Lesung Roman Deininger und Uwe Ritzer in Veitshöchheim: Markus Söder - Charakter, Aufstieg und Politikstil des neuen starken Mannes der CSU
Büchereileiter Martin Wehner (rechts) freute sich am Dienstagabend, die beiden Journalisten der Süddeutschen Zeitung Roman Deininger (links) und Uwe Ritzer zur Lesung über ihr Buch „Markus Söder. Politik und Provokation“ in der Veitshöchheimer Bücherei im Bahnhof zu einem für alle Besucher interessanten Abend vorstellen zu können.
Uwe Ritzer, Wirtschaftskorrespondent bei der SZ mit Sitz in Nürnberg, hat sich mit diffizilen Recherchen einen großen Namen gemacht, etwa über die Schmiergeldaffäre bei Siemens, den Fall Gustl Mollath oder den Manipulationen bei der Vergabe des Autopreises „Gelber Engel“ beim ADAC, für die er große Auszeichnungen wie den Wächterpreis erhalten hat.
Roman Deininger, ist politischer Reporter der SZ, in Ingolstadt aufgewachsen, der mit einer Arbeit über Politik und Religion promoviert hat und die Arbeit der CSU seit vielen Jahren journalistisch begleitet.
Wie Wehner zur Einführung sagte, haben die beiden für Söders Autobiographie zwei Jahre lang gründlich recherchiert, mit Leuten aus allen Ebenen der Politik gesprochen.
Ritzer: "Dieses Buch war für uns eine Wette für die Zukunft. Wir beide waren überzeugt, dass zu einem Zeitpunkt, als die Entscheidung CSU-Vorsitz oder Ministerpräsident für Söder noch gar nicht anstand, er es wird." Dass er das sei, was sie auch bei den Recherchen immer wieder hörten, nämlich "der Unverhinderbare".
Markus Söder sei definitiv jemand, der seine Karriere so aufgebaut hat, dass einfach kein Weg an ihm vorbeiführt. Dafür tue er alles: mehr als 1000 Termine im Jahr, mehr als 100.000 gefahrene Kilometer.
Mit dem Droemer-Verlag hätten sie vereinbart, dann mit dem Schreiben anzufangen, wenn es soweit ist, nämlich nach dem er beim CSU-Parteitag im Dezember letzten Jahres in Nürnberg zum Kandidaten des Ministerpräsidenten ausgerufen wurde. Vor ungefähr drei Monaten, so Ritzer, hatten sie dann das Buch aufgeschrieben. Von Vorteil sei gewesen, dass sie zuvor mit über 100 Menschen sprachen, aus allen möglichen Ebenen von der Partei und Freunden, die früher mit ihm gearbeitet haben, aus Ministerien, wo er Minister war oder andere Funktionen hatte und ihn sehr intensiv begleiteten.
Die Hauptzeit der Recherchen hatten sie geführt, so Ritzer, als es diesen Machtkampf Söders mit Seehofer gab. Dabei hätten sie sehr kuriose Dinge erlebt, etwa dass namhafte Menschen ein Vierteljahr vor Söders Inthronisierung zum Landesvater noch freizügigst über ihn geschimpft haben, dann aber nach der Nominierung wieder einen Rückzieher machten.
Über die Entstehung des Buches führten die Beiden aus, dass sie sich manche Bereiche wie die JU-Zeit Söders oder den Machtkampf mit Seehofer aufgeteilt, aber auch viele Termine gemeinsam gemacht hätten, beispielsweise sich mit Edmund Stoiber stundenlang unterhalten haben. Sie hätten dann eine Gliederung erstellt und festgelegt wer welche Kapitel schreibt. Sie hätten sich dann die Kapitel gegenseitig zugeschickt und auch im Korrekturmodus reingeschrieben. Handwerklich sei dies kein Problem gewesen.
"Wenn Markus Söder auf einer Veranstaltung außerhalb von München oder Nürnberg ist, dann wird er immer mit herzlichen Applaus und freundlichen Worten begrüßt." Dann stelle er sich nach den Worten von Roman Deininger hin und sage: "Danke für das Lob, es war angemessen." Deininger wiederum dankte Wehner für die einführenden Worte "Danke für das Lob, es war schmeichelhaft."
Ritzer sagte, Veitshöchheim sei ihm schon seit 20 Jahren geläufig, durch seine Berichterstattung über die BR-Live-Sendung und seine daraus resultierende Bekanntschaft mit dem Fränkischen Fastnachtspräsidenten Bernhard Schlereth, der anwesend war und die Lesung in Veitshöchheim in die Wege geleitet hatte.
Das Duo verdeutlichte zu Beginn, dass sie mit ihrer Lesung Wahlkampf weder für noch gegen Markus Söder machen, sondern sich der Person Söders in ihrer Vielschichtigkeit widmen. Und der Ministerpräsident sei darüber informiert, dass sie hier seien.
Zum Einstieg stand der Humor im Mittelpunkt der Lesung des Duos, für Söder die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Söder sei Hobby-Schwimmer, Hobby-Tennisspieler und Hobby-Kabarettist, für den alles Kampf sei und der immer gewinnen wolle, nicht nur in der Diskussionsrunde von Anne Will, sondern in jeden kleinen Wortwechsel.
Ein Sieg auf dem Feld der Satire sei für Söder süß, eine Niederlage sehr bitter. Er sei zwar tatsächlich ein sehr witziger Mensch, aber ausbleibender Applaus gehe ihm sehr nahe. Als Beispiele führte Deiniger das Abwatschen Söders durch Luise Kinseer auf dem Nockerberg 2016 oder seinen Reinfall als Ordensritter wider den tierischen Ernst ebenfalls 2016 in Aachen an. So berichtete der Journalist auch über eine erstaunliche Verletzlichkeit Söders bei kritischen Pressemeldungen.
Dagegen habe der Bibel belesene Söder große Routine und Offenheit in der Entgegennahme von Huldigungen. Er tue viel Gutes, wolle dabei aber auch gesehen werden.
Über viele Jahre sei ihm bei der Fastnacht in Franken in Veitshöchheim aufgefallen, so ergänzte Ritzer, dass Söder nach den Fotoaufnahmen immer strigent durchs Foyer zu seinem Platz ging. Von Stoiber sei er immer herzlich begrüßt werden, aber zu Zeiten Seehofers als Ministerpräsident habe er hier irre Situationen erlebt. Geradezu das Gegenteil sei heuer der Fall gewesen, als nun Söder als Landesvater sich ganz anders gab, viel früher da war, durchs Foyer Saal flanierte, unterwegs Selfies machte und von hinten durch den Saal lief.
Wie die beiden berichteten, hätten sich bei ihren intensiven Recherchen und Begleitung viele mitunter auch sehr lustige Szenen zugetragen, die viel über die Person Söder aussagen. So sei er 1,94 Meter groß und lege Wert auf die Feststellung, dass er einen satten Zentimeter größer als sein großer Gegenspieler Horst Seehofer sei.
Das Bierzelt, so Ritzer, ist für Markus Söder so etwas wie sein zweites Wohnzimmer, ein Politiktempel, ein riesiger Stammtisch, in dem sich der politisch und der alkoholische Rausch verbinden und in dem in Bayern die politische Wahrheit liege. In diesem erreiche er auch die Leberkäs- und Hendl-Etage, also die hinteren Reihen, so lobe ihn sein Ziehvater Edmund Stoiber.
Söders einzelne Bierzelt-Rede würde viel über ihn als Politiker verraten, dass es ihm an Selbstbewusstsein und Witz keinesfalls mangele. Hier gebe es nur schwarz oder weiß, falsch oder richtig und diese Sprache beherrsche der Politikprofi wie kaum ein anderer etwa "In Bayern gilt das Grundgesetz und nicht die Scharia". Er schmeichele seine Zuhörer, dass er einer von ihnen ist und nicht zu den "Großkopfeten" gehöre. Er wiegele sie auf, ohne von ihnen etwas abzuverlangen. Typisch sei für ihn auch seine Bayernliebe "Der Freistaat ist das stärkste und schönste Land der Welt" und sein hemmungsloser Berlin-Spott. Und die Leute seien begeistert, auch die hinten im Zelt.
Söder erzähle im Gegensatz zu anderen Politikern im Bierzelt auch Privates, seine beinahe amerikanisch anmutende Aufstiegsgeschichte und was ihn so antreibe, etwa wenn er sagt "Ich habe meinen Doktor gemacht ..... und (im Gegensatz zu seinem langjährigen Rivalen Karl-Theodor zu Guttenberg) bis heute behalten". Söder sei nämlich immer ein Freund des Wettbewerbs und brauche einen Gegner, an dem er sich messen könne.
Und was Söder ausmache, unterstreiche eindrucksvoll die Bierszene, als ihm ein Kellner auf Bitten seiner Gefolgsleute ein Wasser serviert und er wie ein Räuberhauptmann lächelnd ins Zelt ruft "Ja habt ihr nicht was Anständiges zu trinken?" Das Publikum, das sein Bekenntnis zum Alkohol schon längst abgelegt habe, johle schließlich vor Begeisterung. Obwohl ein jeder in seinem Umfeld wisse, dass Söder kein Bier trinkt, stemme er die Maß hoch, proste ins Zelt, das er so mit einem Schlag erobert, nippe aber nur kurz und stelle die Maß hin, ohne sie weiter anzurühren. Ritzer: "Dies ist eine Demonstration von Schamlosigkeit, aber auch von Cleverness."
Es folgten Basics über die Herkunft von Markus Söder: Aufgewachsen in einer Doppelhaushälfte mit Eltern und Schwester im Nürnberger Westen, wo der Vater ein Maurergeschäft mit 15 Handwerkern hatte. Im Gymnasium sei er in den 80er Jahren ein Außenseiter gewesen. Ein politisches Urerlebnis war für ihn der Auftritt von Franz-Josef Strauß in Nürnberg, der ihn so beeindruckte, dass er als 16jähriger in die JU der CSU eintrat. Schon bei seinem ersten Versammlungsbesuch wird er zum Beisitzer berufen und übernimmt später einen Ortsverband der CSU. Er hatte schnell den Ruf als "Immer-da-Söder" alles selber zu machen, vom Mini-Golf-Turnier, übers Grillfest und habe sich nie auch in seiner weiteren politischen Karriere gedrückt. So habe er sich bei der CSU in Nürnberg Punkt für Punkt nach oben gearbeitet. Mit 27 Jahren wurde er 1994 Landtagsabgeordneter, mit 36 Jahren Generalsekretär unter Edmund Stoiber, mit 40 Minister.
Das "System Söder" charakterisiere, dass er nie einer von denen war, die vom Establishment gefördert und gehoben wurde. Einzige Ausnahme war, als Edmund Stoiber den kleinen Landtagsabgeordneten zum Generalsekretär der CSU beförderte, quasi auch das Sprungbett für weitere Ministerämter. Im Detail schildert Ritzer in dem Buch, wie Söder bei der Kandidatur für den Landtag dem hochdotierten CSU-Favoriten Gebhardt völlig aus dem Rahmen fallend mittels amerikanischem Wahlkampf den Rang ablief und auch den favorisierten SPD-Mann Scholz schlug, obwohl Söder von der Nürnberger Presse völlig ignoriert wurde.
Im Landtag sei er gleich durch seine Forschheit aufgefallen, was dazu führte, dass er kurz darauf JU-Landesvorsitzender wurde. Schon Anfang der 2000er habe festgestanden, dass der Söder was wird, vor allem weil Edmund Stoiber sein Auge auf ihn geworfen hatte. Ohne diesen, so habe Söder Jahre später gesagt, wäre sein Weg wohl anders gelaufen. Ausführlich schildert Ritzer in dem Buch auch, wie dies szenisch im Haus Söder ablief, als er 2003 CSU-Generalsekretär wurde. Söder habe zu diesem Zeitpunkt als der ehrgeizigste und vielleicht auch talentierteste CSU-Politiker in der Generation der 30jährigen gegolten, hochbegabter politischer Verkäufer, smart, gerissen und ein bißchen verschlagen. Bei den Älteren in der CSU-Frakton sei er keineswegs beliebt gewesen, galt als respektloser Sunnyboy, der sie unablässig provoziert habe, von Fraktionschef Alois Glück fortan mit großem Mißtrauen begleitet.
Söder habe der Titel "Tevlon-Mann der CSU" gefallen, den ihm Journalisten gaben. Der Posten des Generalsekretärs als Chefprovokateur der CSU sei wie für ihn geschaffen gewesen, zumal er als Fahrstuhl nach oben galt.
Dass Söder ein großer Verkäufer ist und viel aus seinen Ämtern machte, sich stets pragmatisch angepasst und schnell eingearbeitet hat, habe er dann auch in seinem nächsten, im bayerischen Kabinett unbedeutendsten Amt als Minister für Europa- und Bundesangelegenheiten unter Beweis gestellt, in das er von Beckstein trotz Stoibers Sturz in Kreuth berufen wurde. Er titulierte sich als bayerischer Außenminister, der in der bayerischen Vertretung "Schloss Neuschwanstein" in Brüssel jeden Tag was veranstaltete und so viele Interviews in der ersten Woche gab wie seine Vorgängerin in zwei Jahren. Als Umweltminister war er auf einmal der große Öko, der den Donausausbau verhindert. Dies halte ihn aber nicht davon ab, später als Finanzminister für die große Ski-Schaukel am Riedberger Horn zu sein, weil dies in diesem Amt für ihn geboten erschien.
Roman Deininger: "Söder habe es aber verpasst, lange Linien zu ziehen zu bestimmten Themen, er konzentrierte sich dagegen jeweils auf innehabende Amt."
Seine PR-Strategie müsse man dem hyperaktiven Politiker lassen, bei allen Abgründen und peinlichen Geschichten, die sich immer wieder auftun. Er sei aber, so Deininger anerkennend, ein Meister darin, wie man mit Journalisten umgeht, um wirksame Botschaften zu setzen, auch wenn sein Hang zur Selbstdarstellung um Umkreis der Ministerien, für die er tätig war, genervt habe.
Breiten Raum nahm dann in der Lesung auch ein, dass auf Söders Weg zur Macht als Ministerpräsident einer im Wege steht: Horst Seehofer, wie Söder ein Alphatier, ein Spieler und Machtmensch von gleichem Kaliber. Mit diesem habe Söder das Prinzip betrieben, mit Konflikten und der Suche nach Kämpfen an die Spitze zu kommen.
Als Seehofer Söder zum Umweltminister machte und glaubte er füge sich ein, habe dieser als einziger im Kabinett bei Sitzungen sich die Witzeleien, Späße und Beschimpfungen nicht gefallen lassen. Er habe sich dieses verbeten. So habe sich dieser Machtkampf im Laufe der Zeit immer mehr gesteigert. Es würden sich viele fragen, warum hassen sich die beiden so. Deininger: "Unsere Recherchen ergaben, dass tatsächlich die Summe persönlicher Verletzungen, die sich über die Jahre aufgehäuft haben, der Grund für die Erbittertkeit dieses Duells war".
Detailliert schildern die beiden Journalisten in ihrem Buch die Innereien dieses Konflikts und mit welchen Bandagen hier gespielt wurde, als sich dieser Machtkampf im letzten Jahr nach der Bundestagswahl zwischen Seehofer und Söder entspann und quasi als Stellvertreterkrieg geführt wurde, ohne dass sich beide die Hände schmutzig gemacht hätten. Als Journalisten hätten sie diese sich immer mehr zuspitzende Rivalität hautnah mitbekommen. Es sei damals kein Abend vergangen, ohne dass sie auf der Couch sitzend, einen Anruf oder eine SMS von Söder- oder Seehofer-Getreuen erhalten hätten mit einer negativen Begebenheit aus dem anderen Lager zum Inhalt.
Zu lesen sei auch wie in einem Krimi, so Ritzer, was man von Söder im Sommer zum Thema "Flüchtlinge" lesen konnte, dass dies seinen Vorläufer hat, als er in Nürnberg anfing und in seinem Stimmkreis in Nürnberg ein Asylantenheim bekämpft hat und dabei genauso übers Ziel hinaus geschossen sei. So seien jetzt viele CSU-Wähler verstört gewesen über diese Krawall-Rhetorik. Und als er gemerkt habe, dass es nicht ankomme, gar die Kanzlerin wegen der Flüchtlingsfrage abzuschießen, sei er wieder zurückgerudert, sodass alles inzwischen viel moderater klinge.
Abgebildet hat das Duo auch nach Gesprächen mit vielen Leuten ausführlich, als Söder damals in Kreuth beim Sturz Stoibers damit drohte, mit unterzugehen. Damals hätten alle gedacht, nun sei es auch mit der Söders Karierre vorbei, was eben nicht der Fall war.
Der Meilenstein der Zerrüttung zwischen den Beiden, so Ritzer, sei allerdings die Weihnachtsfeier der CSU im Dezember gewesen, in der Seehofer in einem Rundumschlag mächtig über die eigenen Leute vom Leder gezogen sei und u.a. Söder in dessen Abwesenheit als "Mann mit charakterlichen Schwächen einstufte, der vom Ehrgeiz zerfressen sei und sich zu viele Schmutzeleien leiste".
In dem Buch, so die Journalisten, hätten sie auch die Frage gestellt, ob Söder persönliche Freunde habe. Sie hätten aber nicht so recht jemanden gefunden.
Roman Deininger, Uwe Ritzer: Markus Söder - Politik und Provokation - Die Biographie. Droemer Verlag, 2018, ISBN 978-3-426-27726-3, S. 25.
Fotos (c) Dieter Gürz