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Geschichten aus dem Dachboden – In Veitshöchheim referierte Dr. Martina Edelmann anlässlich der Gedenkfeier zur Reichspogromnacht über das Genisaprojekt Veitshöchheim

Veröffentlicht am von Dieter Gürz

Genisaforschung
Genisaforschung
von Dieter Gürz

An die Reichspogromnacht vom 9. November 1938 gedachte in Veitshöchheim die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit.

Nach einem Gebetsgottesdienst in der Synagoge mit Rabbiner Jakov Ebert lauschten die 60 Besucher im Sitzungssaal des Rathauses gebannt dem lebendigen und klar gegliederten

Dr. Martina Edelmann
Dr. Martina Edelmann

Vortrag der örtlichen Kulturreferentin Dr. Martina Edelmann zur Arbeit und zu den Ergebnissen des 1998 gegründeten und seit dem von ihr begleiteten Genisaprojektes Veitshöchheim.

Der Begriff „Genisa“ ist nach ihren Worten ein Ort, an dem Schriften oder Gegenstände abgelegt werden, die nach jüdischer Religionsvorschrift aus religiösen oder liturgischen Gründen nicht absichtlich vernichtet werden durften, so etwa Gebetbücher oder in hebräischen Buchstaben verfasste profane Texte. In Süddeutschland sei es übliche Praxis gewesen, diese Genisoth auf den Dachböden der Synagogen anzulegen. Mehr und mehr Genisafunde kamen in den letzten Jahren zum Vorschein. Insgesamt sind für Franken etwa 40 Fundorte bekannt und es kommen immer neue dazu.

Mit eindrucksvollen Bildern veranschaulichte Edelmann die Ablagen in Dachböden und deren Bergung und was man dort so fand wie Teile von Thora-Rollen, erbauliche Literatur, Gebetbücher, Wimpel, Teffilin und Gebetskapseln oder wie in Veitshöchheim ein Schofar-Horn, das am jüdischen Neujahrsfest geblasen wurde.

Der Veitshöchheimer Genisafund

Synagoge
Synagoge Veitshöchheim

1986 hatte man die umfangreiche Genisa der 1730 errichteten Veitshöchheimer Synagoge entdeckt. Eine repräsentative Auswahl von 150 Objekten daraus wird heute in dem eigens dafür eingerichteten Museum neben der Synagoge ausgestellt. Das 1994 eröffnete Jüdische Kulturmuseum Veitshöchheim ist laut Edelmann das einzige Museum in Deutschland, das ausschließlich Genisafunde zeigt.

Daneben lagerte man im Archivraum des Seminargebäudes in 42 Schubladen, 35 Kisten und 22 kleineren Schachteln das restliche beachtliche Genisa-Material ein. Die Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen hielt es damals für dringend erforderlich, dass diese Materialien und später auch die aus weiteren fränkischen Synagogen als kulturelle Zeugnisse deutsch-jüdischer Geschichte nicht nur verwahrt, sondern nach und nach erforscht und das Wissen darüber verbreitet wird.

Ende 2000 war laut Edelmann die komplette Genisa von Veitshöchheim gesichtet. Etwa 2000 Datenbankeinträge über Drucke und Textilien wurden angelegt. Insgesamt umfasse die Genisa bis etwa 1900 genutzte Veitshöchheimer Genisa etwa 4000 bestimmbare Fragmente. Die ältesten Stücke datieren noch in das späte 16. Jahrhundert.

Die Besonderheiten der Veitshöchheimer Genisa seien ein hoher Anteil an jiddischer Literatur mit bemerkenswerten Titeln, etwa 250 handschriftliche Zeugnisse wie Rechnungen, Quittungen, Schreibübungen, Briefe, Warenlisten sowie ein breites Spektrum von hebräischer Gebetsliteratur, mit zahlreichen Einblattdrucken, Reste von etwa 60 Torawimpeln und weiteren Textilien. Um nur ein Beispiel zu nennen, schreibt der Leiter des noch heute in Jerusalem existierenden und zu den wichtigen medizinischen Zentren in Israel gehörende Hospital Bikur Cholim in einer Spendenquittung aus dem Jahr 1889 über fünf Mark dem Veitshöchheimer Lehrer Klein: „Möge Gott Ihre Wohltat tausendfach belohnen.“

Der Fund von Veitshöchheim bedeutete nach Edelmanns Worten einen entscheidenden Schritt, dass die Geschichtsforschung sich nun doch genauer mit den Inhalten einer solchen Ablage beschäftigte.

Das Veitshöchheimer Genisaprojekt

So wurde in Veitshöchheim 1998 das Genisaprojekt gegründet, das bis heute von der Gemeinde Veitshöchheim, den Bezirken Unterfranken und Oberfranken sowie von der Landesstelle gefördert wird. Die bei der Gemeinde bereits angestellte Volkskundlerin Edelmann übernahm mit einem wöchentlichen Arbeitsaufwand von zehn Stunden die Projektkoordination und -organisation. Die Bearbeitung der Funde wurde durch Werkverträge vergeben. Bisher waren neun wissenschaftliche Mitarbeiter tätig. Zusätzlich absolvierten Studenten vom Lehrstuhl für Volkskunde der Universität Würzburg ein Praktikum.

Eine der Wissenschaftlerinnen ist die Oberpfälzerin Elisabeth Singer, die seit 2000 alte hebräische Schriften aus der Zeit vor 1800 mit dem Pinsel entstaubt, entziffert und übersetzt. Ein Märchen, die Geschichte vom Fischersohn, das 1788 in Fürth gedruckt, in einem jüdischen Haushalt in Veitshöchheim gelesen und dann in der Synagoge abgelegt wurde, machte sie zum Gegenstand ihrer Magisterprüfung. Neben Singer arbeitet zurzeit auch Beate Weinhold für das Genisaprojekt Veitshöchheim.

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