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Handwerker und Abiturient in einem - Veitshöchheimer Mittelschüler informierten sich über das Berufsabitur in nur drei Kernfächern

Veröffentlicht am von Dieter Gürz

Sie haben gut lachen, die drei Absolventen der Berufsschule Plus (BS+), im Bild zusammen mit der BS+-Leiterin Oberstudienrätin Edda Thomas von  der Staatlichen Berufsschule Mainspessart in Karlstadt. Das Trio informierte heute 22 Schüler der Klasse M 10 der Veitshöchheimer Mittelschule darüber, wie sie nach der mittleren Reife mit dem Berufsabitur Fachhochschulreife und Berufsausbildung miteinander verknüpften, nun an der Fachhochschule studieren und parallel dazu als Werkstudenten in ihren Ausbildungsbetrieben in Teilzeit maximal 20 Stunden weiterarbeiten.

Alle drei begannen nach der mittleren Reife zunächst eine duale Berufsausbildung, Tina aus Maidbronn als Industriekaufmann, Jonathan aus Holzkirchen und Franzi aus Helmstadt als Fachinformatiker bei der Firma Schneider Electric Automation GmbH in Marktheidenfeld-Altfeld. Alle drei besuchten dann ab dem zweiten Ausbildungsjahr drei Jahre lang parallel zur Berufsausbildung jeweils montags und donnerstags von 18:30 (im 3. Jahr 17.45 Uhr)  bis 20:45 Uhr die Berufsschule Plus in Karlstadt.

Voraussetzung für den Besuch der BS+ war, dass sie im Zeugnis ihres mittleren Schulabschlusses einen Notendurchschnitt von mindestens 3,5 in den Fächern Deutsch, Englisch und Mathematik aufwiesen und eine Kopie ihres Ausbildungsvertrages vorlegen konnten. Bevor das Trio die Ergänzungsprüfung für die Fachschulereife ablegten, waren sie, da sie die BS+ erst im zweiten Ausbildungsjahr in Angriff nahmen, nach Beendigung der Berufsausbildung vor dem Studium noch ein Jahr in ihrem Betrieb normal beschäftigt.

Im zweiten Semester studieren nun Tina BWL und die beiden anderen Wirtschaftsinformatik. Karrieretechnisch hat sich also ihr Aufwand gelohnt.

Zwei Mal die Woche zusätzlich Abendunterricht in den in der Tabelle aufgezeigten Fächern Deutsch, Englisch, Mathematik sowie Natur- und Gesellschaftswissenschaft (in den ersten beiden Jahren sechs und im dritten Jahr sieben Wochenstunden), das war natürlich durchaus eine Doppel-Belastung für die jungen Leute, zumal sie ja auch weite Wege nach Karlstadt zurückzulegen hatten. 

Sie brauchten deshalb schon eine Menge Durchhaltevermögen. Aber sie hatten ja nichts zu verlieren, denn ihre Berufsausbildung lief ja normal weiter.  Dafür brachte ihnen die Berufsschule+ viele Vorteile: Sie hatten das Fach-Abi schneller in der Tasche als über die BOS, die erst nach der Lehre und dann in Vollzeit besucht werden muss. Auch brauchten sie ihr Abi nur in drei Fächern machen (Mathe, Deutsch, Englisch). Das Profilfach (Wirtschaft, Technik, Pädagogik und Psychologie, Gesundheit etc.) ersparten sie sich. Hier wurde ihnen ihre praktische Ausbildung angerechnet.

Und sie konnten die ganze Zeit über Geld verdienen. Tina: „Das machte mich finanziell unabhängiger von meinen Eltern.“ Jonathan konnte während der drei Jahre auch seinem Fußballsport nachgehen, hatte der Trainer Verständnis, dass er nur am Dienstagabend aber nicht donnerstags zum Training kommen konnte. Tina ermöglichte ihr Hobby Tennisspielen am Wochenende einmal vom Lernen auszuspannen.

Wie Oberstudienrätin Edda Thomas erzählt, sei nicht der Lehrstoff von BS+ das Problem. Viele würden das Pensum, tagsüber zu arbeiten und dann noch abends im Unterricht zu sitzen und sich zu konzentrieren nicht schaffen. Viele würden deshalb aufgeben. So seien aus  ursprünglich 30 Bewerbern in jedem Schuljahr an die zwölf übriggeblieben, die dann auch problemlos die Prüfung schaffen würden. Es sei noch keiner durchgefallen. Wie sie sagt, seien ihre übriggebliebenen Schüler hochmotiviert und würden in der Regel sowohl beim beruflichen Abschluss als auch im Abitur ähnlich gute Noten bekommen.

BS+ macht so nach ihren Worten aus einer Schnittstelle eine "Nahtstelle" und ist für leistungsstarke, praxisorientierte Jugendliche,  wie sie ihre mitgebrachten Schützlinge sind, ohne Zweifel eine sinnvolle Alternative. Das Berufsabitur könne durch die Vereinung von Hochschulreife und Berufsausbildung dazu beitragen, den Fachkräftemangel im Handwerk zu lindern.

In Unterfranken wurde bisher dieser Bildungszweig seit 2012 nur an den Staatlichen Berufsschulen in Bad Kissingen und in Karlstadt für die Region Würzburg angeboten, neuerdings nun auch in Aschaffenburg.

Für Theresia Öchsner, als Übergangsmanagerin der Handwerkskammer Service GmbH  seit elf Jahren an der Veitshöchheimer Mittelschule tätig, war es ein Anliegen erstmals auch ihr Klientel über diesen noch nicht so bekannten Bildungsweg zu informieren. Denn viele ihrer M-Schüler stünden zum Schulschluss vor der Frage, sollen sie eine Ausbildung beginnen oder weiter zur Schule gehen? Das Berufsabitur eröffne  für sie einen Mittelweg, sowohl eine Ausbildung als auch das Abitur zu machen. Möchte dann jemand die Fachrichtung ändern, beispielsweise Medizin studieren, dann können junge Menschen nach Abschluss der "BS+"-Maßnahme als Vollzeitschüler die 13. Jahrgangsstufe der Berufsoberschule absolvieren und dabei fachgebundene und auch die allgemeine Hochschulereife (mit zweiter Fremdsprache) erwerben.

Im Vergleich zum traditionellen Abi und einer anschließenden Lehre würden Jugendliche mit dem Berufsabitur ein bis zwei Jahre sparen.

Größere Unternehmen würden mit dem Berufsabitur zudem auch das Ziel verfolgen, künftige Führungskräfte heranzuziehen. Im Handwerk wären die Turbo-Lehrlinge – egal ob sie anschließend studieren oder in der Praxis bleiben – geeignete Kandidaten für eine Betriebsübernahme.

Und so bekundeten am Ende der Vorstellung von den 22 M10-Schülern zwei ihr Interesse am Berufsabitur, so auch der Junge im roten Sweetshirt rechts), der bereits einen Ausbildungsvertrag beim Autohaus Spindler als Kfz-Mechatroniker in der Tasche hat und dem vorschwebt, sich eines Tages selbständig zu machen.

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