Grandios: Mittelstufentheater des Gymnasiums Veitshöchheim inszenierte Arthur Millers gesellschaftskritisches Drama "Hexenjagd"
Geschichte als Schulstück auf hohem Niveau - Ein Lehrstück über die Verführbarkeit des Menschen, immer wieder aktuell.
Mit Arthur Millers erfolgreichstem Schauspiel "Hexenjagd”, original "The Crusible", hatte sich heuer die Theatergruppe der 9. und 10. Klassen des Gymnasiums Veitshöchheim unter der Leitung der Lehrerin Irmgard Ellinger als absoluten Höhepunkt des Schuljahres einen modernen, sehr anspruchsvollen Klassiker vorgenommen. Die 18-köpfige Schauspielgruppe nahm die 400 Zuschauer der beiden Aufführungen in der Schulaula mit auf eine einschließlich Pause dreieinhalbstündige Reise durch ein spannendes und grausames Lehrstück über Gerüchte, Verleumdung und Selbstgerechtigkeit. Arthur Millers zeitloses „Hexenjagd“ ist von erschreckender Aktualität angesichts des Vormarsches der Terrorgruppe ISIS im Irak. Das Publikum konnte sich der emotionsgeladenen, laufend Gänsehautfeeling vermittelnden Dramatik nicht entziehen.
Es ist eine gewachsene Theater-Gruppe, denn viele Schüler sind bereits seit der fünften Klasse dabei. An der Grenze zur Oberstufe war es die letzte Gelegenheit, in dieser Kombination zu spielen. Die Gruppe sah sich besonders gefordert, einmal keine Komödie, also leichte Kost zu spielen. Demokratisch hatte die Truppe zu Schuljahres-Beginn aus mehreren Angeboten Millers in einer historischen Umgebung angesiedeltes Stück ausgewählt, das von Mißtrauen, Verleumdung, Wut geprägt und wo mit der Menschenwürde Schindluder betrieben wird.
Selbstbestimmt war auch die Rollenbesetzung ab November. Es gelang mittels Textvorlesen auch die kleinste Rolle optimal zu besetzen. Seit Fasching probten dann die Theaterenthusiasten mit Irmgard Ellinger zwei Unterrichtsstunden wöchentlich. So baute sich das Stück allmählich auf. Wie Ellinger sagte, wurden alle vom Theaterspiel-Bazillus förmlich gepackt. Es konnten immer alle mitreden. Freilich gab es, wie Antje Friederich, die Mutter von Benedikt feststellte, keine freien Wochenenden mehr, wurde zu Hause an Sprache und Gestik gefeilt. Bei der Aufführung spürte man, dass alle mit Herzblut bei der Sache waren und in ihren Rollen förmlich aufgingen. So sprach auch Ellinger voller Stolz von einer großen Leistung ihres Ensembles, die Spannung über eine so lange Zeit in Sprache, Mimik und Gestik zu halten.
Wie der stellvertretende Schulleiter Michael Schmitt empfanden es viele Besucher als schmerzhaft, anzuschauen, wie hier Menschen auf die Probe gestellt werden und wie schnell die Würde von Menschen verletzt wird.
Es sei heute aktueller denn je und offenbare, wie weit Engstirnigkeit uns Menschen treiben kann. Es stelle zeitlos die Frage, ob "Hexenjagden" von "Bessermenschen" aus unterschiedlichen Richtungen, ob religiös oder politisch geprägt, jemals aufgehört haben.
Als Arthur Miller in den 50er Jahren des vorigen Jahrhundert seine "Hexenjagd“ schrieb, war er selbst Leidtragender der schlimmsten Phase in Amerika, die von Kommunistenhatz, Sozialistenangst und einem kollektiven Angsthaben vor dem anderen geprägt war. Der Autor nimmt in seinem Drama Bezug auf die Hexenprozesse in Salem 1692:
Junge Puritanermädchen, die ihre sexuelle Lust in einem wilden Nackttanz feiern, werden erwischt. Um dem Vorwurf der Teufelsbeschwörung zu entgehen, suchen die Mädchen einen einfachen, aber folgenreichen Ausweg: Sie verraten andere, nennen wahllos Namen von Gemeindemitgliedern, die einen Pakt mit Teufel haben sollen. Eine tödliche Maschinerie läuft an, ein Sondergericht verurteilt und hängt Dutzende.
Einführung: Tratsch über andere machte schon immer Spaß
Vier Mädchen tanzen nackt im Wald, während die Barbados-Sklavin Tituba (Christine Friederich - Foto Mitte) beschwörende Worte murmelt – Beschwörungen, die Abigail (Juliana Eck - Foto rechts) zum Liebesglück verhelfen sollen.
Ausgerechnet der Dorfpfarrer, Abigails Onkel, Pastor Parris (Ferdinand Busch) muss diese Szene beobachten, schlimmer noch, seine eigene Tochter Betty (Sarah Milinkovics) um das Feuer tanzen sehen. Diese fällt vorsorglich erst einmal in eine tagelange Ohnmacht.
Schnell spricht sich in der puritanischen Kleinstadt herum, dass es im Hause Parris nicht mit rechten Dingen zugeht, und es kursiert das Gerücht der Hexerei.
Eine allgemeine Verfolgungshysterie bricht aus, die ein Teil der Bevölkerung geschickt zum eigenen Vorteil zu nutzen weiß.
Einige der Kinder scheinen sich nämlich nicht von dem Schock der Entdeckung zu erholen. Sie werden ohnmächtig oder krank, was sie aber nur vortäuschen, um sich selbst zu schützen. Da die „Krankheiten“ der Kinder von Ärzten nicht zu erklären sind, entsteht schnell das Gerücht von übernatürlichen Ereignissen, von Teufelsbeschwörung und Hexerei.
Als dann auf Veranlassung von Parris der Hexenspezialist Pastor Hale (kauzig gespielt von Richard Baudach) erscheint, bricht in Salem ein regelrechter Hexenwahn aus. Die Stimmung ist aufgeheizt und die Angst der Mädchen groß.
In ihrer Not beschuldigt Abigail plötzlich Tituba der Hexerei, die wiederum, in die Enge getrieben, wahllos andere Frauen anklagt. Durch die gegenseitigen Denunziationen beginnt eine Hexenjagd, in die immer mehr Bewohner des Ortes hineingezogen werden.
Der Stellvertreter des Gouverneurs, Danforth ((kompromisslos und unerbittlich gespielt von Leander Schaumann) und sein Assistent Richter Hathorne (Rick Sandvoss) eröffnen ein Gericht in Salem. Hauptzeugen sind die Mädchen, die bald halb Salem als Hexen denunzieren.
Der Bauer John Proctor durchschaut jedoch die Lügen und warnt davor, den Anklagen der Mädchen Glauben zu schenken
Proctor wird jedoch zum traurigen Helden der Geschichte, herausragend gespielt von Benedikt Friederich. Ihm wird zum Verhängnis, dass er einst Abigail als Magd auf seinem Hof beschäftigt und ein kurzes, leidenschaftliches Verhältnis mit ihr angefangen hatte.
Bei einer nächtlichen Aussprache im Wald meidet Proctor Abigails Blick und tastet doch fortwährend nach ihrem Körper. Er umarmt sie, um sie dann doch wieder von sich zu stoßen. Er widersteht aus Gewissenspein und Vernunft dem Sturm, den Abigail aus Liebesgier nach ihm entfacht.
Es wird richtig spannend, als das Ehepaar Proctor entscheiden muss, wer wen opfert.
Seine kränkelnde Frau Elisabeth, sensibel gespielt von Jana Fröhlich, kommt beiden auf die Schliche und wirft das junge Ding hinaus. Doch die Nichte ist äußerst verschlagen: sie klagt ihre Rivalin der Hexerei an und entfacht eine derartige Atmosphäre an Hass und Fanatismus, dass das Unheil seinen Lauf nimmt.
Juliana Eck wirft als Abigail, der coolen, selbstgefälligen Anführerin der Mädchenbande ihre vermeintlichen Obsessionen mit wachsender Lust heraus - eine schwierige Aufgabe, eine Gratwanderung. Mit der explosiven Mischung aus frustriertem Sex, Rachsucht und religiösem Sendungsbewusstsein spielt sie sich ins Zentrum des Stückes.
Aus der Reihe der 18 überzeugenden Darsteller ragt auch Marina Fahrner als Proctors Hausgehilfin Mary hervor, die als gepeinigte Erwachsenwerdende zwischen Gruppenzwang und eigenem Gewissen beeindruckt.
Proctor versucht mit Hilfe seiner Magd Mary seine Frau zu retten und vor Gericht zu beweisen, dass Abigail und die Mädchen lügen.
Zunächst gesteht Mary, dass die Mädchen alles nur vorgetäuscht haben. Doch unter dem Druck der Mädchen und nach einem neuerlich inszenierten Anfall kann sie ihr Geständnis nicht aufrechterhalten. Proctor bekennt sich zu seiner früheren Beziehung zu Abigail und versucht, Richter Danforth von deren Hass auf Elizabeth zu überzeugen.
Dieser lässt Elizabeth kommen und befragt sie. Doch Proctors Frau, die seine Ehre retten will, behauptet, dass es kein Verhältnis gegeben habe. Während sie abgeführt wird, offenbart John ihr sein Geständnis.
Mary bricht zusammen. Sie beschuldigt nun Proctor, mit dem Teufel im Bund zu sein und sie zu dem Geständnis gezwungen zu haben. Proctor wird verhaftet und zum Tode verurteilt. Hale, der Zweifel an Proctors Schuld hat, verlässt das Gericht.
Aufstände in Andover ändern die Situation. Parris befürchtet einen Aufstand auch in Salem. Außerdem sind die Mädchen geflohen, allen voran Abigail. Das Gericht erkennt nun seinen Irrtum. Doch der Lauf der Dinge ist nicht mehr aufzuhalten, andernfalls wären Autorität und Respekt verloren. Danforth, der sein Gesicht wahren will, hofft nun, dass der zurückgekehrte Hale Proctor und die anderen zu einem Geständnis bringen kann.
Proctor gesteht tatsächlich, zerreißt jedoch anschließend sein Geständnis, das sein Leben gerettet hätte. Er bezeichnet es als Lüge. Er und die anderen werden gehängt. Gleichwohl ist es John, der am tragischen Ende aber doch einen entscheidenden Sieg davon trägt Er geht den Weg zum Galgen und bewahrt so seine Würde, ohne einen einzigen Blick zu seiner Frau. Und sie lässt ihn ganz wortlos gehen.
Dass ein Gericht allen Ernstes die skrupellose Abigail und ihre verängstigte Jung-Mädchen-Gefolgschaft als Werkzeug Gottes akzeptiert und aufgrund ihrer Beschuldigungen Menschen zum Tode verurteilt, wirkt grotesk.
Es reicht Richter Danforth der Glaube der naiven, eigentlich unglaubwürdigen Mädchen, um bei den Angeklagten Hexerei anzunehmen und sie zu verurteilen. Trotz des Prozessverlaufs verharrt er in seiner starren Haltung und glaubt nicht mehr zurück zu können. Seine Eitelkeit und die Unfähigkeit, als Autoritätsperson einen Irrtum einzugestehen, machen es ihm unmöglich, das Aburteilen unschuldiger Bürger zu beenden. Nur Pastor Hale gelangt zur Einsicht. Bei dem Versuch, unschuldige Leben zu retten, muss er jedoch verzweifelt erkennen, dass er gegen den Wahn nicht ankommt.
Witzig die Auftritte von Nicoley Perschin als blind gehorsamer Ezekiel Cheever.
Tosender Applaus für brillante Ensemble- und großartige Sololeistungen. Trotz der Überlänge gelang eine kurzweilige Inszenierung. Nachhaltig blieb bei vielen Besuchern haften, aus welchem Wahn heraus intelligente Personen Massen von Menschenleben zerstören und welche Kleinigkeiten den Domino-Effekt vom Gerücht bis zum Urteil auslösen können.
Weitere Mitwirkende: Lara Sensbach, Emilie Lurz, Nicolas Raschke, Fabienne Müller, Tessa Richter, Jakob Lehner, Juliana Moers
Soufleuse: Klara Becker
Technik: Daniel Jander, Martin Heinrich, Jonas Korbmann