtungen, die sich um blinde Menschen kümmern. Während der ersten zehn Jahre ihrer Erblindung bekam Doha keinerlei blindenspezifische Schulung oder Unterstützung. Es gab in ganz Syrien nur eine Blindenschule, die zudem nicht in räumlicher Nähe lag. Diese Schule war auf Kinder ausgerichtet. Wegen ihres Alters wurde Doha nicht in die Schule aufgenommen. Hilfe gab es durch eine Art Selbsthilfeorganisation. Betroffene blinde Erwachsene haben sich gegenseitig geholfen, bzw. "geschult". Auf diesem Weg kam Doha zum ersten Mal in Kontakt mit Braille-Schrift, die sie aber nicht erlernen konnte. Auch die blindheitsgerechte Handhabung des Langstock hat sie nie erlernt. Im Umgang mit Blindheit gab es laut Doha keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Die Unterschiede ergeben sich aus der grundsätzlichen Haltung gegenüber Blindheit.

Unterstützung erfolgt im Familienverbund. In der häuslichen Umgebung hatte sich Doha selbständig versorgt, auch gekocht. Diese Selbständigkeit war und ist ihr sehr wichtig. Während sie in Syrien nur bei Besorgungen außerhalb des Hauses auf die Hilfe ihrer Familie angewiesen war, braucht sie jetzt wegen der unbekannten Räumlichkeiten in Deutschland permanent Hilfe.

Die Unterkünfte, von Notunterkünften zu Gemeinschaftsunterkünften, sind nicht auf die Belange von Behinderten eingerichtet und dementsprechend nicht barrierefrei. Dies ist ein Faktor großer Verunsicherung, der bei Doha das Gefühl der Unselbständigkeit hervorruft.

Doha ist zusammen mit einem Teil ihrer Familie geflohen. In Syrien lebt noch die Mutter mit zwei weiteren Schwestern. Nur durch die Unterstützung der Familie war sowohl das Leben in Syrien als auch die Flucht möglich. Unterstützt wird sie im Wesentlichen durch ihre jüngere Schwester und deren Ehemann. Beim Thema Flucht haben sowohl Doha als auch Ihre Familienangehörigen nur zögerlich geantwortet. Während der gesamten Flucht wurde an keiner Grenze, auch nicht in Deutschland, von behördlicher Seite erfasst, dass sie blind ist.

Recherchen des BFW ergaben: Bislang keinerlei Hilfe für blinde Flüchtlinge

Generell erfolgt keinerlei Erfassung von (chronischen) Krankheiten oder sonstiger Behinderungen (siehe hierzu auch Drucksache 18/7831, Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage zur "Situation von geflüchteten Menschen mit Behinderungen, S. 4-55). Laut Antwort der kleinen Anfrage ist auch weiterhin nicht geplant, den Status von geflüchteten Menschen mit Behinderungen gesondert zu erheben. Ebenso wenig ist bekannt, wie viele anerkannte Flüchtlinge und Geduldete mit Behinderungen in den letzten Jahren aufgenommen wurden. In der Statistik der schwerbehinderten Menschen des Statistischen Bundesamtes werden die nachgefragten Daten nicht erhoben.

Würde Doha von ihrer Familie getrennt, wäre sie völlig hilflos. Es gibt keinerlei blinden- oder behinderungsspezifische Unterstützung in den Flüchtlingsunterkünften. Dies ist kein spezifisch fränkisches oder bayerisches Problem, sondern eine bundesweite Erscheinung. Der Bundesregierung liegen keinerlei Erkenntnisse darüber vor, ob und wie viele Erstaufnahmeeinrichtungen barrierefrei sind und wie viele Asylsuchende mit Behinderungen sich in den Erstaufnahmeeinrichtungen befinden. Die Bundesregierung verweist hierbei explizit auf die Zuständigkeit der Länder (siehe kleine Anfrage, S. 2).

Bei der behinderungsspezifischen Versorgung von Flüchtlingen, Asylsuchenden und Geduldeten mit Behinderungen mit entsprechenden Hilfsmitteln nach § 6 AsylbLG verweist die Bundesregierung auf die Zuständigkeit der Länder. Während der ersten 15 Monate des Aufenthaltes im Bundesgebiet können nach § 6 im Einzelfall Kosten für die Versorgung mit Hilfsmitteln übernommen werden. Das Wissen über diese Regelungen ist in den Not- und Gemeinschaftsunterkünften nicht vorhanden.

Soforthilfen für Doha durch das BFW

BFW-Geschäftsführer Christoph Wutz und seine Führungsmannschaft sahen sich , das Einzelbeispiel von Doha vor Augen, herausgefordert aufzuzeigen, welche Möglichkeiten der Unterstützung das BFW Würzburg in der aktuellen Flüchtlingssituation insbesondere bei Flüchtlingen mit Seh-Behinderungen leisten kann.

Wie Girschner berichtet, hat das BFW für die blinde Syrerin einige blindheitsgemäße Sofort-Maßnahmen auf eigene Kosten durchgeführt. Neben dem Deutschunterricht erhielt Doha so zum ersten Mal in ihrem Leben eine behinderungsspezifische Unterstützung:

  • Einführung in Stocktechniken (Einweisung in: Diagonaltechniken, Pendeltechnik, Gleiten an der Wand): Wenn diese Technik neu erlernt werden muss, wie im Falle von Doha, sind ca. 60 Stunden Training notwendig. Der Langstock dient nicht nur der Orientierung im Gelände, sondern gleichzeitig auch als Signal an die Umwelt, das hier ein blinder Mensch unterwegs ist. Doha bekam einen Langstock vom BFW gestellt.
  • Sehende Begleitung/ Orientierung: Doha wurde darin unterwiesen, sich im BFW Schulungsgebäude orientieren zu können. Zum Orientierungstraining gehörten: Gleiten an der Wand, orientierungsgebende Gegenstände oder Räumlichkeiten erkennen, z.B. wechselnde Fußbodenbeläge, Türen, Fenster, Heizungen.
  • Braille-Schrift/ Punktschrift: Bei der Punktschrift handelt es sich um eine Kulturtechnik, die erblindete Menschen neu erlernen müssen. Mit der Punktschrift kann ein Blinder auch am Computer arbeiten und dadurch mit sehenden Personen sowohl beruflich als auch privat kommunizieren. Um Punktschrift relativ sicher zu lernen, wird ca. ein Jahr benötigt. Doha bekam eine intensive Anleitung zur Auffrischung der wenigen vorhandenen Kenntnisse.
BFW in Veitshöchheim fördert innovativ syrische Blinde aus der Flüchtlingsnotunterkunft Kaserne - Bislang keinerlei staatliche Hilfe
BFW in Veitshöchheim fördert innovativ syrische Blinde aus der Flüchtlingsnotunterkunft Kaserne - Bislang keinerlei staatliche Hilfe
BFW in Veitshöchheim fördert innovativ syrische Blinde aus der Flüchtlingsnotunterkunft Kaserne - Bislang keinerlei staatliche Hilfe

Wie auf den Fotos zu sehen, fühlte sich Doha mit diesen Unterweisungen deutlich sicherer. Wie sie Girschner im Interview sagte, hat sie großes Interesse daran, selbständig zu werden und eine Ausbildung im Bereich Physiotherapie anzustreben. .

Berufliche Integration

Diesbezüglich, so Girschner, könne die originäre Erfahrung des BFW bei der Überwindung von Vermittlungshemmissen angeboten werden. So könne die Expertise des BFW in der beruflichen Anpassungsqualifizierung auch für die Kompetenzfeststellung der beruflichen Eignung für Flüchtlinge genutzt werden. Das umso mehr, wenn es sich um blinde und sehbehinderte Menschen wie bei Doha handelt.

Bei Flüchtlingen wie Doha ist hierfür das Vorliegen der Aufenthaltserlaubnis notwendig. Wenn diese Erlaubnis erteilt ist (liegt bei Doha noch nicht vor), ist der Antragsteller als Asylsuchender anerkannt. Mit diesem Bescheid ist die Erlaubnis verbunden, einer Beschäftigung nachzugehen oder eine Berufsausbildung zu beginnen. Zuständige Kostenträger werden in diesen Fällen die örtlichen Jobcenter. Mit der Aufenthaltserlaubnis gelangen die Flüchtlinge in den "normalen Verwaltungsablauf". Sofern bei Doha die Aufenthaltserlaubnis erteilt und eine Kostenzusage vorliegt, käme sie in den normalen Verwaltungsablauf der beruflichen Rehabilitation.

Innerhalb des üblichen Verfahrens, empfiehlt das BFW für Doha gemäß ihrer individuellen Beeinträchtigung folgende Schritte:

  • Unterweisung in Orientierung und Mobilität (O&M) und Lebenspraktische Fähigkeiten - Dauer ca. 60 Stunden
  • Blindentechnische Grundrehabilitation (GR - Dauer ein Jahr)
    Da Doha nahezu keinerlei blindentechnische Grundkenntnisse hat, ist als Maßnahme die GR angezeigt. Darin lernt sie die Punktschrift und den blindheitsgemäßen Umgang mit dem Computer. Darüber hinaus werden grundlegende Deutschkenntnisse, blindenspezifische Rechentechniken und Kenntnisse in Sozial- und Blindenkunde vermittelt. Diese Maßnahmen sind Voraussetzung für eine spätere Berufsausbildung und Berufsfähigkeit.
    Im Falle von Doha ist eine vertiefende Deutschförderung erforderlich. Im bisherigen Basisunterricht innerhalb der Gruppe konnte auf ihre spezifische Sehbehinderung nicht eingegangen werden. Durch den ganzheitlichen Ausbildungsansatz und der barrierefreien Wohnmöglichkeit im BFW würde der besonderen Situation und dem erhöhten Sicherheitsbedürfnis von Doha bestens entsprochen.
  • Grundkurs Physikalische Technik (GPT – Dauer sechs Monate)

    Doha will sich eine berufliche Perspektive erarbeiten. Mit der erstmaligen blindheitsgemäßen Unterstützung sehen sowohl sie als auch Ihre Familie hierzu eine realistische Möglichkeit. Da sie gerne mit ihren Händen arbeitet, ist sie an einem Beruf im Bereich Physikalische Therapie interessiert. Im Anschluss an die Grundreha, könnte sie im Grundkurs Physikalische Therapie (GPT), sich die entsprechenden beruflichen Kenntnisse aneignen.

    Darin arbeiten die Teilnehmer an speziell an ihre Sehbehinderung angepassten PC-Arbeitsplätzen und lernen die Grundlagen der allgemeinen und speziellen Anatomie, Biologie, medizinische Terminologie, Berufskunde, etc. Ein einwöchiges Schnupperpraktikum in einer Praxis gibt Einblicke in die Ausbildung. Nach dem Grundkurs beginnt die weitere Berufsausbildung in Mainz oder in Nürnberg. Die Berufsaussichten für die Absolventen dieses Berufsbildes sind gut.

Vorläufige Bilanz

Im BFW Würzburg bekam Doha zum ersten Mal überhaupt in ihrem Leben fundierte blindheitsgerechte Unterstützung. Die Vermittlung von Blindentechniken und Mobilitätstraining konnte während des Deutschunterrichtes nur im geringen Umfang durchgeführt werden. Mit den bisherigen Unterweisungen fühlte sich Doha deutlich sicherer. Sie hat großes Interesse daran, die Techniken zu verbessern, selbständig zu werden und eine Berufsperspektive zu entwickeln.

Dazu benötigt sie ein festes, bestenfalls barrierefreies Wohnumfeld. Während der einjährigen blindtechnischen Grundausbildung, in der die Rehabilitanden im BFW wohnen, gäbe es die entsprechende Möglichkeit für Doha, ihre Selbstständigkeit wiederzuerlangen. Perspektivisch ist sie an einer Ausbildung im Bereich Physiotherapie interessiert.

Dies alles ist abhängig vom weiteren Anerkennungsverfahren als Flüchtling und der Kostenübernahme durch den dann zuständigen Kostenträger. Bis zu dieser Klärung erhält Doha keine leidensgerechte Unterstützung und ist weiterhin auf die Unterstützung durch die Familie angewiesen.

Kommentiere diesen Post