Ausstellung von Kunstschülern des Gymnasiums Veitshöchheim im Jüdischen Kulturmuseum stößt auf großartige Resonanz
Die Kunstlehrerin des Gymnasiums Veitshöchheim Studiendirektorin Britta Habersack startete nach der Ausstellung "Lieber Vater Abraham ..." im Oktober 2017 mit ihrem P-Seminar erneut ein Kunstprojekt in Zusammenarbeit mit der gemeindlichen Kulturreferentin Dr. Martina Edelmann im Jüdischen Kulturmuseum (JKM) der Gemeinde Veitshöchheim.
Nun unter dem Titel "Verarbeitung" haben sich drei Schüler und acht Schülerinnen der Q 11 ab Beginn des Schuljahres im September 2018 intensiv mit einem Aspekt der jüdischen Kultur, Religion und Geschichte beschäftigt und mit verschiedenen künstlerischen Medien auf die vorhandenen Exponate reagiert. So entstanden, inspiriert von Exponaten des Museums Kunstwerke von Malerei, Zeichnung, Installation, Video, Objekt über Schrift, Collage, Modellbau, Tiefdruck bis hin zu Pappmachefiguren, Keramik und Mosaik.
Inzwischen in der Q 12 angekommen präsentierten die jungen Künstler v.l.n.r. Leonie Hoffmann, Maria Gryaznova, Lina Friederich, Vincent Katzenberger, Paul Buchholz, Anabel Hoyer, Sarah Mona Hassine, Johannes Knorr, Victoria Lesmeister, Lilli Vogel und Sarafina Schenk nun im JKM bei der Vernissage am Donnerstagabend ihre Arbeiten der Öffentlichkeit. Nach den Grußworten standen die Künstler an ihren Kunstwerken bereit, diese den Besuchern zu erklären.
Die Arbeiten können noch bis Ende März 2020 zu den Öffnungszeiten des JKM bestaunt werden.
Die Besucher der Vernissage waren alle begeistert von der Ausstellung und von einigen war zu hören, dass so manches Kunstwerk auf Dauer das JKM bereichern würde.
3. Bürgermeister Elmar Knorz brachte seine Freude darüber zum Ausdruck, dass erneut ein P-Seminar mit dem Museum zusammengearbeitet hat. Dieses Projekt zeige, dass es zusätzlich zu dem, was bisher im Museum dargestellt wird, es immer wieder andere Blickwinkel, Sichtweisen und Interpretationen gibt.
Knorz: "Das ist es auch, was unser Museum generell erreichen möchte: sich auseinandersetzen mit dem , was hier einmal gewesen ist und es auch verarbeiten." Damit erkläre sich auch der Titel der Ausstellung.
Die Gemeinde sei offen für weitere Projekte. Die neue Ausstellung im Museum biete dazu Ansatzpunkte, vielleicht auch, so der 3. Bürgermeister, der neue Mittelpunkt der EU, der in wenigen Stunden in Gadheim "offiziell" werde.
Dr. Bernhard Brunner, der ständige Stellvertreter des Schulleiters war bei der Ausstellungseröffnung aus drei Gründen hocherfreut.
Es sei keine Selbstverständlichkeit, dass die Schüler diese Kunstwerke geschaffen haben. Er stellte heraus, wie bedeutsam es ist, diese Form des Projektseminars an der Schule auf künstlerische Weise und über einen längeren Zeitraum etabliert zu haben, trotz des eng getakteten Unterrichts.
Die Vernissage offenbare zum zweiten, wie eng das Gymnasium mit der Gemeinde verbunden ist und durch die Öffnung nach außen aufgrund der Kooperation mit den Kulturschaffenden de Museums aber auch mit fachlichen Beratern von Shalom Europa und den Sponsoren.(Zahntechnik Schenk, Sparkasse Mainfranken und Falkenapotheke Veitshöchheim) in der Gesellschaft verankert ist.
Als dritten, ernsten Grund, der ihn sehr beunruhige, führte Brunner den seit einigen Jahren sprunghaften Anstieg an antijüdischen, antisemitischen Äußerungen und Taten an. Er zitierte die traurige Feststellung von Bundespräsident Steinmeier, der am 27. Januar anlässlich der Gedenkzeremonie zum 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau sagte, er habe den Eindruck, "dass das Böse noch vorhanden ist, das Böse das Gleiche ist".
Der stellvertretende Schulleiter findet es sehr bedrohlich, dass viele Dinge, die mit jüdischer Kultur und jüdischem Leben zusammenhängen, die man früher bestenfalls unter vorgehaltener Hand gesagt habe, mittlerweile in den sozialen Netzwerken frei geäußert und auf die Straße getragen werden.
Deshalb findet er es wichtig, dass sich junge Menschen auf offene Weise mit dem Judentum beschäftigen und so eigene Perspektiven und Einsichten gewinnen .Besonders bemerkenswert sei, dass die Schüler sich nicht allein auf die grausame Zeit des Holocaust fokussierten, sondern auch die jüdische Kultur, jüdische Musik, das jüdische Leben beleuchteten, was sonst immer ins Hintertreffen gerate.
Deshalb wünschte Brunner dieser großartigen Ausstellung möglichst viele Besucher und eine große Resonanz
Es bedankte sich auch P-Seminarleiterin Britta Habersack bei der Gemeinde, wieder hier sein zu dürfen. Sie verdeutlichte dann auch noch einmal die Intention P-Seminars "Verarbeitung".
Habersack: "Für uns war es nicht wichtig, in die große, weite Welt hinauszugehen und das Judentum im europäischen Zusammenhang mit Blick auf Israel zu sehen, sondern erst einmal wir ganz bei uns vor Ort zu Hause anzufangen und uns zu fragen, ob wir uns mit Personen identifizieren können, die hier gelebt haben und wir uns auch in die Rolle hineinversetzen können, wenn ich hier zu Hause bin und ich mich für meine Heimat engagiere und es kommt jemand, der von staatlicher Seite dies nicht bewilligt. Wie würde ich handeln, wenn ich damals in der Rolle gewesen wäre entweder eines Täters oder eines Opfers? Ich denke, in jeder Familie von uns sind hier noch in der Biographie Erinnerungen vorhanden."
Die Studiendirektorin sieht deshalb das P-Seminar nicht nur zur Eröffnung von Berufsbildern und zur Berufsqualifikation, sondern auch dahingehend, sich mit sich selbst und seiner eigenen Geschichte zu beschäftigen und vielleicht auch einen Teil der Gesellschaft wieder zurückzugeben, was man bisher bekommen hat. Es sei nicht selbstverständlich, hier einfach in Ruhe und in Frieden der Bildung nachzugehen und mystische Erziehung zu genießen, in Dialog zu treten mit Andersdenkenden, bei der Integration dabei zu sein. Dies sei ein Geschenk, das man vielleicht noch nicht zu schätzen weiß, was aber nach ihren Worten sehr zerbrechlich sein kann. Man solle sich deshalb immer bewusst werden, dass man dafür auch arbeiten müsse, damit es so bleibe wie es gerade ist.
In diesem Sinne wünschte Habersack ihren Schülern, sich auch in einem Ehrenamt für die Gesellschaft zu engagieren.
Alle Besucher waren eingeladen, sich am Buffet mit koscheren und nicht koscheren Snacks zu bedienen. Es gab auch koscheren Wein.
Der P-Seminar-Teilnehmer Johannes Knorr, seit kurzem als Cellist Mitglied im Bundesjugendorchester, umrahmte die Vernissage musikalisch mit "Allemande" und "Courante" aus der Cello Suite von J.S. Bach (arrangiert für Viola).
Einen Bezug zur Musik, dem Trauermarsch aus der 5. Symphonie von Gustav Mahler hatte denn auch das großformatige abstrakte, etwas aus dem Rahmen der Ausstellung fallende Acryl-Gemälde von Johannes Knorr. Vor Augen hatte er dabei die Synästhesie und den Ausspruch des 1933 bei Paris emigrierten jüdischen Malers Wassily Kandinsky (1866-1944) nach einer Opernaufführung: "Ich sah all meine Farben in meinem Kopf, sie waren alle vor meinem Auge, wilde Linien sprangen vor mir her." Der Schüler bediente sich dabei der unmittelbaren und dynamischen Maltechnik des Action Painting, in dem er die Farbe grob mit dem Pinsel auf die Leinwand malte und dann Farbe mit dem Pinsel auf das Bild tropfte ("drip-Painting")
Betroffenheit löste unter den Gästen der Vernissage der von Vincent Katzenberger im Rahmen des P-Seminars im Haus einer Bekannten in Ansbach gedrehte Film "Hunger" aus.
Im ersten Teil wurden zwei Zeitzeugen, darunter auch die bettlägerige Oma von Katzenbergers Bekannten nach ihrem Kontakt zu Juden in der NS-Zeit befragt. Sie war damals neun Jahre und plötzlich war ihre jüdische Freundin weg, was sie als schlimm empfand. Die zweite Zeitzeugin sagte, sie habe von der Judenverfolgung nichts mitbekommen. Aufwühlend im zweiten Teil "Verdrängung des Leids" die von Vincent produzierte Musik, von einem abgemagerten Freund des Margetshöchheimers theatralisch in Szene gesetzt vor einer Malerei, welches die Leiden im zweiten Weltkrieg abbildet (Foto oben).
Dazu war im Hintergrund ein Gedicht der jüdischen Dichterin Halina Nelken (1923-2009) zu hören, die 15 Jahre alt war, als die Deutschen in Krakau einmarschierten, die acht KZs überlebt hat, über die Erfahrungen in Form von Büchern und Gedichten berichtet und trotzdem den Glauben an die Menschen nicht verloren hat.
Besonders beeindrucken in der noch bis Ende März gehenden Ausstellung des Kunst-Seminars der Q 12 des Gymnasiums im Jüdischen Kulturmuseum die von allen elf Schülern jeweils gefertigten Kreidezeichnungen auf Papier mit Portraits ehemaliger Veitshöchheimer Juden an den Wänden des Synagogenraumes, zum Teil in doppelter Ausfertigung unterschiedlich interpretiert, da nicht so viele Fotos zur Verfügung standen.
Links portraitierte Lilli Vogel die nach Krasniczyn, Polen deportiierte Fanny Freudenberger (1877-1942), eine Mutter von vier Kindern.
Links malte Leonie Hoffmann das Portrait von Julius Freudenberger (1880-1942), deportiert nach Krasniczyn, Polen - beim Umzug der Familie von Unterleinach nach Veitshöchheim wurden ihre Möbel aus dem Wagen geworfen - rechts malte Anabel Hoyer ein Portrait von Heinrich Klein (1898-1942), deportiert nach Jungfernhof (Riga) in Lettland. 1935 hatte er noch das Ehrenkreuz als Frontkämpfer im ersten Weltkrieg erhalten. Zunächst aussichtsreich scheinende Emigrationsbemühungen für seine Familie scheiterten.
Kein Foto gibt es von dem jüdischen Kaufmannssohn Simon Höchheimer, der 1744 in Veitshöchheim geboren wurde, wo seit 1644 eine orthodoxe jüdische Landgemeinde und seit 1730 eine Synagoge bestand. Lina Friedrich füllte seine Silhouette mit Daten und würdigte in einer Collage von Texten das Wirken des 1828 in Fürth verstorbenen Mediziners und religiösen Aufklärers für die Gleichstellung der Juden. Seinen Namen trägt in Veitshöchheim die Simon-Höchheimer-Gesellschaft und nach ihm ist auch das Straßenstück von der Thüngersheimer Straße zu Mühlgasse benannt, an das die Synagoge angrenzt.
In einer zweiten Collage verdeutlicht die junge Künstlerin die noch heute geltenden Werte und Ziele Höchheimers wie Toleranz, Humanität, Bildung und Bekämpfung von Vorurteilen.
Neu geschaffen wurde bei der Neugestaltung des Jüdischen Kulturmuseums im Erdgeschoss des Museumsgebäudes, der bisher als Abstellraum diente, ein barrierefrei erreichbarer Einführungsraum, der an Schautafeln und auch filmisch über die jüdischen Erinnerungsorte in Unterfranken informiert. Hier erregen in dem sonst spartanisch ausgestatteten Raum nun die von Leonie Hoffmann im Rahmen der Ausstellung platzierten beiden lebensgroßen Pappmaché-Figuren sofort das Interesse der Besucher.
Während die rechte Figur angesichts des Holocaust die Ohren zuhält, strahlt die linke Figur die positive Aufbruchstimmung nach der Neugründung des Staates Israel im Jahr 1948 aus, die eine Rückkehr von Juden in das „Gelobte Land“ ermöglichte.
Als Vorlage diente Leonie Hoffmann die Ausstellungsstücke "Menge" der von 1930 bis 2017 lebenden polnischen Künstlerin Magdalena Abakanowicz. Die Kunst wurde für diese zur Ausdrucksform, um vor allem die Schrecken der Naziherrschaft und des Zweiten Weltkrieges in Polen und die sich anschließende sowjetische Dominanz zu verarbeiten.
In einem historischen Straßenbahndepot im stillgelegten E-Werk Weimar ist seit 1999 die Rauminstallation „Konzert für Buchenwald“ auf einem kurzen Schienenstrang der Künstlerin Rebecca Horn aus lauter Geigen, Gitarren und Instrumentenkoffern zu sehen, die symbolisch für einzelne Schicksale stehen. Die international beachtete Arbeit gilt als eines der bedeutendsten Beispiele zu dem Thema Holocaust in der zeitgenössischen Kunst in Deutschland.
Sarafina Schenk möchte dagegen mit ihrem Kunstwerk keine Verbindung zum Holocaust herstellen, sondern mit ausgewählten Bibelstellen aus dem Alten Testament, aufgeklebt auf ihre Geige, die jüdische Musik und die Gemeinsamkeiten von zwei Weltreligionen aufgreifen. Denn auch heute noch vergesse man, wie eng das Judentum und das Christentum miteinander verbunden sind.
Aus Ton gebrannt hat Sarah Mona Hassine einen noch nicht fertigen Channukkia-Leuchter (dessen acht Kerzen zum jüdischen Chanukkafest entzündet werden) und eine Challa (ein geflochtenes Weißbrot, das die Juden am Schabbat und an den Feiertagen essen).
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Paul Buchholz kreierte als raumgreifendes Objekt eine offen gestaltete architektonische Skulptur aus Pappe und Holz, die interpretatorisch die Jüdische Gemeinschaft dynamisch, raumgreifend wachsend in gegenseitigem Vertrauens- und Abhängigkeitsverhältnis darstellt.
Es ist quasi der Gegenentwurf zum 1999 eröffneten Jüdischen Museum in Berlin des US-amerikanischen Architekten jüdischer Herkunft Daniel Libeskind (*1946), das durch seine Titan-Zink-Fassade mit wenigen Fenstern nach außen hin abweisend, bedrückend und abgeschottet wirkt.
"Zusammenspiel von Natur und Stein" nennt Maria Gryaznova ihre Kunstwerkserie zum jüdischen Friedhof in Würzburg unter Verwendung verschiedener Medien in Acrylmalerei und Pastellzeichnungen.
Sie sind geprägt von schlichten Grabsteinen (Gleichheit aller im Tod), alle nach Jerusalem ausgerichtet, keine Umbettung möglich, traditionell kein Blumenschmuck. In der Malerei links ist die Natur, das Leben, wieder im Vormarsch.
Der künstlerische Reiz des Friedhofsmotivs war für die Schülerin die Auseinandersetzung mit alter jüdischer Kultur und das Memento Mori, die Erinnerung an die eigene Sterblichkeit und Verdrängung von kulturellen Unterschieden.
Victoria Lesmeister wählte das Mosaik als Gestaltungsform, eine schon im Altertum bekannte und beliebte Gattung der bildenden Künste, die auch in der jüdischen Kunst eine große Bedeutung erlangte.
Ihr Mosaik mit dem hebräischen Symbol "Chai" symbolisiert mit seiner positiven Ausstrahlung den Wert des Lebens an sich und den Willen dieses zu erhalten und zu schützen, auffindbar in vielerlei Ausdrücken und Lebensbereichen des Judentums. Das "Gold" ist Symbol des himmlischen oder göttlichen Lichts, des Ruhmes Gottes. Das "Blau" soll die Gläubigen an Gott im Himmel über ihnen erinnern.
Höchst sehenswert ist auch die farbenprächtige Bilderreihe von Lilli Vogel zu den Geschichten der Tora v.r. "Wasser" (Sintflut bei Noah), "Feuer" (Offenbarung am Dornenbusch an Mose), "Himmel" (Geschichte von Abraham und seinen Kindern) und "Erde" (Wüstenwanderung der Israeliten unter Mose).
Inspiriert hat die Künstlerin "Five Angels für the Millenium" von Bill Viola, dessen Werke jenseits der menschlichen Wahrnehmung liegen, während das Bewusstsein eines jeden Menschen auf das tägliche Leben fokussiert ist.
Anabel Hoyer orientierte sich am italienischen Künstler Michelangelo Pistoletto (*1933), der mitbanalen, gebrauchten "kunstfernen" Alltagsgegenständen Kunst als Wahrheitssuche definiert und mit sogenannten "Minusobjekten" Kritik an Pop-Art übt, welche der globale Konsum mit sich bringt.
Die Schülerin wiederum widmete ihre Arbeit der bei Renovierungsarbeiten 1988 auf dem Dachboden der Veitshöchheimer Synagoge entdeckten Ablage von Schriftstücken mit Bezug auf den Namen Gottes, die zum "Genisaprojekt Veitshöchheim" avancierten und den Grundstock für das JKM bilden. Mit ihren in einem alten Koffer abgelegten Dingen möchte Anabel Hoyer dagegen zum Ausdruck bringen, dass in Zeiten des Internets eine Genisa nicht notwendig ist.
Fotos (c) Dieter Gürz