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Faszinierende Klezmer-Musik von Sher on a Shier lockte 140 Zuhörer zum 5. Veitshöchheimer Synagogenhofkonzert

Veröffentlicht am von Dieter Gürz

Mit faszinierenden Klangfarben in ihren Bann zog das seit 2011 bestehende Klezmerensemble "Sher on a Shier", bestehend aus v.l.n.r. dem Geiger Johannes Paul Gräßer aus Erfurt, der Kontrabassistin und Querflötenspielerin Sabine Döll aus Bad Enbach, der Akkordeonspielerin Paula Sell aus Berlin und der Klarinettistin Anja Günther aus Würzburg die 140 hellauf begeisterten Zuhörer beim fünften Sommerkonzert der Gemeinde im idyllischen Synagogenhof.

Vor der Rekordkulisse der bisherigen fünf Sommerkonzerte bot "Sher on a Shier", frei übersetzt aus dem Jiddischen "der nicht endende Tanz" heißend, die ursprünglich auf Festen oder Hochzeiten gespielte spezielle Musik der alten Klezmerkapellen Osteuropas in einer neuen Interpretation voller Rhythmik, meist jubilierend, mal verspielt und freudvoll und manchmal auch in klagenden oder melancholischen Molltönen.

Schon der schwungvolle Auftakt "Z'is vi zucker Bulgar" riss das Publikum sofort mit und offenbarte sogleich eine Musik, die zum Tanzen und Mitwippen einlädt, so auch bei "Anja's Sher" (Anja's Tanz). In beiden Stücken ließ Anja Günther ihre Klarinette in den höchsten Tönen jubilieren, mit großer Fingerfertigkeit so auch bei der Beifall umrauschten "Fiddl Sirba", in Höchstgeschwindigkeit gleich einem flotten Ländler.

Zu diesem Genre zählte auch die fetzige, förmlich in einen Trancezustand versetzende, mit Bravorufen belohnte "Perenitsa". Mitreißen ließen sich die Zuhörer auch vom tollen Rhythmus des "Skozne", dem letzten Programmbeitrag des Ensembles vor den beiden Zugaben, bei dem so richtig die Post abging.

Als Kontrast zu diesen rasanten Stücken lud das Ensemble zwischendurch auch immer wieder zum Träumen ein mit Beiträgen wie "Dobranotsh" ("Zur guten Nacht") mit stimmungsvollem Querflötensolo, der ausdruckstarken Komposition "Amsterdam Hora" und  dem von Geige und Akkordeon in zarten Klangfarben in Szene gesetztem Schlaflied "Nigu Nr. 138" (Foto oben).

Meisterhaft auf spielte der Geiger Johannes Paul Gräßer bei der von "Sher on a Shier" zum tollen Klangbild "Gilgul Hora" weiterentwickelten jüdischen Folklore der "Hebräischen Melodie" des Komponisten Joseph Achron aus der Petersburger Schule (um 1919), bis Akkordeon, Querflöte und Klarinette in vollendeter Harmonie zu einem majestätisch anmutenden Klangbild einstimmten (Foto unten).

Die vier Vollblutmusiker präsentierten so Klezmermusik ganz ohne Gesang, entlockten vielmehr ihren Instrumenten fantastische Sequenzen und brachten Stücke quasi zum Sprechen wie bei "Manea", ein Liebeslied türkischen Ursprungs und ausnahmsweise nicht Klezmer typisch. Hier ließ Sabine Döll ihren  Kontrabass verblüffend ähnlich dem pochenden Herzschlag der Verliebten erklingen, die anderen Instrumente dominierend.

Hingebungsvoll inszenierten Döll - dieses Mal mit der tiefen Querflöte - und die Akkordeonistin Paula Sell, den Gesang eines Kantors in der Synagoge nachempfindend, im ersten Teil das getragene Stück "Doina" und im Anschluss das flotte "Serba", bis dann am Ende die Klarinette und die Geige das Kommando übernahmen.

Immer wieder in Blickkontakt und sich tänzerisch bewegend, brillierten die Klezmervirtuosen, sich höchst homogen ergänzend, bei zahlreichen Soli und entlockten ihren Instrumenten extravagante Tonfolgen.

Noch einmal alles aus ihren Instrumenten heraus holten dann die vier Musiker bei den beiden Zugaben. So klatschten beim wie ein  Kasatschok-Tanz klingenden "Freylekh 148" alle mit ehe es mit "Azoy Lang" nochmals melancholisch wurde.

Mit dem Gesang "Sei gesund, Zeit zu gehen" verabschiedete sich das Ensemble von den beschwingten und langanhaltend Beifall spendenden Zuhörern.

BIOGRAPHIEN DER KÜNSTLER (laut Homepage)

Die in Würzburg lebende Anja Günther zählt zu den wichtigsten jungen Klarinettistinnen der deutschen Klezmer-Szene und spielte auf zahlreichen Bühnen im In- und Ausland (Yiddish Summer Weimar, Ethno Krakow Festival, University of Music Haifa, Internationales Akkordeonfestival Wien).

Ihre ersten Berührungspunkte mit Klezmermusik hatte sie bereits im Alter von zehn Jahren. Seitdem beschäftigt sie sich kontinuierlich mit diesem Genre. Mit „Sher on a Shier“ widmet sie sich dem Klang der alten Klezmerkapellen.

Zudem unterstützt sie seit 2015 als Klarinettistin das „Klezmerorchester Erfurt“. 2017 war sie als Klarinettistin des interkulturellen Projektorchesters „The Caravan Orchestra“ in Israel und spielte gemeinsam mit palästinensischen, israelischen und deutschen Musiker*innen ein Programm, dass musikalisch, wie menschlich eine außerordentliche Wirkung hinterließ.

Sie studierte an der Hochschule für Musik Würzburg den Bachelor in Elementarer Musikpädagogik (Prof. Barbara Metzger) mit Beifach klassische Klarinette sowie den künstlerisch-pädagogischen Master (Prof. Metzger/Prof. Busch) in Elementarer Musikpädagogik mit den Schwerpunkten Hochschuldidaktik, Praxis Gruppenunterricht und Konzertpädagogik.

Im Jahr 2014/15 erhielt sie ein einjähriges Stipendium an der Königlichen Musikhochschule in Stockholm (SE). Inzwischen lehrt sie als Dozentin an der Hochschule für Musik Würzburg das Fach Rhythmik. Desweiteren ist Anja Günther als Lehrkraft für Klarinette tätig und bietet Kurse zum Elementaren Musizieren an.

Die in Berlin wohnende Paula Sell ist eine  selbständige Vollblutakkordeonistin.
Sie reiste bereits in jungen Jahren mehrfach nach Bulgarien, um dort bei den Meistern der Balkanmusik ihre Akkordeonkünste zu verfeinern. Außerdem war sie Schülerin der Berliner Balkan- und Klezmerakkordeonistin Franka Lampe. Seit Jahren mischt sie nun in unterschiedlichen Formationen und Projekten die Berliner Musikszene auf und gibt Konzerte in ganz Deutschland und Österreich (u.a. mit der Band „?Shmaltz!“, ihrem Piratinnen-Trio „The hinking sinking ladies“ und im Balkantanzhaus Berlin).

Darüberhinaus wirkt Paula Sell an der Musik zahlreicher Film-, Theater- und Hörspielproduktionen mit und tritt mit Märchenerzähler*innen und Puppenspieler*innen auf.

2007 bis 2011 absolvierte sie ein Tonmeisterstudium an der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam und arbeitet unter anderem als O-Tonmeisterin für Dokumentarfilme.

Johannes Paul Gräßer lebt in Erfurt. Er gehört zu den führenden Geigern der Klezmerbewegung und ist Förderer der jiddischen Musikszene in Thüringen. Er ist Mitglied und Initiator verschiedener Ensembles.

Mit dem „modern klezmer quartet“ interpretierte er Schostakowitschs op. 79 „Lieder aus jüdischer Volkspoesie“ und mit der Gruppe „Sher on a Shier“ widmete er sich dem Klang der alten Klezmerkapellen Osteuropas.

2006 war Johannes Paul Gräßer Mitbegründer der internationalen Band „Daniel Kahn & The painted Bird“, mit der er die ersten zwei Alben aufnahm. Mit „The Klezphonik Light Orchestra“ kreierte er ein Ensemble neuer jiddischer Musik und mit dem Programm „Rumeynishe Fantasien“ spielt er Klezmer im Grenzbereich zwischen Klassik, Tradition und Erneuerung.

Er ist Begründer und Leiter des „Klezmerorchester Erfurt“, ein aus über 50 Laienmusikern bestehendes Projektorchester, das seit 2015 mit der Unterstützung renommierter Musiker*innen projektbezogene Konzerte spielt.
Darüber hinaus konzipiert und produziert er Veranstaltungen, Konzerte und Seminare in ganz Deutschland.

Sabine Döll, Querflöten und Kontrabass, studierte an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt mit dem Hauptfach Querflöte.
Sie arbeitet als freischaffende Musikerin, konzertiert in verschiedenen Ensembles (u.a. „Farrenc-Trio“ und bis 2010 „Klezmers Techter“), unterrichtet Schüler, leitet Chöre und erteilt Atemseminare.

Sabine Döll ist Preisträgerin des internationalen Kammermusik-Wettbewerbs in Privas (F). Seit vielen Jahren beschäftigt sie sich intensiv mit der Klezmermusik.

Als Solistin und mit verschiedenen Ensembles gastierte sie auf zahlreichen Konzerten und Festivals im In- und Ausland und arbeitet als Dozentin diverser Klezmerworkshops.

Sabine Döll lebt in Bad Endbach.

 

Fotos (c) Dieter Gürz

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