P-Seminaristen des Gymnasiums Veitshöchheim brillierten mit Wolfgang Borcherts Nachkriegsdrama "Draußen vor der Tür"
Das P-Seminar-Theater der Q12 des Gymnasiums Veitshöchheim faszinierte die Zuhörer in der Schulaula mit der Inszenierung des Dramas "Draußen vor der Tür" des deutschen Schriftstellers Wolfgang Borchert, das am 21. November 1947 in den Hamburger Kammerspiele uraufgeführt wurde. Borchert starb einen Tag vor der Uraufführung im Alter von 26 Jahren.
Im Zentrum der Handlung steht der deutsche Kriegsheimkehrer Beckmann (überzeugend dargestellt von Abdurrahman Billican) , dem es nach dreijähriger Kriegsgefangenschaft in Sibirien nicht gelingt, sich im zerstörten Hamburg wieder ins Zivilleben einzugliedern. Beckmann, der stets nur bei seinem Nachnamen genannt wird, ist körperlich lädiert, besitzt nur noch eine Kniescheibe, humpelt, hat Hunger und friert. Seine äußeren Kennzeichen sind ein alter Soldatenmantel und eine mit Bändern befestigte Gasmaskenbrille, ein Kriegsutensil, mit dem sich der kurzsichtige Beckmann nach dem Verlust seiner Brille behelfen muss. Während er noch durch die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs geprägt ist, haben seine Mitmenschen die Vergangenheit längst verdrängt. Auf den Stationen seiner Suche nach einem Platz in der Nachkriegsgesellschaft richtet Beckmann Forderungen nach Moral und Verantwortung an verschiedene Personentypen, hadert mit Gott und der Welt und den Tod (Elisabeth Rudi). Es ging allen Zuhörern schon an die Nieren, denn Beckmann bleibt am Ende von der Gesellschaft ausgeschlossen und erhält auf seine Fragen keine Antwort.
Im Gegensatz zum todtraurigen Stück brachten die Q12ler im Vorspiel kabarettmäßig die Zuhörer mit der eher unbekannten, fröhlichen Seite Borcherts aus seiner Biografie und seinem Wirken in seiner Heimatstadt Hamburg wie die quakenden Frösche zum Lachen,
auch mit Sprüchen wie "Hahnenschrei und Morgenrot, die Nacht ist tot"
und dem Zitieren seiner Gedichte.
Das Drama
Mit Sirenengeheul, wie im Krieg, startete dann die Aufführung von "Draußen vor der Tür" mit dem Prolog "Ich bin der Nebel" von Hannes Breunig und "Ein Mann kommt nach Deutschland".
Beckmann schwimmt in der Elbe. Er ist in den Fluss gesprungen, um sein Leben zu beenden. Die Elbe erscheint ihm in Gestalt einer alten, resoluten Frau (Elfidan Tüptük). Beckmann begründet den Entschluss seines Suizidversuchs: Er hungere, humpele und das Bett seiner Frau sei von einem anderen besetzt. Doch die Elbe weist Beckmann zurück. Sein junges Leben sei ihr zu armselig. Erst wenn er tatsächlich am Ende sei, dürfe er wiederkehren. Stromabwärts wirft sie ihn bei Blankenese ans Ufer.
Beckmann liegt am Strand. Zu ihm tritt ein Fremder (Amir Narymany Shandy), der sich der „Andere“ nennt. Er sei derjenige, der stets an Beckmanns Seite stehe, dem dieser niemals entkommen könne. Er sei der Ja-Sager, der Optimist, der immer an das Gute glaube und Beckmann antreibe, wenn dieser nicht mehr weiter wolle. Beckmann weist die Lebensbejahung des Anderen zurück. Er erklärt, warum er keinen Vornamen mehr habe: Bloß „Beckmann“ habe ihn seine Frau genannt, als er nach drei Jahren heimgekehrt sei und sie an der Seite eines anderen Mannes vorgefunden habe. Und er berichtet von seinem Kind, das tot unter den Trümmern liege, ohne dass er es je gesehen habe.
Eine junge Frau tritt hinzu. Das Mädchen (Corinna Vogg), so ihre Rollenbezeichnung, hat Mitleid mit Beckmann, weil er so traurig aussehe. Sie nennt den nassen und frierenden Mann zärtlich „Fisch“ und nimmt ihn mit nach Hause. Zurück bleibt der Andere, der über die Menschen sinniert: Eben wollen sie sich noch umbringen, doch die Begegnung mit einer Frau genüge, sie wieder lebendig zu machen.
In ihrer Wohnung macht sich das Mädchen über Beckmanns Aussehen lustig. Mit seiner Gasmaskenbrille erinnere er sie an ein Gespenst. Sie nimmt ihm die Brille ab, ohne die er hilflos ist, und überlässt ihm die Jacke ihres Mannes, der seit drei Jahren in Stalingrad vermisst sei. Beckmann fühlt sich unbehaglich in der zu weiten Jacke des Fremden.
Plötzlich hört er das klopfende Geräusch von Krücken, und der Einbeinige (Tillman Seitz) taucht auf, ruft vorwurfsvoll Beckmanns Namen und verlangt seine Jacke und seine Frau zurück. Beckmann flüchtet aus der Wohnung.
Der Andere hält Beckmann davon ab, erneut den Weg zur Elbe zu suchen. Beckmann erklärt, dass er im Krieg der Unteroffizier des Einbeinigen gewesen sei, dessen Verstümmelung er auf seinen Befehl, die Stellung zu halten, zurückführt. Auch für den Tod von elf Soldaten eines ihm anvertrauten zwanzig Mann starken Aufklärungstrupps fühlt er sich verantwortlich. Der Andere schlägt vor, Beckmanns ehemaligen Oberst zu besuchen und ihm die Verantwortung zurückzugeben.
Der Oberst (Maximilian Delitzsch) sitzt mit seiner Familie beim Abendessen. Seine Frau (Mia Simon) und Tochter (Klara Zezula) gruseln sich vor Beckmann, der Schwiegersohn (Marco Hausknecht) gibt sich überlegen. Beckmann berichtet dem Oberst von einem Traum, der ihn jede Nacht verfolge: Ein General spiele mit Armprothesen auf einem Xylophon aus Menschenknochen den Einzug der Gladiatoren und Alte Kameraden. Zur Marschmusik erhebe sich eine unübersehbare Menge von Soldaten aus ihren Gräbern. Der General übergebe Beckmann die Verantwortung für die Armee der Toten, die fortwährend seinen Namen brülle, bis Beckmann im Schlaf aufschreie und davon erwache.
Beckmann verlangt vom Oberst, die Verantwortung für die zwanzig Mann zurückzunehmen, die dieser ihm einst übertrug. Danach hofft er, endlich ruhig schlafen zu können. Als der Oberst erkennen lässt, dass der Begriff der Verantwortung für ihn bloß eine Floskel ist, fragt Beckmann nach der Anzahl der Toten, die den Oberst nachts besuchen. Der Oberst lacht laut auf und tut Beckmanns Auftritt als Kabarettnummer eines Komikers ab. Er gibt dem schäbig gekleideten Besucher den Rat, erst einmal wieder ein Mensch zu werden. Beckmann schreit auf, ob der Oberst samt seiner Familie denn Menschen seien, greift sich Brot und eine Flasche Rum und geht ab.
Nach Genuss des Alkohols sieht auch Beckmann die Welt als lachhaften Zirkus und spricht in der Hoffnung auf einen Broterwerb in einem Kabarett vor. Er trägt einen sarkastisch umgedichteten Kriegsschlager vor. Doch der Direktor des Kabaretts (Kristina Moers) fürchtet, Beckmann könne ihm sein Publikum vergraulen. Der Vortrag ist ihm zu wenig heiter und gelassen, zu deutlich und plakativ. Auf Beckmanns Einwand, er beschreibe doch die Wahrheit, entgegnet der Direktor, Wahrheit und Kunst hätten nichts gemein; von der Wahrheit wolle niemand mehr etwas wissen. Beckmann wird bitter und geht.
Erneut will Beckmann in die Elbe, doch wieder hält ihn der Andere zurück. Er erinnert Beckmann an seine Eltern. Der macht sich mit neu erwachter Hoffnung auf den Weg zu seinem früheren Zuhause.
Vor der Wohnungstür seiner Eltern bemerkt Beckmann ein fremdes Namensschild. Eine Frau Kramer (Charleen Diker) öffnet und teilt ihm reserviert mit, die Wohnung gehöre nun ihr. Dann wird sie leutselig und erzählt Beckmann, dass sich seine Eltern umgebracht hätten, weil der Vater ein aktiver Nazi gewesen sei und man ihm nach dem Krieg Pension und Wohnung genommen habe. So hätten sich die beiden selbst „entnazifiziert“. Frau Kramer bedauert lediglich das dabei verschwendete Gas.
Beckmann sinkt verzweifelt und entkräftet auf den Stufen vor der Tür zusammen.
Ein Traum konfrontiert Beckmann noch einmal mit den Figuren des Stücks. Er fragt Gott (Maria Ruppel), wer ihn eigentlich einen „lieben Gott“ genannt habe, und wann er während des Kriegs lieb gewesen sei. Gott verteidigt sich, die Menschen hätten sich von ihm abgewandt, und er geht mit Klagen um seine armen Kinder ab.
Der Tod tritt als Straßenfeger (Nathalia Nazarenko) in Erscheinung und verspricht Beckmann, seine Tür stehe ihm jederzeit offen.
Der Andere versucht, Beckmann aus dem Traum zu reißen. Er will Beckmann überzeugen, dass die Menschen gut seien und an seinem Tod nicht achtlos vorbei gehen.
Doch eine Person des Stücks nach der anderen zieht an dem am Boden liegenden Beckmann vorüber. Für den Oberst ist er bloß einer, der sowieso vor die Hunde gegangen wäre.
Der Kabarettdirektor sieht Beckmann als prädestiniert für tragische Rollen, leider wolle die heute keiner mehr sehen.
Frau Kramer geht der „Junge“ ans Herz, doch sie gibt sich robust, man könne nicht jeden beweinen. Beckmanns Frau geht in der Umarmung mit einem anderen Mann vorbei, ohne ihn zu erkennen.
Schließlich erscheint das Mädchen. Sie hat Beckmann seit ihrer Begegnung gesucht und will mit ihm lebendig sein.
Doch in ihrem Gefolge erscheint der Einbeinige. Er ist in die Elbe gegangen, als er Beckmann bei seiner Frau vorfand. Jetzt fordert er von Beckmann, den Mord an ihm nicht zu vergessen.
Beckmann wacht auf. Er ist allein. In einer letzten Anklage resümiert er seine Heimkehr und prangert an, dass man jeden Tag morde und gemordet werde. Er fragt nach dem Sinn des Lebens und seines Weiterlebens, verlangt nach Antworten, ruft nach dem Anderen und nach Gott, doch beide schweigen. So endet er mit dem dreifachen Aufschrei, ob denn keiner Antwort gebe.
Minuten andauernder Applaus und Jubel belohnte die grandiose Aufführung des Theater-Ensembles.
Zum Gelingen bei trug auch die tolle Licht- und Ton-Technik (Daniel Jander - Bildmitte)
P-Seminarleiterin Irmgard Ellinger sagte: "Da bleiben mir die Worte weg nach dieser wunderbaren Vorstellung." Vor allem als sie gesehen habe, dass alles wie aus einem Ruck gesessen habe, da habe ihr schon der Atem gestockt. Alles was ihre Schüler da rein gegeben hätten, von ihrer ganzen Kraft und ihrer vielen Freizeit, sei phänomenal. Sie seien in eine Rolle geschlüpft und hätten davor die Verantwortung übernommen, die sie eigentlich gar nicht haben wollten, denn so zerbrechlich wolle niemand sein.
Sie platze deshalb vor Stolz über die Leistungen ihrer Schützlinge, die in diesem Seminar etwas so Tolles vollbracht hätten. Dabei hätte nur ein kleiner Teil der 16 Schüler aus den zwölften Klassen schon Theatererfahrung gehabt.
Wie Corinna Vogg in ihrer Einführung dazu ausführte, hätten sich in den zehnten Klassen, als es darum ging, ein P-Seminar-Projekt auszuwählen, so viele Schüler für dieses Theaterprojekt interessiert, dass die 16 zu besetzenden Rollen ausgelost werden mussten. Die Truppe sei eine verschworene Gemeinschaft geworden und habe sich auch trotz vieler Strapazen und Eskapaden immer wieder zusammengerauft. In den letzten Wochen vor der Aufführung seien sie ständig in der Schule gewesen und hätten auch an den Abenden und Wochenenden intensiv geprobt. Vogg: "Wir haben uns tagein tagaus damit beschäftigt, was Krieg anrichtet und wie er Menschenleben verändert." Dies habe sie alle sehr mitgenommen.
Das habe die Gruppe auf die Idee gebracht, die Hilfsorganisation "Friedensdorf International" mit dem Großteil der Einnahmen zu unterstützen. Wie Bärbel Franz von der Koordinationsstelle Sommerkahl bei Aschaffenburg ausführte, geben die Hilfseinsätze ihrer Organisation verletzten und kranken Mädchen und Jungen, die in ihren von Kriegen und Krisen heimgesuchten Heimatländern nicht behandelt werden können, eine Chance durch eine Behandlung in deutschen Kliniken zu überleben, so auch in Würzburg im Juliusspital und in der Uniklinik. Sie bietet Hilfe zur Selbsthilfe durch Projekte in den Heimatländern der Kinder.
Für Schulleiter Dieter Brückner war die Aufführung ein doppelter Anlass sich zu freuen: Zum einen, dass aus P-Seminaren als Endpunkt einer langen, langen Arbeit beginnend mit der Auswahl eines Stückes, der Auseinandersetzung mit der Literaturgeschichte und der Einstudierung derart vorzeigbare Projekte werden . "Wow" habe er sich gedacht, als er von der Auswahl von Borcherts Drama hörte. Es gehöre viel Mut dazu, denn laut Untertitel sei es „Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will“. Gleichwohl wurde es ein großer Erfolg und machte den bis dahin unbekannten Borchert berühmt. Viele Zeitgenossen konnten sich mit Beckmanns Schicksal identifizieren. Borcherts Stück wurde als Aufschrei einer zuvor schweigenden, als verloren geltenden jungen Generation gewertet, die verheizt worden ist und die mit dem Leben nach ihrer Rückkehr nicht zurechtkamen. Das Drama gilt heute als eines der wichtigsten Nachkriegsdramen und seine Aussagekraft hat angesichts der vom Krieg aus Afghanistan zurückgekehrten traumatisierten deutschen Soldaten auch heute noch aktuelle Bedeutung.
So wünschte sich denn auch Hauptdarsteller Abdurrahman Billican am Ende, dass die Zuschauer mit nach Hause nehmen, dass nicht nur der Zweite Weltkrieg und was damals in Deutschland passiert ist, schrecklich war. Vielmehr würden aktuell vor unserer Haustür die Bilder aus dem syrischen Kobane mit mehr als 800 Toten in den letzten 40 Tagen und anderen Kriegsschauplätzen wie in Palästina und der Ukraine offenbaren, dass nach wie vor viele Menschen "Draußen vor der Tür" stehen.