Es war das bewegteste Jahrzehnt in den 70 Jahren des Bestehens der evangelischen Kirchengemeinde - Pfarrer Sebastian Wolfrum verabschiedete sich nach zehn Jahren in Veitshöchheim
Zum Erinnerungsfoto versammelten sich nach dem Abschieds-Gottesdienst auf der Kirchentreppe v.l.n.r. vorne Pfarrer Frank Hofmann-Kasang, Pastorin Verena Häggberg, Pfarrer Sebastian Wolfrum, Dekan Dr. Wenrich Slenczka, hinten Bürgermeister Jürgen Götz (Veitshöchheim), Kirchenvorstand-Vertrauensmann Bernhard Köbler, Bürgermeisterin Klara Schömig (Güntersleben), Diakonin Claudia Grunwald, Bürgermeister Michael Röhm (Thüngersheim), Veitshöchheims katholischer Pfarrer Robert Borawski, Pfarrer Johannes Riedel (Senior des Pfarrkapitels des Dekanats).
"Es war wohl das bewegteste Jahrzehnt in der Geschichte unserer Kirchengemeinde" resümierte der Vertrauensmann des Kirchenvorstands Bernhard Köbler als letzter Redner am Sonntagabend in der Christuskirche bei der Verabschiedung von Pfarrer Sebastian Wolfrum, der zum 1. September 2020 die Leitung der KiTa-Fachberatung in der Landeskirche Braunschweig übernimmt. In der Zeit seines zehnjährigen Wirkens in der für Veitshöchheim, Thüngersheim und Güntersleben zuständigen Evangelischen Kirchengemeinde hatte sich der Seelsorger seit März 2010 mit viel Herzblut eingebracht, galt es in der Gemeinde Vieles anzupacken wie die vor einem Jahr fertiggestellte zwei Millionen Euro teure Generalsanierung der Christuskirche (siehe nachstehender Link auf Einweihungsbericht Bericht vom 29. Juli 2019), begleitete er unzählige Menschen bei Kasualien (= Gottesdienste, die anlässlich wichtiger Stationen im Leben von Menschen gefeiert werden: Taufe, Konfirmation, Trauung und Beerdigung), im Konfirmandenunterricht und Seelsorgegesprächen, hielt hunderte von Gottesdiensten und erfüllte die Aufgaben der Trägerschaft einer Kita.
Pfarrer Sebastian Wolfrum nach zehn Jahren verabschiedet
'Es war wohl das bewegteste Jahrzehnt in der Geschichte unserer für die evangelischen Christen in Veitshöchheim, Thüngersheim und Güntersleben zuständigen Kirchengemeinde' resümierte der ...
Mainpost-Online vom 6. Juli 2020
Transidenter Pfarrer: Ehrlichkeit kostet Mut - und zahlt sich aus
Über zehn Jahre lang hat er die Gottesdienste in der evangelischen Kirche Veitshöchheim gehalten - erst als Frau, dann als Mann. Zumindest äußerlich. Sebastian Wolfrum wurde im falschen Körper...
Mainpost-Online vom 11. Juli 2020
Aufgrund der Coronabeschränkungen konnten nur 50 Auserwählte am Abschiedsgottesdienst teilnehmen. Für alle, für die dies nicht möglich war, konnten über den Videokonferenzdienst Zoom oder über das Telefon mitfeiern.
Vor ziemlich genau zehn Jahren stand hier in der Kirche eine Kletterwand, erinnerte sich Pfarrer Sebastian Wolfrum, aufgebaut zum Gemeindefest (siehe Foto unten). Im Gottesdienst und den ganzen Tag über seien Junge und Alte mutig rauf und runter geklettert, nach dem Motto "Sich aufeinander verlassen, eine Seilschaft bilden in der Gemeinde, aufeinander schauen, Hinweise geben, nach guten Wegen suchen, wie es weiter gehen kann". Wolfrum führte auf, was gemeinsam mit den Gläubigen seiner Gemeinde auf den Weg gebracht wurde wie andere Gottesdienste, Konfi-Projekte, der Besuchsdienst oder die Generalsanierung.
Der Pfarrer verwies in seiner Abschiedspredigt auf einen Paulus-Brief, wie im Zentrum des römischen Kaiserkultus die Christen in Rom sich zunehmender Feindschaft und Aggression ausgesetzt sahen und er ihnen riet, sich nicht von Wut und Zorn in blinde Rache treiben zu lassen, sondern nach anderen Wegen zu suchen. Wie damals die Christen die Kranken versorgten,den Armen halfen und die Sterbenden begleiteten, machen das nach seinen Worten auch die Gläubigen hier im Ort. So habe eine sich als Fremde hier im Ort fühlende Frau nach dem Lockdown erzählt, wie bei ihr in der Einsamkeit immer und immer wieder das Telefon klingelte und sie überwältigt von den vielen Anrufen sie nun mit leuchtenden Augen berichtete: "Jetzt weiß ich, dass ich dazu gehöre."
Wolfrum verwies auf die Zeit, als er im Herbst 2012 für mehrere Wochen in die Klinik musste, er erst nach und nach begriff, dass eine Krankheit dahinter stehe. Mut habe ihm dann eine Gruß- und Segens-Karte aus dem Seniorenkreis gemacht und sein Wissen genährt: "Ich kann hier zurückkommen." Im Erzählen miteinander habe dann nach seiner Rückkehr im Januar 2013 das Vertrauen zu wachsen angefangen. Es hatte sich was verändert.
Er erinnerte daran, wie er die Menschenskinder zwischen Baustelle und Notunterkunft im alten Pfarrhaus kennen gelernt habe, es hier viele Umbrüche und Neuanfänge gab. Zehn Jahre habe er viele Konfis begleitet.
Dankbar denke er an die zwei Jahre im Exil und die offene Gastfreundschaft bei den katholischen Kirchen im Ort zurück, in denen auch Neues im Rahmen der Ökumene entstanden sei wie das gemeinsame Erntedankfest und der Segensgottesdienst zum Jahresende.
Es war ein großer Tag für die evangelische Kirchengemeinde, als nach 22monatigem Exil bei den Katholiken im Ort die Rückkehr in die instandgesetzte und umgebaute Christuskirche vom Pfarrer und seiner Diakonin in beeindruckender Weise choreographisch inszeniert wurde und von jedem der über 300 Gäste ein Gebet zu Gott nach vorne zum Altartisch flog.
Am Ende seiner Rede ging der Pfarrer auch auf die Ereignisse nach der Zeit ein, als er an einem Sonntag im Oktober 2017 in der Christuskirche vor der versammelten Gemeinde erklärte, dass er sich seit Kindertagen im falschen Körper fühlt und fortan als Mann leben wird, was fortan deutschlandweit für Schlagzeilen sorgte, im April 2019 zu einer Buchvorstellung und im Mai 2020 zu einer Einladung ins SWR-Nachtcafé zum Thema "Leben unter Druck" führte (siehe nachstehende Links).
In den vielen Interviews, die er seit dieser Zeit gegeben habe, so Wolfrum, sei immer eine Frage gewesen, wie seine Gemeinde mit seiner Entscheidung umgegangen sei. "Ich bin stolz auf euch!" sagte er zu den Gläubigen, die gezeigt hätten, dass schwierige Lebenswege nicht trennen müssen, sie vielmehr den Eindruck hatte, dass es sie alle näher zusammen gebracht habe.
Wolfrum: "Ich war gerne über zehn Jahre euer Pfarrer, weil ich in allem immer Rückhalt gespürt habe, sei es im Kirchenvorstand, bei den Kollegen, den Mitarbeitenden oder auch bei zufälligen Begegnungen auf der Straße." Und so wünsche er sich am Ende: "Bewahrt euch dieses Vertrauen. Traut eurer Gemeinschaft etwas zu, in den nächsten Monaten der Vakanz und darüber hinaus. Und wer auch immer meine Nachfolge antreten wird erfährt: Hier kann ich gut Pfarrer sein."
Als Sebastian Wolfrum an einem Sonntag im Oktober 2017 in der evangelischen Christuskirche in Veitshöchheimvor der versammelten Gemeinde erklärt, dass er sich seit Kindertagen im falschen Körper...
http://www.veitshoechheim-blog.de/2019/04/veitshochheim-transsexueller-pfarrer.html
Die Besucher des Abschiedsgottesdienstes kamen in den Genuss einer wunderbaren musikalischen Umrahmung durch die Profimusiker Bernhard von der Goltz (zehnseitige Konzert-Gitarre und Orgel) und Rainer Schwander (Sopransaxophon) mit stimmungsvollen Stücken wie den schwungvollen Klezmertanz "Kuma echa" aus Israel zur Eröffnung. Jazzig wurde es mit "A Child ist born" und ganz auf Wolfrums bewegenden Lebensweg abgestimmt erklang instrumental Frank Sinatras "My way". Klassisch wurde es dann mit der festlichen "Bourrée" aus der "Orchester Suite Nr. 3 in D-Dur" von Johann Sebastian Bach und zum Abschluss ließ das Duo instrumental das katholische Jubel-Lied "Erde singe, dass es klinge" erklingen, in Anspielung auf die von Wolfrum praktizierte Ökumene.
"Gott hat sein Ja gesagt, zu dem es kein Nein gibt. Keine Vakanz, kein streitbarer Menschen, keine schwierige Situation, keine Kirchenleitung kann ein Nein gegen Gottes Ja setzen." Diese Paulus-Worte an die von allen Geistern verlassenen Korinther stellte Dekan Dr. Wenrich Slenczka in den Mittelpunkt seiner Ansprache. Diese für ihn schönste Botschaft des Neuen Testaments bleibe bestehen auch bei Schwierigkeiten, Krankheiten und Veränderung. "Sie haben miteinander durchlebt, was man selten in einem Jahrzehnt erlebt. Sie haben auch erreicht, was man nicht alle Jahre erreicht - man muss sich nur diesen schönen Kirchenbau ansehen," hob der Dekan hervor. Das Ja in Jesus Christus bedeute, dass er in all den Jahren in Höhen und Tiefen, in Schuld und Umkehr zu uns stehe, so auch als Grundlage für diese Gemeinde und alle, die hier in der Vakanz Dienst tun.
Dekan Dr. Wenrich Slenczka entpflichtet Pfarrer Sebastian Wolfrum als Seelsorger der Christuskirche.
Den Segen für Pfarrer Wolfrums weiteren Lebensweg erteilte Pfarrer Frank Hofmann-Kasang von der Evangelischen Kirchengemeinde Kürnach/Estenfeld.
Bürgermeister Jürgen Götz bestätigte dem Pfarrer, in Veitshöchheim im letzten Jahrzehnt viel bewirkt zu haben. Er dankte ihm auch im Namen seiner Kollegen in Thüngersheim und Thüngersheim für die langjährige gute Zusammenarbeit. Wie verwurzelt die evangelische Kirchengemeinde in Veitshöchheim ist, zeige, dass die Gemeinde die Generalsanierung der Christuskirche mit 250.000 Euro bezuschusst habe. Ihn habe als Bürgermeister besonders Wolfrums Aufgeschlossenheit zur Ökumene gefreut. Gerade auch während der Sanierung der Christuskirche seit die Verbundenheit beider Kirchen durch die Nutzung der katholischen Gotteshäuser ganz besonders deutlich geworden. Lobend erwähnte Götz, dass Pfarrer Wolfrum auch als Privatperson in der Gemeinde aktiv war, so im Schützenverein in verschiedenen Positionen als aktiver Schütze oder auch als Sportleiter und sogar Schützenkönig wurde.
Der katholische Ortspfarrer Robert Borawski (im Bild mit seiner Gemeindereferentin Roswitha Hofmann), sprach unter dem Blickwinkel der Ökumene von einer spannenden, von Erfolg gekrönten Zeit. Er erinnerte an viele gemeinsame Gottesdienste, die Einsegnung des neuen Gräberfeldes im Waldfriedhof und Wolfrums Predigt zum Allerheiligenfest. Borawski: "Ich denke, wir haben eine gute Figur gemacht, als wir das 66. Jubiläum des Fastnachtsverbandes Franken mit einem ökumenischen Faschingsgottesdienst eingeläutet haben."
Hochspannend sei auch die Zeit gewesen, als die evangelische Gemeinde Gast war in der Kuratiekirche während der Zeit der Generalsanierung ihrer Kirche. "Es hat einfach die Chemie gestimmt, wir haben vor Ort den gemeinsamen Glauben gelebt und belebt", so Borawskis Fazit.
Nach seiner Bitte an Dekan Slenczka, einen Pfarrer als Nachfolger zu schicken, der dies gute Zusammenarbeit fortsetzt, übereichte er an Wolfrum als Abschiedsgeschenk einen Füller, der aus einem Baum aus dem ehemaligen Bilhildis-Kindergarten in der Thüngersheimer Straße ist.
Der Senior des Pfarrkapitels des Dekanats, Pfarrer Johannes Riedel sagte Wolfrum Dank, für sein engagiertes Einbringen seiner besonderen Kompetenzen in den Pfarrkonferenzen, etwa als es um neue kreative homiletische Zugänge zu den Predigttexten der nächsten Zeit ging.
Mutig habe er stets das Wort ergriffen, wenn es Kritisches zu sagen gab, gerade auch in den schwierigen Zeiten der Konfliktberatung. Er habe konstruktiv mitgedacht, wenn es galt, etwas gut zu planen, habe Hand angelegt, wenn er gebraucht wurde.
Er habe Wolfrum bewundert, wie er nach dem Motto "Hier stehe ich, ich kann nicht anders" sehr offen seinen langwierigen Selbstfindungsprozess bewältigte, die Zeit einer Metarmorphose, mit all den Schmerzen, die so eine Verwandlung mit sich bringt. Er freue sich sehr, dass der Pfarrer nun das Licht am Ende des Tals erreicht habe. Als Abschiedsgeschenk überreichte Riedel ein paar Luther-Socken, auf denen das vorgenannte Motto steht.
Aus der 600 Kilometer entfernten Partnerkirchengemeinde Rechlin/Vipperow an der Mecklenburgischen Seenplatte angereist war Pastorin Verena Häggberg mit originellen Präsenten wie Wasser aus der Müritzsee, zwei Steinen in Herzform und einer Schiefertafel mit der Aufschrift "Der Herr segne und behüte Dich", um Pfarrer Wolfrum auf seinem Lebensweg alles Gute zu wünschen und darauf hinzuweisen, dass die Partnerschaft zwischen den beiden Kirchengemeinden auch nach Wolfrums Weggang weiterhin Bestand hat.
Eine Kiste mit ein paar handfesten und flüssigen Erinnerungsstücken aus den drei Gemeindeteilen gehörte zu den Präsenten, die Bernhard Köbler als Vertrauensmann des Kirchenvorstands an Pfarrer Wolfrum zum Abschied überreichte.
Zuvor hatte Köbler als Schlussredner beim Abschiedsgottesdienst mit blumigen Worten geschildert, wie der Kirchenvorstand mit Pfarrer Wolfrum in all den gemeinsamen Jahren zuweilen auf recht steilen Pfaden unterwegs war, an mancher Weggabelung der vom Leitwolf geplante Weg nicht so beschritten werden konnte, man bei anderen Wegen nach anfänglicher Skepsis aber überrascht, wie gut es doch war, gerade diese Richtung einzuschlagen. Letztendlich habe man rückblickend gemeinsam ein ordentliches Stück Weg geschafft. Für den Kirchenvorstand dankte Köbler dem Pfarrer sehr für die geleistete Arbeit in allen Bereichen der Kirchengemeinde und für die konstruktive Zusammenarbeit in allen Gremien.
Im Anschluss nach dem Gottesdienst bestand für die geladenen Gäste auf der Terrasse vor den Gemeinderäumen im Untergeschoss der Kirche die Möglichkeit, dem scheidenden Pfarrer persönliche Wünsche mit auf den Weg zu geben.
Mitglieder des Kirchenvorstands taten dies, indem sie Luftballons mit ihren Segenswünschen an den Pfarrer und seine Frau Johanna Klee überreichten, die diese dann in den Himmel steigen ließen. Beide hatten am 20. Mai in Veitshöchheim standesamtlich geheiratet. Nach über zehn Jahren als Gemeindepfarrer in Veitshöchheim wechselt nun Wolfrum ab September in die Landeskirche Braunschweig, in der bereits schon seine Frau seit Jahren arbeitet.
Ende Juli kommt schon der Umzugswagen. Bis dahin findet sich sicher noch die eine oder andere Gelegenheit, dem Pfarrer persönlich Lebewohl zu sagen. Eine Nachbesetzung ist noch nicht in Sicht und erfolgt in der Landeskirche erfahrungsgemäß etwa innerhalb eines halben Jahres. Da Pfarrer Wolfrum seine Stelle erst zum 01.09. verlässt, ist mit einer Nachbesetzung nicht vor April nächsten Jahres zu rechnen. Der Kirchenvorstand hofft, dass dies bis Ostern 2021 möglich ist.
Fotos (c) Dieter Gürz